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Zu billig und zu viele Zielgruppen

Mit Crystal im Blut kommt man tagelang ohne Schlaf aus, ist leistungsfähig und sieht alles positiv. Und: Die aggressive Synthetikdroge ist leicht herzustellen und günstig zu kaufen. Die Behörden klagen über einen immer mühsameren Kampf gegen Crystal.

Von Amelie Ernst |
    Crystal führt schnell zur Abhängigkeit. Langzeitkonsumenten leiden oft an Nervenschäden im Gehirn mit Gedächtnisverlust und Konzentrationsproblemen.

    Dunkelrote, fast schwarze, lange Haare, übergroßer Pullover, Nasenpiercing - vielleicht ein bisschen unscheinbar, aber wie ein Crystal-Opfer auf den einschlägigen Internetseiten sieht Steffi wirklich nicht aus. Eher wie eine ganz normale junge Frau Anfang 20, die auch mal ungeschminkt aus dem Haus geht.

    Steffi: "Ja, also ich bin hier, weil ich einen Crystal-Konsum habe. In den letzten vier Jahren hat das zugenommen, einfach um einem gewissen Druck und Leistung standhalten zu können. Und ich bin jetzt hier, um das einfach wieder in den Griff zu kriegen."

    "Hier" - das ist der Tannenhof in Berlin-Lichtenrade. Seit über 30 Jahren werden hier Drogenabhängige therapiert. Steffi wohnt eigentlich in einer Kleinstadt in Südbrandenburg. Nun will sie sich im Tannenhof helfen lassen, gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter.

    "Das ist schon relativ normal geworden: Früher ham’se alle mehr gekifft und getrunken, und heute konsumieren sie alle mehr Crystal. Man steht früh auf und dann rennt man los zum nächsten Dealer. Dann besorgt man sich was und dann ist man drei, vier Tage wach. Dann geht man schlafen, ein, zwei Tage. Und dann dasselbe Spiel von vorne. Das gehört einfach zum Alltag mit dazu."

    Für Manuela Dewitz, die therapeutische Leiterin im Tannenhof, ist Steffi ein typischer Fall: Mittlerweile hat jeder vierte der Entzugswilligen, die hierher kommen, ein Crystal-Problem. Viele Jugendliche ohne berufliche Perspektive, aber genauso Arbeiter, Studenten, Hausfrauen und Geschäftsleute.

    Dewitz: "Crystal hat ein sehr großes Wirkungsspektrum und spricht deshalb eine große Gruppe von Leuten an. Es hat zum Beispiel neben der antriebssteigernden, wachmachenden und leistungssteigernden Wirkung auch die Wirkung, dass es zum Beispiel negative Gefühle oder auch Probleme verdrängt – was traditionell üblicherweise eher die Opiatabhängigen bevorzugen. Hat zusätzlich ein selbstwertsteigernden Effekt, was wiederum eher in die Richtung Kokain geht. Und ich glaube, das ist auch die Begründung, warum sich das in bestimmten Gebieten so rasant ausbreitet."

    Billig und leicht zu verstecken
    Angefangen hat alles schon vor Jahren an der deutsch-tschechischen Grenze: Das oberfränkische Bayreuth gilt noch immer als Deutschlands Crystal-Hochburg. Doch längst hat der Stoff auch die Bundesländer weiter nördlich erreicht, bestätigt Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke.

    "Wir haben im Süden mit Crystal erhebliche Probleme. Und das ist so langsam 'ne Entwicklung, die sich aus Tschechien über Sachsen nach Brandenburg hineinzieht. Da werden wir in diesem Bereich noch stärker hinterher sein müssen. Auch übrigens, was wir in Verkehrskontrollen feststellen – da wird ja mittlerweile des Öfteren getestet. Nicht nur auf Alkohol, sondern auch auf Drogen."

    Mit den Ergebnissen dieser Kontrollen hat der Cottbusser Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher täglich zu tun. Fast die Hälfte aller Betäubungsmitteldelikte in seinem Zuständigkeitsbereich dreht sich bereits um Crystal; nur Cannabis-Fälle sind noch häufiger. Dazu kommt die Beschaffungskriminalität.

    Brocher: "Wir haben ja hier ´ne Welle von Buntmetalldiebstählen. Natürlich hat das was mit den hohen Schrottpreisen zu tun, gerade bei Buntmetall. Aber es hat natürlich auch damit zu tun, dass es hier hunderte HartzIV-Empfänger gibt, die regelmäßig Zeug klauen gehen – mit dem einzigen Ziel, das Zeug zu verkaufen und dann Crystal dafür zu kaufen."

    Am billigsten ist der Stoff in Tschechien, auf den Märkten gleich hinter der Grenze. Um die 15 Euro kostet dort ein Gramm Crystal - das reicht für etwa vier Konsumeinheiten. "Ameisenschmuggel" nennt Klaus Leprich, der Vorsitzende der Deutschen Zollgewerkschaft, den kleinen Grenzverkehr.

    "Sie kämen nie darauf, wo Sie überall suchen müssen, um Crystal Speed zu finden. So kleine Mengen können Sie überall verstecken: Ob’s jetzt unter dem Haaransatz ist bei den längeren Haaren, unter Speiseresten, in Körperöffnungen. Sie können kleinere Mengen im Ohr verstecken. Das ist sehr, sehr vielfältig."

    Weil die Suche nach den Crystal-Verstecken so aufwendig ist, fordert die Zollgewerkschaft mehr Personal - nicht nur in den Grenzregionen. Doch an sich erkennt auch ihr Vorsitzender: Der Kampf speziell gegen synthetische Drogen wie Crystal ist eigentlich kaum zu gewinnen.

    Leprich: "Wir haben auch die ersten Küchen hier in Deutschland aufgedeckt. Und das ist eben anders als bei Drogen, die auf natürlichem Wege, aus der Natur gewonnen werden, wo ich auf Lieferwege angewiesen bin. Das noch größere Problem ist, dass ich synthetische Drogen überall herstellen kann, und die Rohstoffe leicht zur Verfügung zu stellen sind."

    Im Zweifel über das Internet. In Südbrandenburg ist bislang noch keine echte Drogenküche aufgeflogen - wie auch, sagt Staatsanwalt Bernhard Brocher. Schließlich eigne sich theoretisch jede normale Küche für die Crystalproduktion. Dafür weiß Brocher genau, wer den Handel organisiert: Die kleinen Dealer in seiner Region beziehen ihren Stoff von Rockerclubs - allen voran von den Hells Angels.

    Brocher: "Das Problem ist nur, dass die Hells Angels so eine Übermachtstellung in diesem Markt haben. Wenn dann einer weggefangen wird, dann sind ein Quartal später andere da. Und wenn man relativ viel Geld verdienen kann gibt’s natürlich ´ne Menge Leute, die dazu bereit sind."

    Weil die Strukturen rund um Crystal so schwer zu zerschlagen sind, setzt Brandenburgs Polizeipräsident Arne Feuring lieber auf die künftigen Konsumenten.

    "Da müssen wir unbedingt die Prävention verbessern. Wir müssen die vermeidlichen Adressaten darauf hinweisen, welch gravierende Folgen hier ein Missbrauch hat. Schwierige Sache ist das."

    Zu leicht herzustellen, zu billig, zu viele Zielgruppen - die Experten sind sich einig: Anders als Ecstasy und Speed wird Crystal wohl nicht so schnell wieder vom Markt verschwinden. Genau deshalb will Steffi mit ihrer Tochter nach der Therapie auch nicht wieder zurück in den Brandenburger Süden - sondern möglichst weit weg.

    Steffi: "Da ist einfach zu viel vorgefallen - die Stadt, der Freundeskreis...Da kommen alte Erinnerungen hoch. Wohin genau, das werde ich dann sehen."