Burkhard Müller-Ullrich: Jetzt geht es um eine Konferenz in Stuttgart, die von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit veranstaltet wird, und zwar in der Staatsgalerie Stuttgart. "Grenzen des Wachstums - Das Kunstmuseum gestern, heute und morgen" ist der Titel und darüber habe ich vorhin mit der Direktorin der Staatsgalerie, Christiane Lange, gesprochen. Sie hat mit der These, es gebe vielleicht einfach zu viele Museen, gerade ziemliches Aufsehen erregt und deswegen habe ich sie an das vor drei Jahren erschienene Buch "Kulturinfarkt" erinnert und gefragt, ob ihre These jetzt ein Anwendungsfall sei.
Christiane Lange: Nein. Es ist schon etwas anderes als der Kulturinfarkt, der das ja doch sehr pauschal für alle Kulturinstitutionen über einen Kamm scherte und als Spontanlösung sagte, die Hälfte des Angebots bei gleichbleibenden Subventionen, das ist die Lösung. Ich sage mitnichten, dass wir Lösungen haben; ich sage aber, es ist höchste Zeit, über den Ist-Zustand sich Gedanken zu machen, damit wir vielleicht gemeinsam auf wirklich praktikable Lösungen kommen können.
Müller-Ullrich: Ihre These ist ja, dass es einfach vielleicht zu viele Museen gibt. Sie haben die Zahl von 700 in den Raum gestellt, 700 Museen, die in den letzten wieviel Jahren neu entstanden sind in Deutschland?
Lange: Es sind in den letzten 25 Jahren insgesamt über 2.000 Museen entstanden. Davor hatten wir bis 1990 4.000 Museen. Wir haben jetzt über 6.000 Museen in Deutschland. Davon sind immer konstant zehn Prozent Kunstmuseen. Da kommen aber dann noch in Deutschland rund 400 Ausstellungshäuser dazu und so kommt es auf diese hohe Zahl von rund über 700 Orten, wo man institutionell Kunst sehen kann.
"Öffentliche Institution Museum bestimm den Qualitäts- und Kulturkanon"
Müller-Ullrich: Wenn man dieses Wachstum, das Sie problematisieren, jetzt einfach mal ganz grobschlächtig betrachtet, könnte man ja sagen: Na ja, die Zeit vergeht, es wird immer wieder neue Kunst gemacht, die kommt hinzu, die wird irgendwo gesammelt, und die Nationalbibliotheken können ja auch nicht sagen, Grenzen des Wachstums, wir sammeln nur noch Bücher über 500 Seiten oder nur Bestseller.
Lange: Das ist ein schöner Vergleich. Ich denke, man muss weiter sammeln. Aber muss man alles, was man sammelt, auch eins zu eins ausstellen? Diese Frage muss man sich schon stellen.
Müller-Ullrich: Das wichtigste Feld im Zusammenhang mit der ganzen Problematik ist ja wohl das Verhältnis zwischen Staat und privaten Sammlern. Die vielen Museen sind unter anderem auch entstanden, weil es private Sammlungen gibt, die von den Sammlern entweder selbst finanziert, oder dem Staat irgendwo untergejubelt werden: Kümmert ihr euch darum, wir schenken euch die Werke, aber da kommen dann doch erhebliche Kosten noch zusammen. Bei diesem Verhältnis hat man das Gefühl, dass die Sammler, die ja nun der eigentliche Motor des Ganzen sind, ein bisschen schlecht wegkommen.
Lange: Es geht nicht um ein schlecht wegkommen, sondern es wäre schön, wenn wir wieder echte Mäzene hätten, die wie in der Vergangenheit ihre Leidenschaft für die Kunst auch wieder in der Form der Öffentlichkeit zugutekommen lassen, wie das in der Vergangenheit oftmals der Fall war.
Müller-Ullrich: Haben wir denn jetzt falsche Mäzene?
Lange: Ein Museumsgründer ist kein Mäzen und konterkariert in gewisser Weise natürlich die Idee des öffentlichen Museums, wo eben nicht der Privatgeschmack des Einzelnen, wie wir das mit der Aufklärung, mit den fürstlichen Sammlungen glaubten, hinter uns zu lassen, das wird ja in Neuauflage gerade in der Gegenwart getan. Während die öffentliche Institution Museum möchte dem ja eigentlich etwas entgegensetzen, bestimmt dann auch den Qualitäts- und Kulturkanon. Vieles ist dann einfach auch sinnvoll in eine öffentliche Institution überführt worden wie bei dem Sammlerehepaar Ludwig beispielsweise. Aber für die großen öffentlichen Institutionen ist aus den meisten Sammlungen nur ein kleiner Teil von Interesse und von daher ist es ein Widerspruch in sich, wenn ich sage, jede Sammlung muss in toto dann irgendwo öffentlich gemacht werden.
"Sammeln ist die ureigenste Aufgabe des Museums"
Müller-Ullrich: Was gehört denn zu einem guten funktionierenden Museum heute?
Lange: Heutzutage ist es ein selbstverständlicher Standard, dass man in einem Museum auch Unterhaltung findet, dass es eine Kunstvermittlung gibt, dass ich auch Werkstatträume habe, dass ich Wechselausstellungen zeige.
Müller-Ullrich: Gehört auch ein Ankaufsetat zum Museum?
Lange: Ein Sammeln ist die ureigenste Aufgabe des Museums und die Museen haben, je nachdem in welchem Bundesland sie sich befinden, unterschiedliche Ankaufsetats. Wir im Südwesten sind noch in der glücklichen Lage, über einen ganz erfreulichen Ankaufetat zu verfügen, und alles, was darüber hinausgeht, gerade weil die Schere zum Kunstmarkt natürlich sich immer vergrößert, muss natürlich dann auch durch privates Engagement geschlossen werden. Wir haben jetzt gerade mit dem Ankauf des Wandbildes Schlemmer mit einem wirklich extrem breiten und hohen Engagement der Stuttgarter Bürger, Firmen, Stiftungen wieder gezeigt, dass so etwas auch möglich ist, dass man Dinge, die von musealer Bedeutung sind, dass man dafür dann auch die Gelder auftreibt, und ich denke, das ist in allen Museen nach wie vor der Fall, und die Klage, dass Ankaufsetats für die Museen zu gering sind, die ist ja generell da, seit es Museen gibt.
Müller-Ullrich: Die Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, Christiane Lange, anlässlich einer zweitägigen Konferenz über die Frage, was ist ein Museum und wenn ja, wie viele.
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