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"Zu spät, zu wenig und zu ungefähr"

"Das Kurzzeitgedächtnis ist ein sehr großer Schutz für dieses Krisenmanagement der Bundeskanzlerin", kritisiert der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Finanzpolitik von Angela Merkel. "Was ich beklage, sind Positionsveränderungen, die verwirrend gewesen sind für das deutsche Publikum, für die Märkte und auch für die Partnerländer."

Peer Steinbrück im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Ist der Euro denn nun wirklich gerettet? Das ist die Frage, die sich heute Morgen viele stellen. Die Akteure in Brüssel und Berlin sehen das so, aber wir wissen ja: In der Vergangenheit folgte der Kater dann überaus rasch, die Halbwertzeit solcher Beschlüsse war oft nicht allzu groß. Immerhin, der Schwarze Freitag, das haben wir gerade gehört, wurde verhindert. Über all das wollen wir reden und dazu begrüße ich Peer Steinbrück, den früheren Finanzminister, jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Steinbrück!

    Peer Steinbrück: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Steinbrück, Sie haben gestern im Bundestag mit Ja gestimmt, aber eigentlich waren die Texte, die da gestern vorlagen, ja schon lange nicht mehr aktuell, weil die Gipfel-Ergebnisse – ich sage nur die Stichworte Bankenaufsicht und Rekapitalisierung der Banken –, weil das längst in Brüssel anders beschlossen worden ist. Was geht da in einem vor, wenn man so was mit Ja abstimmen muss?

    Steinbrück: Ich habe mit Ja abgestimmt, weil man sich immer über die Konsequenzen eines Neins klar werden muss, was das in dieser Zeit für Europa, für andere Länder heißt. Und da, sage ich, sind die Risiken, sind die möglichen Kosten sehr viel teurer als die nicht zu verleugnenden Risiken, die wir mit weiteren Unterstützungen eingehen. Ansonsten würde ich Ihnen gerne höflich widersprechen: Das, was wir gestern verabschiedet haben, ist aktuell. Das, was die Staats- und Regierungschefs am Freitagmorgen in Aufsicht genommen haben, wird erst im Laufe der Zeit hergestellt. Dann allerdings in der Tat wird die Bundeskanzlerin aus der Sicht der SPD erneut in den Bundestag gehen müssen, um sich eine Mehrheit für die dann anstehenden Erweiterungen zu holen.

    Zurheide: Hat Angela Merkel denn die Schleusen geöffnet, hat sie ihre eigenen roten Linien überschritten?

    Steinbrück: Eindeutig ja. Man kann nicht hier Mitte der Woche eine sehr martialische, fast apodiktische Rede halten nach dem Motto: Solange ich lebe, wird es mit mir keine Euro-Bonds geben. Und in Brüssel in der Tat eine Tür eingebaut haben, dass es zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen zu einer direkten Kapitalisierung von Banken kommen kann und dass Staaten auch geholfen wird, allein wenn sie sich rechtskonform halten, und nicht etwa wie bisher, dass eine Troika Prüfungen übernimmt und anschließend Auflagen definiert werden. Das ist eine etwas merkwürdige Vorgehensweise, hier den starken Max oder die starke Erika zu spielen, aber in Brüssel dann doch auf den Druck einzugehen.

    Zurheide: Jetzt wagen wir mal eine kühne Unterstellung: Unterstellen wir mal, Sie seien Bundeskanzler gewesen, hätten in Brüssel verhandeln müssen, hätten Sie ein anderes Ergebnis gehabt? Denn da war ja auch von Erpressung der Südländer die Rede und man kann das so werten, was Monti und andere da gemacht haben.

    Steinbrück: Da will ich gar nicht naseweis erscheinen und als Schlauberger. Es ist in der Tendenz richtig gewesen, dass Frau Merkel behilflich gewesen ist, dass die Südländer aus dem wahnsinnigen Zinsdruck herauskommen. Das ist ja das, was Herrn Monti, Herrn Rajoy am meisten beschäftigt, nach dem Motto: Ich unternehme erhebliche Anstrengungen, zu konsolidieren. - um mal auf Italien und den Ministerpräsidenten Monti zu sprechen zu kommen - trotzdem strafen mich die Märkte unverhältnismäßig ab, indem sie mir extrem hohe Zinsen abverlangen. Und dies ist natürlich eine Schraube, die immer tiefer in die Schwierigkeiten führen kann.

    Zurheide: Es ist richtig, dass die Banken rekapitalisiert werden müssen, das wissen wir alle. Die Zinsen sind zu hoch, jetzt sind sie gestern schon gesunken. Nur die Grundfrage ist ja: Wie geht das, wenn die Wirtschaft durch Sparmaßnahmen so in die Knie geht, wie wir das im Moment im Süden Europas beobachten? Und das wird ja irgendwann hier bei uns auch rüberschwappen!

    Steinbrück: Ja, deshalb hat die SPD ja seit über zwei Jahren den Standpunkt vertreten, dass alleine Konsolidierung nicht ausreicht, sondern dass man Wachstumsimpulse geben muss. Es hat lange gedauert, bis dies auch zur Philosophie oder zum Maßstab der Bundesregierung in Brüssel wurde. Wir sind froh, dass das jetzt endlich gelungen ist in Abstimmung insbesondere auch mit den wichtigen andern Partnerländern. Man muss die Devise verfolgen, die ja einmal erfolgreich auch in der Großen Koalition gewesen ist, die hieß: investieren, konsolidieren und reformieren. Und der Akzent im bisherigen europäischen Krisenmanagement ist eben eine Art Sparkeule gewesen und das reicht nicht!

    Zurheide: Es hat den Eindruck, als wenn da überwiegend bestraft werden soll für falsches Verhalten und dass zu wenig Anreize gesetzt werden. Reicht denn das, was da jetzt gemacht wird? Denn dieser Wachstumspakt, die 120 Milliarden, das ist ja Geld, was weitgehend schon da war, reicht das eigentlich aus?

    Steinbrück: Na ja, immerhin, immerhin! Also, zu sagen, es ist immer nicht genug und mehr, sprach der kleine Häwelmann – ist, glaube ich, so ein kleines Märchen gewesen, das ich als Kind gelesen habe –, das macht ja keinen Sinn. Sondern nun wollen wir erst mal dafür Sorge tragen, dass mit diesen Mitteln wieder Wind unter die Flügel kommt insbesondere der mediterranen Partnerländer, die es notwendig haben.

    Zurheide: Sehen Sie denn, dass die Konjunktur nicht insgesamt einbrechen wird? Auch hier bei uns, die Wirtschaftsaussichten in der Bundesrepublik sind trübe, die Arbeitsmarktzahlen, von denen wir jetzt gehört haben in dieser Woche, deuten ja auch darauf hin, dass der Aufschwung erst mal vorbei ist. Das heißt doch, Steuereinnahmen werden eher sinken als weiter steigen?

    Steinbrück: Ja, und auch mit Blick auf die zunehmenden oder weitergehenden Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Ländern ist der Haushaltsplanentwurf, den Herr Schäuble vorgelegt hat, bereits wieder Makulatur. Ja, es stimmt, es gibt einzelne Indikatoren, die darauf hinweisen, dass die Konjunktur sich eintrübt. Es gibt die ersten größeren Betriebe, die Kurzarbeit anmelden. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass das sehr exportgetriebene Wachstums- und Wirtschaftsmodell Bundesrepublik Deutschland in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn es unseren Nachbarn schlechter geht. Aber das predigen wir nun, Herr Steinmeier, Herr Gabriel und ich, seit über zwei Jahren.

    Zurheide: Nun beschließt man in so einer Situation einen Fiskalpakt, der sie dann noch weiter abschnürt. Ich meine, es ist doch absehbar, dass man dem kaum gerecht werden kann, oder? Oder heißt das dann, Sparen, wirklich bis es quietscht?

    Steinbrück: Nein, der Fiskalpakt ist ein Instrumentenkasten, ein Instrumentenkasten, der andere Länder anhalten soll, sich disziplinierter zu verhalten, Haushaltsdisziplin herzustellen. Das ist völlig richtig. Der Fiskalpakt für sich findet nicht meine Kritik, zumal er längst zu 80 Prozent europäisches Recht ist und die anderen 20 Prozent zum Beispiel eine Schuldenbremse enthalten, die ich ja maßgeblich mit betrieben habe auch in Deutschland, um sie ins Grundgesetz zu bringen. Aber für sich genommen noch einmal, ist der Fiskalpakt ein Instrumentenkasten. Er muss nur ergänzt werden um einen weiteren Instrumentenkasten, der, wie ich vorhin gesagt habe, Wind unter die Flügel von Ländern bringt, die am Abstürzen sind.

    Zurheide: Bewerten wir das Ganze noch mal politisch: Auch Sie haben gerade gesagt, na ja, im Prinzip hat die Kanzlerin das, was sie jetzt getan hat, richtig gemacht, nur eben zu spät. Ist das das Unterscheidungskriterium der SPD, immer am Ende doch Ja zu sagen?

    Steinbrück: Nein. Die Kritik geht etwas weiter. Es ist immer zu spät, zu wenig und zu ungefähr gewesen. Und das Kurzzeitgedächtnis ist ein sehr großer Schutz für dieses Krisenmanagement der Bundeskanzlerin. Das fing mal an mit "die Griechen kriegen keinen Cent", schon vergessen? Das ging weiter nach dem Motto "wir brauchen einen temporären, einen kurzfristigen Rettungsschirm, den wir aber in Wirklichkeit gar nicht einsetzen wollen", schwuppdiwupp war ein permanenter Rettungsschirm dort! Das war ein sehr selbstbestimmter Auftritt, "wir brauchen Sanktionen". Die wurden dann aufgegeben bei einem berühmten Spaziergang in Deauville mit Präsident Sarkozy seinerzeit. Das heißt, das, was ich beklage, sind Volten, sind Positionsveränderungen, die verwirrend gewesen sind für das deutsche Publikum, für die Märkte und auch für die Partnerländer.

    Zurheide: Reicht das aber für die SPD als Unterscheidungskriterien? Man soll Sie ja wählen, das wollen Sie jedenfalls gerne, und nicht die Kanzlerin, die die Schutzpatronin der Sparer und Steuerzahler ist – so geriert sie sich.

    Steinbrück: Na ja, man muss da manchmal alte Reden und Positionen ausgraben, die die SPD vor einem oder zwei Jahren gehalten hat. Und ich kann mich erinnern, dass wir in diesen Positionen immer weitergehender gewesen sind, auch mit Blick zum Beispiel auf eine bessere europäische Bankenaufsicht mit der Notwendigkeit, Einlagensicherungsfonds auf nationaler Ebene zu stärken, endlich in Europa als Antwort auf die leidige Bemerkung, die Banken sind zu groß, als dass sie fallen gelassen werden dürfen, sie müssen mit Steuerzahlergeld gepampert werden! Ich kann mich erinnern, dass ich im März 2011 eine Rede im Bundestag gehalten habe, dass wir auf europäischer Ebene ein Bankeninsolvenz- und Restrukturierungsrecht brauchen, um die eine oder andere Bank auch in die Insolvenz, in eine geordnete Insolvenz gehen zu lassen. Das sind ja alles Positionen gewesen, die offenbar mit einer zweijährigen Verspätung dann wieder auf die Tagesordnung kommen!

    Zurheide: Das war Peer Steinbrück, herzlichen Dank für dieses Gespräch, der frühere Finanzminister von der SPD.


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