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Zu den Ermittlungen gegen Bundesaußenminister Fischer

Durak: Steht Bundesaußenminister Joschka Fischer vor dem Rücktritt, erzwungen oder erlitten? Die Opposition denkt daran. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main hat das Ermittlungsverfahren offiziell eingeleitet. Der Anfangsverdacht einer uneidlichen Falschaussage bei seiner Zeugenvernehmung im OPEC-Prozess. Stichwort hier: Wohnen mit Margrit Schiller. Und die Opposition in Berlin spielt auch mit dem Gedanken, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Sie könnte dies ohne weiteres tun. Dies betrifft Fischers Teilnahme an einer PLO-Konferenz in Algier vor 32 Jahren. Am Telefon begrüße ich nun Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer von den Bündnis-Grünen. Schönen guten Morgen Frau Vollmer!

    Vollmer: Schönen guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Frau Vollmer, was kritisieren Sie denn am Verhalten von Joschka Fischer in all diesen Sachen?

    Vollmer: Ich kritisiere am Verhalten von Joschka Fischer erst mal gar nichts, sondern als bekennende Antihysterikerin kritisiere ich die Hysterie in dieser Debatte und ich bewahre vor allem erst einmal Ruhe.

    Durak: Hat sich denn Fischer in jeder Position, in jeder Lage tatsächlich richtig verhalten?

    Vollmer: Joschka Fischer ist soweit ich sehe ein Mensch, und wie ein Mensch macht er gelegentlich auch Fehler. Er hat aber etwas gemacht, was ich mir von vielen anderen Politikern, die in der Diskussion waren, oft gewünscht hätte. Er hat nämlich anderthalb Stunden im deutschen Bundestag Rede und Antwort gestanden und das mit einer Haltung, die auch wirklich signalisiert hat, ich weiche nicht aus, sondern ich versuche dem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Dieses fand ich ziemlich beeindruckend und darüber hat ja dann auch eine sehr intensive parlamentarische Debatte stattgefunden. Ich finde das ist genau der Ort und es ist auch der Versuch, mit diesen offenen Fragen fertig zu werden. So ähnlich hat er es auch im Gericht versucht. Da hat ja dann der vorsitzende Richter gesagt, es sei bedauernswert, wenn jemand nach einer offenen, seriösen und informativen Zeugenaussage erhebliche Schwierigkeiten bekommt. Da hat er juristisch vielleicht für sich den letzten Schutz gesucht, aber er hat politisch genau das einzig richtige gemacht, nämlich Offenheit gesucht.

    Durak: Was halten Sie von dem Ermittlungsverfahren?

    Vollmer: Die Staatsanwaltschaft hat sich entschlossen, das zu machen. Es gibt darüber Diskussionen, ob das wirklich ein ganz so freier Entschluss ist. Das wird ja die nächste Zeit sehr schnell klären. Ich halte dieses Ermittlungsverfahren, wenn ich wieder den Richter zitieren darf, auch für hochgradig lächerlich.

    Durak: Denken Sie denn, dass die CDU in Hessen Druck ausgeübt hat?

    Vollmer: Ich will da jetzt nicht weiter spekulieren. Die Spekulation steht ja im Raum.

    Durak: Aber Sie schließen es nicht aus?

    Vollmer: Es gibt jedenfalls offensichtlich eine Diskussion innerhalb der Justiz, ob dies der richtige Schritt ist. Aber wie auch immer bedeutet dieser Schritt überhaupt noch nichts. Wir haben ja selber jetzt das höchste Interesse, dass das sehr schnell geklärt wird, denn ich glaube, dass in dieser Sache kein Sachverhalt ist, der zu weiteren Konsequenzen führen wird. Aber das ist ja nur die eine Geschichte. Das andere ist die Öffentlichkeit, und da finde ich gibt es doch auch ziemlich ermutigende Beispiele. Übrigens sehe ich dort eine gewisse Parallele zu der Debatte, die es mal um Clinton in den USA gegeben hat. Während die offiziellen Stimmen diese Hysterie und diesen Campagnen-Charakter zeigen habe ich den Eindruck, dass die Bevölkerung eigentlich sehr ruhig bleibt und dass ihr das gelegentlich auch auf den Keks geht, was dort im Moment an Debatten stattfindet, dass sie sehr viel mehr Verständnis dafür haben, dass Leute eine Biographie haben, die auch durch Besonderheiten gekennzeichnet ist, insbesondere wenn es sich um Fragen einer Geschichte handelt, die über 30 Jahre her sind. Ich glaube die Menschen sind nicht diese Scharfrichter, als die sie offensichtlich gesehen werden, wenn man meint, mit so einer Campagne Erfolg haben zu können.

    Durak: Möglicherweise denken manche Leute in der Bevölkerung auch, na ja, wir haben es gewusst, der auch.

    Vollmer: Das glaube ich nicht. Ich habe mir erzählen lassen, ich habe das ja nicht gehört. Es gab zum Beispiel neulich eine spontane Reaktion bei "wetten, dass ..." auf eine Frage. Dort hat jemand eine Saalwette angeboten, die auch mit dieser Geschichte zu tun hatte. Die Leute haben gesagt, auch wir finden es nicht mehr in Ordnung, dass so viel über Dinge diskutiert wird, die 30 Jahre zurück sind. Was will man von einem Außenminister wissen? Man will wissen, wenn solche Fragen auftauchen, gibt es Gefahr im Verzug, gibt es einen Einfluss auf seine Amtsführung, ist er möglicherweise erpressbar. Das will man wissen. Das heißt man will wissen, ist er ein freier Mensch. Das kann man, wenn man Joschka Fischer über 25 Jahre immer öffentlich beobachten konnte, wenn er ja auch Auskunft gegeben hat über seine politische Entwicklung, wenn er zu früheren Fragen lange, lange gesagt hat, dass sie ein Fehler waren, sehr viel seriöser wissen als bei vielen anderen Leuten, über die man gar nichts weis. Ich finde man muß bei dem ganzen auch immer überlegen, was für einen Typ von Politiker wollen wir eigentlich. Wollen wir einen, der überhaupt keine Biographie hatte, der sich immer nach dem Prinzip der größten Vorsicht verhalten hat, über den seine Eltern schon im Babykorb beschlossen haben, den halten wir von allen Erfahrungen des Lebens fern, oder wollen wir Politiker, die durch Erfahrung geprägt sind und daraus auch Lehren ziehen können.

    Durak: Sehr viel wichtiger scheint ja zu werden die Geschichte mit der PLO-Konferenz, an der Joschka Fischer als junger Mann teilgenommen hat. Was halten Sie denn vom Krisenmanagement von Joschka Fischer, Herrn Vollmer vorzuschicken und Dinge zu sagen, die nachher zurückgenommen wurden?

    Vollmer: Natürlich müssen auf diese Fragen, wenn sie gestellt werden, manchmal Leute antworten, die einen konkreten Sachverhalt dann nicht wissen. Soweit ich weis sind fast alle in der Umgebung von Joschka Fischer sehr viel jünger, übrigens auch bei den Grünen. Wenn man sagt, die Grünen sind die 68er-Partei. Als jetzt diese Debatte um Joschka Fischer auftauchte haben wir mal geguckt, wer ist eigentlich von uns noch 68er. Da war ich fast die einzige. Helmut Lippelt ist älter und Joschka Fischer ist jünger. Das heißt viele haben überhaupt keine Kenntnis über diese Zeit, und ich bin sehr dafür, dass man über _68 diskutiert. Ich bin auch sehr dafür, dass manches von dem Mythos von _68 ein bisschen vom Sockel geholt werden muss, denn die Wirkung von _68 gerade auf spätere Generationen, denen wir gelegentlich in der Sonne gestanden haben, sind nicht alle nur positiv, obwohl es sehr, sehr viele positive gibt. Diese Debatte können wir wirklich gerne führen, aber jetzt wird ja versucht, mit dieser Debatte so eine Art Machtputsch mit den Mitteln einer Campagne zu inszenieren, auch von der Opposition, deren Interessen ich natürlich sehr wohl verstehe, insbesondere von der FDP. Das wäre ein schneller Weg in die Regierung, wenn sie damit Erfolg hätten. Aber ich glaube nicht, dass es gelingen wird, und ich glaube, dass auch Joschka Fischer sehr wohl weis, dass er jetzt in dieser Situation eine Symbolfigur ist. Wenn er weichen müsste, dann hieße das: als nächstes wären die ganzen Jusos dran. Dann würde eine ganze Geschichte mit den Mitteln eines Machtputsches in dieser Republik ausgelöscht. Das wissen so viele Leute, und das will in Wahrheit auch niemand. Das wird nicht gelingen!

    Durak: Müsste dann, Frau Vollmer, Joschka Fischer vom Sockel, müsste er weichen, wenn sich tatsächlich herausstellt, er hat bei der PLO-Konferenz bis zum Schluss teilgenommen und den Endsieg gegen Israel mitbeschlossen? Ich zitiere jetzt.

    Vollmer: Nein, natürlich müsste er das nicht. Gucken Sie doch das Bild an, was es dort gegeben hat. Es war ja nicht verboten, daran teilzunehmen. Es war aus heutiger Sicht ein idiotischer Entschluss. Wenn Sie das Bild von ihm angucken, dann sieht er damals wirklich sehr wie ein Bübchen aus, und das ist er vermutlich auch gewesen. Er ist dort mitgefahren, weil er es ungeheuer spannend fand, aber gerade über diese Geschichte, das Verhältnis zu Israel, weis wirklich jeder in diesem Land, dass Joschka Fischer das fast zu seiner politischen Geburtsstunde gemacht hat, die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, aber auch mit dieser Schwärmerei von Teilen der politischen Linken für den palästinensischen Kampf. Da gibt es kein Wackeln, da gibt es keinen Verdacht, dass da noch irgend etwas unklar wäre. Das ist völlig eindeutig. Deswegen ist er auch gerade in dieser Frage als Außenminister sehr, sehr geeignet, weil er dort einen völlig geraden Kurs hat.

    Durak: Das Bübchen Fischer soll das als Jugendsünde wegstecken?

    Vollmer: Wissen Sie, wir hatten einen Bundespräsidenten Theodor Heuss. Der hat einem Ermächtigungsgesetz für Adolf Hitler im Erwachsenenalter zugestimmt. Der konnte Bundespräsident sein. Man möge doch bitte mal etwas halblang sein mit dieser Art von Anforderungen an Politiker, oder man kriegt die Konsequenzen. Dann kann ich nur sagen, viel Glück zu solchen Politikern, von denen man gar nichts weis, weil sie nie etwas erlebt haben.

    Durak: Antje Vollmer, Bündnis-Grüne Politikerin, Bundestags-Vizepräsidentin. - Danke für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio