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Zu wenig Nachwuchs beim Nordsee-Hering

In Brüssel treffen sich in dieser Woche die für Fischerei zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten, um wie jedes Jahr kurz vor Weihnachten die Fangquoten festzulegen für die Hochsee-Fischer im Nordatlantik und in Nord- und Ostsee. Im Mittelpunkt dürfte auch dieses Mal wieder der Nordsee-Kabeljau stehen. Dessen Bestand ist nach wie vor so gefährdet, dass er am besten gar nicht mehr gefangen werden sollte. Doch Sorge bereitet den Meeresbiologen nun auch der Nordsee-Hering - hier bleibt der Nachwuchs aus.

Von Lutz Reidt | 19.12.2005
    In Zeiten, in denen der Kabeljau aus der Nordsee nach und nach verschwindet, sollte eigentlich der Hering ein Hoffnungsträger der Fischerei sein. Denn seit dem Fangstopp Ende der 70er Jahre hat sich der Hering prächtig erholt. Der Bestand ist so groß wie seit 35 Jahren nicht mehr. Doch Sorge bereitet zunehmend der Nachwuchs. Der vierte schwache Jahrgang in Folge kündet von einer möglichen Trendwende, sagt der Biologe Dr. Christopher Zimmermann:

    " Die Fischerei wird getragen im Moment von dem sehr starken ´98 und 2000er Jahrgang. Das waren die letzten beiden sehr starken Jahrgänge und die werden also in den nächsten zwei, drei Jahren zunehmend aus der Fischerei verschwinden, je älter sie werden und dann eben ersetzt durch die sehr schwachen Nachwuchs-Jahrgänge ab 2002. "

    Christopher Zimmermann ist deutscher Delegierter beim ICES, dem Internationalen Rat für Meeresforschung in Kopenhagen. Die Fischereiexperten vom ICES empfehlen den Ministern der Europäischen Union, auf dem Fischereirat, die Fangquoten für Nordsee-Hering im nächsten Jahr vorsorglich um 15 Prozent zu senken.

    Solche Fangempfehlungen der Wissenschaftler sind jedoch nicht bindend: Beispiel Kabeljau: Vor Jahresfrist hatten die Politiker den Fischern zugestanden, rund 27.000 Tonnen aus der Nordsee zu ziehen. Und dies, obwohl die ICES-Forscher einen Fangstopp beim Nordsee-Kabeljau dringend angemahnt hatten. Genauso für das kommende Jahr - zum vierten Mal in Folge! Der ICES geht davon aus, dass die Fischer in Wirklichkeit drei- bis viermal mehr Kabeljau fangen als ihnen zugestanden wird - hinzu kommen nämlich noch Beifänge, Schwarzanlandungen und Jungfische, die gleich wieder über Bord geworfen werden, sagt Professor Gerd Hubold vom Institut für Seefischerei in Hamburg:

    " Wir haben derzeit, wenn wir die Beifänge mitrechnen, immer noch 78.000 Tonnen jährliche Fänge; das führt dazu, dass eben dieser Elternbestand weiter in dieser kleinen Größenordnung verbleibt und sich nicht aufbauen kann. Wenn wir so weiter machen, können wir pro Jahr vielleicht 20.000 Tonnen anlanden, dann eben die Beifänge dazu gerechnet eine erhebliche Zahl; aber das kann auf Dauer dazu führen, dass der Bestand wirklich zusammenbricht. "

    Zwiespältig ist die Situation beim Seehecht im Nordostatlantik. Der südliche Bestand rund um die iberische Halbinsel ist in einem desolaten Zustand. Der ICES rät auch hier dringend, die Fischerei einzustellen - was insbesondere die Spanier träfe, sollte die EU in Brüssel dieser Empfehlung folgen. Doch Christopher Zimmermann kann auch Positives berichten:

    " Der Zustand für den nördlichen Seehecht, der auch in der Biscaya vorkommt, sieht deutlich besser aus; und es scheint mit dem Bestand aufwärts zu gehen - so sehr, dass der ICES die Fangempfehlung für das nächste Jahr im Vergleich zu diesem Jahr sogar raufsetzen konnte. "

    Dies vor allem deshalb, weil der sehr gute Nachwuchs-Jahrgang von 2002 den Bestand gestärkt hat. Wie es jedoch mit dem Hering in der Nordsee weiter geht, bleibt offen. Der nächste Jahrgang entwickelt sich erst in den nächsten Wochen und Monaten. Im Frühjahr wird Christopher Zimmermann wissen, ob endlich wieder mehr Jungheringe heranwachsen. Gegenwärtig jedoch lässt sich der Zwiespalt nicht auflösen - ein riesiger Elternbestand und ganz wenig Jungfische:

    " Es ist abzusehen, dass der Bestand sich in kürzester Zeit in einer rasanten Talfahrt befindet, aber das heißt nicht: dem Nordsee-Bestand geht es schlecht, es geht ihm zur Zeit so gut wie es ihm seit 35 Jahren nicht ging. Das muss man wirklich unterscheiden. Man muss jetzt anfangen, gegenzusteuern. Und wenn wir eine starke Nachwuchs-Produktion in den nächsten Jahren bekommen, kann es sein, dass dies alles an uns vorbeizieht; das hoffen wir natürlich, aber das ist so nicht vorhersagbar. "