Es ist eine widersprüchliche Berliner Gegend, in der Autofahrer wohl bald auf die Bremse treten müssen: eine hübsche alte Dorfkirche neben einem eingezäunten Parkplatz, eine schicke Apotheke neben einer ollen Raucherkneipe, in der einer der Stammgäste nach zwei Sätzen gleich bei Adolf Hitler ist, obwohl ich ihn bloß nach seiner Meinung zu Tempo 30 gefragt habe. Draußen rauschen auf vier Pkw-Spuren und zwei Straßenbahnschienen die Fahrzeuge vorbei.
Hier an der B2 alias Berliner Allee wohnt auch Norbert Mahler, der das Tempolimit vor dem Verwaltungsgericht erstritten hat:
"Ich freue mich natürlich, dass das angeordnet wurde, und hoffe, dass das jetzt möglichst schnell umgesetzt wird."
Urteil kann noch angefochten werden
Seinetwegen müssen auf 900 Metern Länge dieser Hauptverkehrsstraße Richtung Nordosten bald alle Fahrzeuge Tempo 30 fahren. Außer: Die Berliner Behörden legen noch Rechtsmittel gegen das Urteil ein.
Dass es überhaupt so weit kommen würde hätte Norbert Mahler nicht gedacht, als 2011 alles losging und er sich in einer lokalen Bürgerinitiative engagierte. Dort war man sich einig:
"Es ist halt zu laut und es gibt zu viele Schadstoffe. Mit Tempo 30 kann man das um einiges reduzieren. Wir haben 2011 Antrag bei der Verkehrslenkung gestellt, mit Unterschriften und mehreren Anwohnern, darauf hin hat es hier ziemlich schnell die Möglichkeit zu Tempo 30 in den Nachtstunden gegeben. Aber darüber hinaus wollte man da keinen Bescheid erlassen."
27.000 Fahrzeuge täglich
Zwischen 22 und 6 Uhr gilt in diesem Abschnitt der B2 seit 2012 nun also Tempo 30. Zum Schutz vor Lärm. Doch hier fahren täglich um die 27.000 Fahrzeuge durch, so Mahler, vorzugsweise tagsüber. Dass er schließlich mit seinem Anliegen, auch die Luft sauberer zu bekommen, vor dem Verwaltungsgericht landen würde, hatte er nicht erwartet. Doch der Streit mit den Ämtern um die zeitliche Ausdehnung der Geschwindigkeitsbegrenzung zog sich so lange hin, dass er schließlich 2014 Untätigkeitsklage erhob und der Behörde im Prozess den städtischen Luftreinhalteplan vorhielt. Mahler:
"Tatsache ist: Es gibt die Richtwerte und die werden deutlich überschritten, und im Luftreinhalteplan steht halt drin, dass dann diese entsprechenden Maßnahmen zu treffen sind. Und darauf haben wir uns berufen."
Mahler bekam für den Prozess Unterstützung vom Bund für Umwelt und Naturschutz und einem Rechtsanwalt. Das Verwaltungsgericht folgte ihrer Argumentation in seinem Urteil und verpflichtete die Berliner Verkehrslenkung, das Tempo auf 30 zu reduzieren, um die Luftschadstoffe zu senken. Die Nachbarn an der B2 beurteilen das unterschiedlich:
"Ich find's gut, weil erstens wegen der Umwelt und zweitens sausen die dann hier wenigstens nicht immer hin und her wie die Irren."
Ein älterer Mann dagegen, Mitarbeiter vom Lieferservice nebenan, hält von Tempo 30:
"Garnischt. Weil alles langsamer fährt und der Spritverbrauch genauso hochgeht. Soll der doch mal in die Richtung machen, dass die Verkehrsregelung vernünftige Ampelschaltung macht. Was nützt mir das, wenn du sinnloserweise an jeder Ampel Rot kriegst, an jeder Ampel anhalten musst, das bist ja nicht du alleine, das sind ja, was weiß ich, wie viele, Zigtausende, die sinnloserweise anhalten müssen."
Kläger bekommt Unterstützung, aber auch Hassmails
Auch Norbert Mahler bekam gemischte Rückmeldungen nach dem Urteil. Manche Berliner fragten bei ihm an, weil sie gerne ähnliches in ihren Straßen erreichen würden. Persönliche Freunde und Bekannte haben ihm gratuliert.
"Aber ich kriege auch Mails von zum Beispiel einem Politiker, der da meint, ich soll in die Uckermark ziehen oder ein Mann, der mir gewünscht hat, dass, wenn mal ein Rettungswagen kommen muss, dass der hoffentlich auch nur 30 fahren darf."
Für Norbert Mahler sind solche Erfahrungen neu. Er sei keineswegs ein kampferprobter Fundi-Grüner oder dergleichen versichert der Familienvater im Foyer seines Hauses, indem einstmals auch schon Bertolt Brecht gewohnt hat. Für ihn war das eher ein Experiment in Sachen Bürgerrechte. Mit Aufwand und Ergebnis ist er durchaus zufrieden. Auch kostentechnisch. Nicht nur, weil der BUND die Kosten für den Anwalt übernommen hat:
"Es wurde vor dem Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass es kostenpflichtig ist, das waren aber nur 28 Euro, und die Sicherheitsleistung vor Gericht, die man vorstrecken musste, waren ungefähr 500 Euro."
Der Mittvierziger ist übrigens selbst auch Autofahrer, weiß also, was Tempo 30 bedeutet, und kennt mittlerweile sämtliche Perspektiven aufs Thema:
"Ich versuche natürlich, Tempo 30 immer einzuhalten. Keiner möchte gerne langsam fahren, alle wollen schnell vorwärtskommen, aber wenn's dann vor der eigenen Haustür ist, dann ist es den meisten Leuten halt dann doch recht."
Ihm selbst ist es nicht nur recht, er hat es nun auch!