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Zu Gast bei Götz von Berlichingen

Die Burg Jagsthausen im Landkreis Heilbronn ist eines der Stammsitze der Herren von Berlichingen. Ihr berühmtester Vertreter war jener Götz, dem Goethe sein gleichnamiges Schauspiel widmete. Seine Nachfahren laden seit 62 Jahren zu den Burgfestspielen.

Von Jule Reiner |
    Es ist schön in Jagsthausen; und die Familie derer von Berlichingen, die das Heilbronner Land im 14. Jahrhundert in Besitz nahm, hat diese Schönheit fast unbeschädigt durch die Zeiten gerettet. Und sie haben die Burgfestspiele auf dem einstigen Stammsitz des letzten schwäbischen Reichsritters, Gottfried, genannt Götz von Berlichingen, ins Leben gerufen. Im Sommer dann ist Jagsthausen ganz anders.

    Kommt man im Winter nach Jagsthausen, ist es, als wären Rosenhecken über das Dorf gewachsen. Nach der Abfahrt von der Autobahn ins Heilbronner Land werden die Sträßchen zwischen hügeligen Wiesen krumm und schmal, hier und da ein paar froststarre Weinbergparzellen, die Fachwerkdörfer wie vermummt. An einer Abzweigung ein handgebasteltes Schild: "Burgfestspiele 2011" steht noch darauf. Es gibt eine Hauptstraße, eine Schlossstraße und eine Brückenstraße in Jagsthausen. Die beiden ersteren bilden einen Bogen mit dem Flüsschen Jagst, die das Dorf umspielt. Eine romantische Steinbogenbrücke führt über den Fluss, dann ist das Dorf auch schon zu Ende. Und inmitten von allem liegen sie dann - die Götzenburg und die Johanneskirche, das Rote und das Weiße Schloss - mächtig und still. Auf der Götzenburg haben die Turmfalken im Winter ihre Ruhe. Kein Fackelzug, kein Feuerwerk oder Scheinwerferlicht stört sie in ihren Mauernischen auf. Es ist schön in Jagsthausen; und die Familie derer von Berlichingen, die das Heilbronner Land im 14. Jahrhundert in Besitz nahm, hat diese Schönheit fast unbeschädigt durch die Zeiten gerettet. Und sie haben die Burgfestspiele auf dem einstigen Stammsitz des letzten schwäbischen Reichsritters, Gottfried, genannt Götz von Berlichingen, ins Leben gerufen. Im Sommer dann ist Jagsthausen ganz anders.

    An solch einem Sommerabend haben die Turmfalken auf der Götzenburg nicht die besten Karten. Die "Rocky Horror Show" steht auf dem Programm. Ab in die Mauernischen und das Heim beschützt. Es wird zum Finale viel Knallerei und Gebrause geben, hat mir meine Freundin, die Schauspielerin Andrea Wolf, erzählt. Sie ist in der Nähe, in Mosbach, aufgewachsen und spielt im Jagsthäuser Ensemble mal die weibliche Hauptrolle im "Götz von Berlichingen", mal in Shakespeares "Was ihr wollt" oder auch gemeinsam mit ihrem Ehemann Hartmut Volle den beißenden Ehekrieg in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Wir werden später von den beiden hören. Im Augenblick singt sich Rif-Raf als Butler der durchgeknallten transsylvanischen Schlossgesellschaft im Gewölbegang warm, in der Maske werden noch mehrere Zentimeter Schminke auf das Gesicht des Hauptdarstellers Frank´n Furter aufgetragen, und vor dem Schlossturm geht’s zur letzten Generalprobe des unsterblichen Songs "Timewarp" - Zeitschleife.

    Die Rocky Horror Show nutzt die gesamte Burg für diesen Timewarp. Im Bühnengang mit den ausgetretenen Eichendielen sind auf Stühlen Strapse, Glamourboas, High-Heels und Dessous zurechtgelegt, und lauter halbseidene Wesen sausen den Korridor entlang. Es stehen aber auch Kartons mit den von Theaterinsidern "Ganzkörperkondome" genannten Regenhäuten bereit. Und eine spezielle Ansage dazu zieht das Publikum zu Beginn der Show in die Zeitverdrehung hinein.

    "Kommt ja nicht auf die beschissene Idee, eure verkackten Regenschirme auszupacken. Dann können die Leute hinter euch nämlich nichts sehen. Eure Regenwesten befinden sich unter euren Sitzen, falls Ihr welche gekauft habt. Bei Druckverlust fallen keine Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke. Und jetzt wichtigste Regel: Ihr dürft schmeißen, so viel ihr wollt. Reis, Klopapier, Juhjuuuh, Unterwäsche ..."

    Ein Publikumsmagnet, diese Show, jedes Jahr wieder gespielt. Das Eröffnungs- und Hauptstück ist aber von Anbeginn der Burgfestspiele vor 62 Jahren Goethes Schauspiel "Götz von Berlichingen mit der Eisernen Hand" von 1773. Mit diesem wichtigsten Werk des Sturm und Drang, steht in Wikipedia, habe Goethe mit der Figur des Ritters Götz die Grenzen zwischen der mittelalterlichen Welt des Faust- und Fehderechts und dem heraufkommenden Bürgertum einreißen wollen. Es gibt noch ein Schloss des Götz nicht weit von Jagsthausen in Rossach. Der Schlossherr ist sein direkter Nachfahre in der 18. Generation und heißt wiederum Götz Freiherr von Berlichingen. Er hat mich zu einem kleinen Schlossrundgang eingeladen.

    "Im Moment stehen wir hier gerade vor dem Torbogen von Schloss Rossach. Hier sieht man auch sehr schön oben das Wappen der Berlichingen. Es ist das fünfspeichige Rad und oben der Wolf, der das Lamm im Maul hat. Und Schloss Rossach wurde 1540 vom Götz von Berlichingen selbst erbaut.

    Er hat ja sehr viele Besitzungen gehabt. Aber die meisten hat er entweder selbst ererbt oder gekauft und hat viele Lehen auch gehabt, aber - wie gesagt - Schloss Rossach ist das einzige, was er selbst zu Lebzeiten eben erbaut hat. In der Tat ist Schloss Rossach und die Götzenburg all die Jahre in Familienbesitz geblieben. Ja, jeder Berlichingen hat einfach diesen Besitz als Verantwortung empfunden, das zu erhalten und an die nächste Generation eben weiterzugeben. Und ich hoffe, dass ich's eines Tages mal meinen Kindern weitergeben kann."

    Hier nun bewegen wir uns in einer anderen Zeitschleife. Die wie ein mächtiger Wachposten in die offene Landschaft gebaute Burg mit ihren schießschartenartigen Fenstern spiegelt das harte mittelalterliche Leben und lässt den Herrschaftsanspruch des alten Götz und auch den Raubritter in ihm fast noch zum Vorschein kommen. Ein im 18. Jahrhundert hinzu gebautes Wohnhaus, in dem heute auch der junge Götz lebt, wirkt hingegen romantisch. Ob es denn auch ein ehernes Gesetz gebe, das Erbe des Ritters mit der eisernen Hand zu wahren, frage ich ihn:

    "Ein richtiges Gesetz in dem Sinne gibt es nicht. Aber es ist ein wunderschönes Familiengut, was wir hier haben dürfen und auch erhalten dürfen. Das macht sicherlich den einen oder anderen Tag mal mehr Spaß, beim anderen gibt es auch mal Nächte, in denen man nicht so gut schlafen kann, weil einfach die Kosten eines solchen Besitzes sehr, sehr hoch sind und wir uns immer wieder neu überlegen müssen, wie schaffen wir es in der heutigen Zeit, diesen Besitz in die Zukunft zu retten. Und da haben wir ja bei uns in Jagsthausen 1949 die Festspiele gegründet. Großvater hat das ins Leben gerufen und ich glaube, er hat sich gar nicht vorgestellt, was er damit angestellt hat, dass das nach 62 Jahren immer noch so erfolgreich läuft. Und wir haben bei uns in der Götzenburg ein Museum. Da kann man die berühmte Eiserne Hand eben anschauen. Und es ist auch die original Eiserne Hand. Es ist also kein Plagiat oder irgendwas."

    Im Wirtschaftsgebäude des Schloss Rossach hat Freiherr von Berlichingen meinen beiden Freunden, den Schauspielern Andrea Wolf und Hartmut Volle, für die Festspielzeit Quartier gegeben. Es ist noch Zeit bis zu ihrem Auftritt als Martha und George im Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Und so fahren wir zum Kloster Schöntal, dem Ort, wo sich das Grabmal des Götz befindet. Das Tal an der Jagst haben im Mittelalter wiederum die Berlichingens besessen und es zur Klostergründung kostenlos freigegeben, allerdings unter einer Bedingung: Der Kreuzgang des Klosters sollte für alle Zeiten als Begräbnisstätte der Familie festgelegt sein.

    "Wir stehen hier jetzt im Kreuzgang des Klosters Schöntal vor einer ganzen Galerie von steinernen Männern, die in Grabplatten an der Wand stehen. Die meisten stehen auf dem besiegten Löwen. Götz von Berlichingen nicht. Er kniet auf dem Fehdehandschuh, den er seinem Kaiser zugeworfen hat. Er hat die Hände gefaltet und links oben ist ein Symbol. Das ist ein Wolf, der ein Lamm gerissen hat. Das räuberische Element, das auch im Götz steckt. Es ist beeindruckend, diese steinernen Männer zu sehen, wie lebendig sie hier sind. Ich selber hab vor zwölf Jahren den Weisling gespielt. Und damals war das schon beeindruckend, diese Götzenburg vor sich zu haben, diese Geschichte, der Hauch der Geschichte, der einen da anweht. Das macht was aus mit der Sprache. Es ist kein Kunstraum so wie im Theater, sondern es ist der Platz, wo sich vieles abgespielt hat. Man ist innerlich anders angerührt. "

    "Interessant ist, dass der Götz von Berlichingen, der ja auch den Beinamen hat 'Der Ritter mit der eisernen Hand', hier auf der Grabplatte nicht die eiserne Hand trägt. Er wollte mit zwei gesunden Händen vor seinen Herrgott treten. Und weil du das angesprochen hast, Hartmut, mit dem Wolf, der das Schaf reißt: Je nachdem, wen man fragt, hier in Jagsthausen und Umgebung, ist es der Raubritter oder der Reichsritter, das räuberische Element, aber auch das Beschützende, also der Wolf kann sich mit dem Schaf in friedlicher Weise verbinden."

    "Was dieser Ort , die Götzenburg, noch mit einem macht, während des Spielens, kann ich vielleicht mit einem kleinen Beispiel verdeutlichen. Ich bin als Weisling gestorben. Der böse Weisling wurde vergiftet und kriecht dann über die Bühne, robbt sich da rüber, wie man eben stirbt auf dem Theater. Und das war ein normaler Theatertod wie immer. Nur an einem Abend plötzlich krieg ich für diese Szene Applaus. Und ich dachte: Bin ich heute besonders gut gestorben oder was war das denn? Bis mir nach der Vorstellung jemand sagte, es war gespenstisch. Du hast dein Bühnenlicht ausgelöscht und in dem Augenblick flog über deinem Kopf ein Kauz mit Schwingen und verschwand hoch in dem Adelheidturm. Das war, wie wenn die böse Seele entfleucht. Und das sind natürlich Dinge, die kann man nicht inszenieren, die kann man nur an dem Abend erleben unter dem Sternenzelt und mit dieser ganz speziellen Atmosphäre."

    An diesem Abend schlüpft das Schauspielerehepaar in die Rolle, die einst Liz Taylor und Richard Burton berühmt gemacht hat. Als zeitgenössisches Paar Martha und George liefern sie sich in der Götzenburg eine Eheschlacht.

    Das Zeitrad dreht sich schon wieder in Jagsthausen. Die Burg wirkt jetzt wie eine unwirkliche Fassade, und das Stück spielt sich davor auf einer wie in Breitwand angelegten Gartenterrasse mit Swimmingpool ab. Kein Sternenzelt funkelt, nieseliger Regen kommt auf, der so schwer wird, dass selbst die Ganzkörperkondome der Regenhäute nicht mehr dicht halten. Martha muss sich in einer Szene in einen Gartensessel werfen, dessen Polster völlig voll Wasser gesogen sind. Das spritzt nur so unter ihr heraus, und wohl zum ersten Mal in der Geschichte des hochdramatischen Stoffes verwandelt sich manche Szene unfreiwillig zur Komödie. Auch damit müssen die Schauspieler umgehen, wie mit fliehenden Käuzen oder Turmfalken und auch, wenn sie sich bei Temperaturen von 30 Grad in Harnisch zwingen und den Ritter mit der eisernen Hand alljährlich wieder beleben.

    "Man muss Götz von Berlichingen in seiner Zeit sehen. Das waren einfach andere, ja andere Rechte, das Fehderecht, was abgeschafft worden ist im Wormser Reichstag. Götz von Berlichingen hat das zwar wahrgenommen, hat aber nicht ganz auf die Fehde verzichten wollen, musste dann harte Urfehde schwören und durfte Burg Hornberg, das ist ja noch ein anderes Schloss, was er 1517 gekauft hatte für sechseinhalb Tausend Gulden, durfte er dann nicht mehr verlassen. Und für diesen Ritter, der ja ein Reitersmann war, der immer auf Abenteuer aus war, der fühlte sich dann ja wie bei lebendigem Leib begraben. Aber der Kaiser, der auch immer wieder solche Persönlichkeiten gebraucht hat, hat ihn ja dann 1540 aus der Reichsacht entlassen, und er hat dann später noch 1542 und 1544 gegen die Türken und gegen die Franzosen gekämpft . Das muss man sich mal vorstellen. Der war über 60 Jahre alt , ist dann mit dem Pferd von Jagsthausen bis nach Wien geritten. Das ist für manchen, der heute mit dem Auto unterwegs ist mit Klimaanlage, schon schwierig. Und der hat das offenbar ganz fabelhaft gemacht. Und er ist ja dann noch wesentlich älter geworden, er ist ja 82 Jahre alt geworden. Also man sieht, er hat viel erlebt, er hat gut gelebt, er hat sehr viel Glück in seinem Leben gehabt. Und er hat eine sehr gute Schläue auch gehabt."