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Zu viel Wirbel

Seit mehr als einem Monat sitzen die Greenpeace-Aktivisten in Murmansk im Norden Russlands in Haft, weil sie gegen die Ölförderung in der Arktis protestierten. Das hat eine weltweite Empörung ausgelöst. Die Menschen vor Ort setzen jedoch vor allem Hoffnungen in den Ölsektor.

Von Gesine Dornblüth |
    Natascha steht vor dem Untersuchungsgefängnis in Murmansk. Ihre Tochter sitzt dort, sie ist wegen Diebstahls angeklagt, Natascha will Lebensmittel abgeben. Von ihrer Tochter weiß sie, dass auch 30 Aktivisten von Greenpeace in diesem Gefängnis sitzen, die meisten Ausländer. Viel mehr weiß Natascha nicht.

    "Wissen Sie, wir haben hier unsere eigenen Probleme, da hab ich für die Probleme von Greenpeace keine Zeit. Eigentlich bin ich auch dagegen, dass in der Arktis Öl gefördert wird. Man sollte die Arktis in Ruhe lassen. Aber nun hat es so viel Wirbel um den Protest von Greenpeace gegeben - da weiß ich gar nicht mehr, was ich davon halten soll."

    Präsident Putin betrachtet die Öl- und Gasförderung in der Arktis als eine strategische Aufgabe Russlands. Viele Menschen in der Region unterstützen das – oft aus Mangel an anderen Perspektiven. Murmansk, die größte Stadt der Arktis weit hinter dem Polarkreis gelegen, hat ihre besten Zeiten hinter sich. Die Umweltbelastung ist enorm. In den letzten 20 Jahren haben mehr als ein Drittel der Anwohner Murmansk verlassen.

    Das Heimatmuseum von Murmansk. Auf drei Etagen ist die Geschichte der Industrialisierung der Region zu sehen, dazu ausgestopfte Tiere und seltene Mineralien. Gerade ist eine Schulklasse da. An der Garderobe steht Aleksandra Fjodorowna. Greenpeace warnt, die Öl- und Gasförderung in der Arktis berge unkalkulierbare Umweltrisiken. Aleksandra Fjodorowna schüttelt den Kopf.

    "Vielleicht gibt es dann keinen Fisch mehr. Aber darüber werden die Experten schon nachgedacht haben. Baden kann man bei uns sowieso nicht, dazu ist es zu kalt."

    Und es ist auch zu verseucht. Das Militär hat jahrzehntelang seine ausrangierten Atom-U-Boote einfach im Meer versenkt.

    Große Pläne - aufgeschoben
    Aleksandra Fjodorowna kommt aus Teriberka, einem kleinen Küstenort nicht weit von Murmansk entfernt. Für Teriberka gab es vor einigen Jahren große Pläne. Sie hingen mit der geplanten Erschließung des Stockmann-Gasfelds in der Barentssee zusammen. In dem Küstenort sollten die dazugehörigen Industrieanlagen entstehen. Aber die Gasförderung im Stockmannfeld ist aufgeschoben, die Kosten sind zu hoch. Schade, findet Aleksandra Fjodorowna:

    "In den 50er-Jahren gab es bei uns eine Fischfabrik, eine kleine Werft, eine Viehzucht. Das ist alles zerstört, und die Leute hatten gehofft, dass mit dem Stockmann-Gasfeld das Leben wiederkehren würde. Dass es Arbeitsplätze gibt, dass gebaut wird. Aber daraus ist nichts geworden."

    Nun hoffen sie, wenigstens von den Ölbohrungen in der Barentssee zu profitieren. Genauso sieht es Valentina Morozowa. Sie arbeitet bei der Atom-U-Boot-Flotte. Auf dem Heimweg kommt sie am Bahnhof von Murmansk vorbei. Gerade fährt der Zug nach Moskau ab, 36 Stunden ist er unterwegs, dazu schallt Musik über den Vorplatz.

    "Unsere Zeitungen schreiben ständig über den bevorstehenden Ölboom im Norden. Wir hoffen alle darauf. Mein Sohn macht sogar in St. Petersburg ein entsprechendes Studium. Er will später in den Ölsektor."

    Viele staatsnahe russische Medien suggerieren, Greenpeace handele im Auftrag anderer Staaten, habe speziell gegen die russische Ölplattform protestiert, um Russland die Rohstoffe der Arktis streitig zu machen.

    "Ich habe versucht, rauszukriegen, was Greenpeace eigentlich will. Aber wir wissen hier vieles gar nicht, wir bekommen bestimmt keine vollständigen Informationen. Deshalb bilde ich mir lieber gar keine Meinung."

    Das russische Staatsradio bezeichnete Greenpeace gar als eine Art Sekte und "ökologische Al Quaida". Die Propaganda wirkt. Auch bei Aleksandra Fjodorowna, der Garderobenfrau im Heimatmuseum von Murmansk.

    "Ich habe in unseren Lokalzeitungen über die Greenpeace-Aktion gelesen. Im Fernsehen reden sie auch viel darüber. Ich glaube nicht, dass das eine friedliche Aktion war. Eine Aktion ist friedlich, wenn sie mit den Behörden abgestimmt wurde. Greenpeace aber hat ein Schiff geentert, wie in einem Piratenfilm."

    Nebenbei: Greenpeace hat kein Schiff geentert. Es geht um eine Ölplattform.