Das schmale, schmiedeeiserne Garteneinfahrtstor steht bei Wolfgang Fischer immer offen. Meergrün und fast nicht zu erkennen von der angrenzenden vierspurigen Strasse aus. Der Münchner Verkehrslärm ist im grünen Hinterhof, besser Gartenrefugium, schnell vergessen:
"Ja, die warten da schon wieder. Die kenne ich alle. Das eine ist der Weißkopfadler, die andere heißt Berta."
Aufgereiht sitzen mindestens zehn Tauben auf einem Stromkabel hoch über Fischers Gartenhäuschen und lugen wartend zum gefüllten Vogelhäuschen. Der 77-jährige Hausbesitzer zeigt über sein Grundstück:
"1.013 Quadratmeter. Vorn sind wir zu fünft. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Im dritten Stock sind zwei, eine junge Damen, dann der Schreiner, der wohnt auch da oben, unten wohnt auch noch jemand drinnen, ein Freund."
"Auftrag" von der Großtante
1989 überschrieb ihm seine Großtante das große denkmalgeschützte Haus. Gebaut 1890. Damals 1,5 Millionen Mark wert. Heute liegt der Bodenrichtwert bei 11.000 Euro pro Quadratmeter:
"Wie es mir meine Großtante überschrieben hat, hat sie mir nach dem Notartermin zu mir gesagt: Das weißt fei schon, dass aus diesem Haus noch nie jemand rausgeflogen ist, weil er seine Miete grad nicht hat zahlen können? Und das möchte ich dir mitgeben. Das war für mich quasi ein Auftrag."
Im hinteren Teil des Grundstücks riecht es nach frischem Holz. Mehrere Generationen Tischler hat die Werkstatt bereits gesehen. Eine verwitterte Biergartengarnitur im frisch gemähten Rasen lädt zu Pausen ein:
"Ich bin jetzt seit elf Jahren hier, ja so in etwa."
Ludger Vollbracht arbeitete früher außerhalb von München wie die meisten Handwerker heute, nahm das Auto oder die S-Bahn. Viele alte Hinterhofwerkstätten Münchens, wie die Original Meister-Eder-Werkstatt im Lehel, mussten modernen Neubauten weichen.
"Totaler Glücksfall, in der Stadt gibt es entweder zu große Sachen oder zu kleine und auch viel zu teuer natürlich."
Fischer bleibt bei 12 Euro pro Quadratmeter
Über eine Million Mark, dann Euro, steckte Hausbesitzer Fischer in die Modernisierung seines Eigentums. 20 Prozent übernahm das Denkmalschutzamt. Kleinere Reparaturen machen die Mieter. Viele Nachbarn schrauben ihre Mietforderungen auf bis zu 40 Euro pro Quadratmeter hoch, der Vermieter-Rebell bleibt jedoch bei 12 Euro:
"Wenn bei mir ein Kind geboren worden ist, dann habe ich die Miete um 50 Euro, früher waren es 100 Mark, reduziert. Da habe ich schon Schwierigkeiten gekriegt. Der Finanzbeamte hat gesagt, ich kriege eine Anzeige, da habe ich gesagt, ja da freue ich mich schon drauf."
Der juristische Knackpunkt: Weicht die Miete von der ortsüblichen Vergleichsmiete - ergo Mietspiegel - um 66 Prozent ab, gilt die Vermietung als Liebhaberei. Jegliche Reparatur- oder Modernisierungskosten können nicht mehr voll steuerlich geltend gemacht werden. Erwartet wird von Vermietern wie selbstverständlich eine sogenannte Gewinnabsicht. Eine bezahlbare 12-Euro-Miete anstelle von 40 Euro klingt dem Fiskus nach Liebhaberei:
"Nein, das ist es aber nicht. Das ist eine Frechheit, weil: Ich kann doch nicht Leuten, mit denen ich jahrzehntelang beieinander bin, sagen: Sie, da sind jetzt die Mieten ringsum gestiegen um soundsoviel hundert Prozent, das mache ich mit meinen Leuten auch so? Das kann ich nicht. Was ist denn das?
Finanzamt orientiert sich an teuren Neuvermietungen
Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München und Bildungsreferentin der Landeshauptstadt, kennt das Problem: In den Münchner Mietspiegel fließen nur die Mieten der vergangenen vier Jahre ein, also die teuren Neuvermietungen. Und daran orientieren sich die Finanzbehörden. Nicht an den Bestandsmieten und den fairen Vermietern:
"Er bildet sozusagen nicht den Durchschnitt der Mieten ab. Ich halte zwei Dinge für falsch: Erstens, dass man meint, dass ein Geschäft nur vorliegt, wenn man den höchstmöglichen Profit erzielt, das halte ich für eine falsche rechtliche Bewertung."
Der Mietspiegel werde künstlich hochgeschraubt. Vermieter müssten nachziehen. Die Mieten steigen weiter. Ein Teufelskreis, so Zurek. Politisch durchaus gewollt, kritisiert auch der Münchner Vermieterverein Haus und Grund.
"In München gibt es sehr viele soziale Vermieter, leider kommen diese Vermieter in den Medien nicht so häufig vor."
Rechtsanwalt und Hausbesitzervertreter Rudolf Stürzer sieht Vermieter Wolfgang Fischer durchaus nicht als Querulant unter Miethaien.
Makler rennen ihm die Türen ein
An den exorbitanten Mieterhöhungen in München verdiene vor allem der Staat. Bezahlbares Wohnen sei aus steuerlicher Sicht gar nicht erwünscht:
"Wir haben die Einnahmen des Fiskus aus den Münchner Mieten mal hochgerechnet. Wir kommen hier auf eine Milliarde Euro pro Jahr, die der Fiskus allein von den Münchner Wohnungsvermietern einnimmt."
Bei einer Steigerung von drei Prozent, so Stürzer, wären das Mehreinnahmen von 32 Millionen Euro pro Jahr. Rechtlich möglich sind Mietsteigerungen von bis zu 15 Prozent alle drei Jahre. Wolfgang Fischer könnte gut 30 Euro pro Quadratmeter Miete nehmen, sein Grundstück ist 11 Millionen Euro wert. Die Immobilienmakler rennen ihm die Türen ein:
"Natürlich ist die Verlockung da, aber wenn dein Gewissen noch etwas zu sagen hat, dann wird die Verlockung nicht sehr langlebig sein. Stellen Sie sich vor: Es kommt jemand und stellt mir einen Koffer voll Geld hin und sagt, 'Da sind sieben Millionen Euro, das gehört alles Ihnen!', dann komme ich mir vor, als wollte der Teufel mir die Seele abkaufen."