Gesundheit
Warum es so schwer ist, auf Zucker zu verzichten

Wir essen zu viel Zucker und das schadet uns - doch so oft können wir das Süße kaum oder gar nicht lassen. Forschern wird immer deutlicher: Zuckerkonsum verändert Strukturen im Gehirn – und erschwert den Verzicht. Was kann jeder Einzelne tun?

Von Stephanie Kowalewski |
    Bunte Lutscher werden während eines Volksfestes an einem Stand zum Kauf angeboten.
    Wenn wir Zucker essen, laufen sehr alte Prozesse in unserem Gehirn ab: Es schüttet besonders viel vom Glückshormon Dopamin aus - denn Zucker liefert lebenswichtige Energie. (picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Kuchen, Eis, Softdrinks: Zucker ist in zahlreichen Lebensmitteln enthalten – und wir können häufig kaum oder gar nicht widerstehen. Daneben nehmen wir Zucker aber auch sehr häufig unbewusst zu uns – in Produkten wie Brot, Dosenerbsen oder geräuchertem Lachs. Die Folge: Wir essen viel mehr Zucker, als gesund wäre. Doch warum fällt es so schwer, dagegen zu steuern? Was hat unser Gehirn damit zu tun? Welche staatlichen Regelungen könnten helfen? Und was kann jede und jeder Einzelne tun?

    Inhalt

    Warum haben wir Heißhunger auf Zucker?

    Wir sind dem süßen Geschmack verfallen, denn er löst eine besonders hohe Dopaminreaktion aus. Und von diesem Glückshormon können wir nicht genug kriegen. In unserem Gehirn laufen dabei Millionen Jahre alte unterbewusste Prozesse ab, denn Zucker ist ein lebenswichtiger Energielieferant. Zucker an sich ist also nicht das Problem. Die Menge, die wir zu uns nehmen, schon. Obwohl wir das wissen, gelingt uns der Verzicht kaum.
    Warum das so ist, erforscht der Neurowissenschaftler Marc Tittgemeyer am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung. Er sagt, das Gehirn signalisiere: Zucker ist gut, mehr davon. Sich dem zu widersetzen, sei schwer.
    Und es werde umso schwerer, je übergewichtiger eine Person ist. Denn dadurch veränderten sich auch die Signalwege im Gehirn. Man isst immer weiter, unbewusst – weil das Gehirn das so will. „Adipositas ist kein Disziplinproblem“, sagt der Stoffwechselexperte. „Das ist wirklich Quatsch. Die Menschen essen, weil sie dick sind.“ Ein Teufelskreis.

    Wie programmiert Zucker das Gehirn?

    Tittgemeyers neueste Untersuchungen zeigen, dass Zucker vor allem in der Kombination mit Fett unser Gehirn bereits innerhalb von zwei Monaten umprogrammiert. In der Studie aßen normalgewichtige Probanden acht Wochen lang zusätzlich zu ihren normalen Mahlzeiten täglich einen Pudding. Bei der einen Gruppe war der Pudding sehr reich an Zucker und Fett, bei der anderen war er weniger süß, dafür sehr proteinreich. Die Kilokalorienzahl war bei beiden Puddings gleich.
    MRT-Untersuchungen während der Studie zeigten bei der Gruppe mit dem süßen und fettigen Pudding eine deutlich stärkere Antwort im Belohnungszentrum des Gehirns - und das signalisiert: Ich will das jetzt haben und ich will mehr davon. In nur acht Wochen veränderten sich die Vorlieben: Weniger süßes und fettes Essen wird nicht mehr so gerne gemocht. „Da werden neue Synapsen formiert“, erklärt der Neurowissenschaftler, „da wird unser Hirn in gewisser Weise neu verdrahtet.“

    Wieso ist die Vorliebe für Zucker schlecht für den Körper?

    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen höchstens 50 Gramm zugesetzten Zucker pro Tag. 25 Gramm wären besser. Im Schnitt kommt jeder Deutsche aber auf fast 95 Gramm Zucker pro Tag.
    Unser Körper ist mit solchen Mengen überfordert. Er wandelt den Zuckerüberschuss in Fett um und wir werden dicker. Seit 1990 hat sich weltweit die Adipositas-Rate bei Frauen in etwa verdoppelt, bei Männern verdreifacht und bei Kindern und Jugendlichen ist sie sogar viermal so hoch. Damit nehmen auch Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle zu. In Deutschland ist rund jeder Zehnte an Typ-2-Diabetes erkrankt. Letztlich kann der süße Stoff tödlich sein.

    Warum ist der Verzicht auf Zucker so schwer?

    Laut Ernährungsreport 2023 des zuständigen Bundesministeriums achten zwar die meisten beim Kauf von verarbeiteten Lebensmitteln auf den Zuckergehalt.
    Doch es wird uns sehr schwer gemacht, überhaupt zu erkennen, in welchem Lebensmittel wie viel Süße steckt. Sie hat dutzende Namen und ist nur zu entdecken, wenn wir gezielt auf den Zutatenlisten danach suchen. Eine gesunde Kaufentscheidung leichter machen könnte ein verpflichtender Nutri-Score, bei dem auch Süßstoffe berücksichtigt werden.
    Obendrein sind süße Lebensmittel und Getränke heute überall und jederzeit verfügbar und schon ihr Anblick löst in unserem Gehirn, das hier quasi noch wie in der Steinzeit funktioniert, Heißhungerattacken aus. So kommen wir zu unserer täglichen Überdosis Zucker.

    Ist Zucker mit Suchtstoffen wie Alkohol und Nikotin vergleichbar?

    Viele sprechen inzwischen von einer Zuckersucht. Eindeutige wissenschaftliche Belege dafür gibt es allerdings nicht. Im Vergleich zu Kokain, Alkohol, Nikotin und anderen Drogen gilt Zucker nicht als klassisches Suchtmittel. Unstrittig ist allerdings, dass Zucker für viele Menschen wegen der ausgebildeten Vorliebe für den süßen Geschmack und der hohen Dopaminreaktion eine süchtig machende Substanz sein kann.

    Kann eine Zuckersteuer helfen?

    Beobachtungsstudien zeigen, dass die meisten Menschen allgemeine Ernährungsempfehlungen nicht befolgen und Diätprogramme oder Lebensstilinterventionen nur in rund 20 Prozent der Fälle gelingen. Je mehr Körperfett man mit sich rumträgt, desto schwieriger wird es.
    Deshalb führt für Neurowissenschaftler Marc Tittgemeyer kein Weg an einer staatlichen Zucker-Regulierung vorbei: „Selbstregulierung kann nur funktionieren, wenn ich mir bewusst bin, was ich tue, und wenn ich selbstständig was ändern kann. Wenn ich das aber nicht mehr kann, dann muss jemand anderes eingreifen.“
    Auch rund 75 Prozent der befragten Verbraucher sprechen sich in einer Umfrage im Auftrag des Konsumgüterverbandes FMCG eher für eine staatliche Regulierung beim Zucker aus. Im Juni 2024 fordern auf der Verbraucherschutzministerkonferenz 9 von 16 Bundesländern die Bundesregierung auf, die Einführung einer Zuckersteuer ernsthaft zu prüfen. Da die FDP sich in der Ampelkoalition aber strikt gegen eine neue Steuer ausspricht, ist sie derzeit nicht in Sicht.
    Länder wie Mexiko, Indien, Brasilien, Frankreich, Finnland und Großbritannien setzten im Kampf gegen die Adipositas-Pandemie auf eine Zuckersteuer für Softdrinks, die den größten Anteil am Konsum von zugesetztem Zucker haben.

    Was macht Großbritanniens Zuckersteuer zum Vorbild?

    Großbritannien führte 2018 eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke ein. Je mehr Zucker ein Getränk enthält, desto höher ist die Steuer. Das führte dazu, dass der Zuckergehalt in den Softdrinks um rund 30 Prozent gesunken ist.
    Schon seit der Ankündigung 2016 halbierte sich der Zuckerkonsum bei Kindern nahezu, bei Erwachsenen sank er um ein Drittel – weil die Hersteller früh die Rezepturen anpassten. Ein Jahr nach Inkrafttreten der Limosteuer ging der Zuckerkonsum bei Kindern erneut um fünf Gramm pro Tag und bei Erwachsenen um elf Gramm runter. Das sind weitere 10 bzw. 20 Prozent weniger Zucker. Außerdem zeigt eine aktuelle Studie der Universität von Cambridge, dass bei Mädchen unter sechs Jahren die Adipositasrate seit Einführung der Zuckersteuer um rund acht Prozent gesunken ist.
    Offenbar erleichtert die britische Zuckersteuer den Menschen also die Abkehr vom süßen Stoff. Daher sei es „nur logisch“, finden die Wissenschaftler der Studie, sie auch auf süße Lebensmittel wie Kuchen und Schokoriegel auszuweiten.
    Das britische Modell hat sich sogar als so effektiv erwiesen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) es allen Ländern empfiehlt.

    Was kann eine Zuckersteuer in Deutschland bringen?

    Da Deutschland weltweit eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an zuckergesüßten Getränken ist, hätte eine Steuer auf Süßgetränke auch hier deutliche Effekte.
    Eine Modellierungsstudie der Technischen Universität München um Public-Health-Forscher Karl Emmert-Fees konnte zeigen, was eine Zuckersteuer nach britischem Vorbild in Deutschland über die kommenden 20 Jahre bewirken könnte: Pro Person und Tag würden im Durchschnitt bis drei Gramm weniger Zucker konsumiert. Bei Menschen, die regelmäßig Softdrinks trinken, summiert sich das auf bis zu 30 Gramm Zuckerersparnis pro Tag.
    Zudem würden etwa 250.000 Typ-2-Diabetes-Fälle verhindert oder verzögert – und die volkswirtschaftlichen Folgekosten gingen um etwa 16 Milliarden Euro zurück.
    Dennoch setzt Deutschland weiterhin auf Freiwilligkeit. Die Getränkehersteller wollen bis 2025 den Zuckergehalt in Softdrinks um durchschnittlich 15 Prozent senken. Bis jetzt sind es aber nur etwa 2 Prozent. Und so enthält eine Fanta in Deutschland doppelt so viel Zucker wie die der Briten.

    Wie kann jeder Einzelne trotz aller Hindernisse gegensteuern?

    Weil eine staatliche Regulierung fehlt, bleibt uns vorerst nur, es trotz unseres „Steinzeitgehirns“ selbst zu versuchen.
    Vorlieben zu verändern und Geschmacksnerven umzuerziehen, könne gelingen, sei aber mühevoll, so Ernährungsberaterin Andrea Stallmann. Vielen helfe eine Art Challenge – quasi: Ich gegen den Zucker, sagt sie. Und erklärt: „Lassen Sie mal den Zucker im Kaffee oder die Cola für zwei Wochen weg. Dann passiert schon ganz viel. Bereits nach zwei Wochen werden süßer Kaffee und Cola als viel zu süß wahrgenommen.“
    Weitere Tipps der Ernährungsberaterin:
    • Möglichst viel selbst kochen, denn in verarbeiteten Lebensmitteln stecken oft sehr viel Zucker und Fett. Bei Süßspeisen den Zucker reduzieren. Und statt fertigem Fruchtjoghurt besser ein paar Früchte in den Naturjoghurt geben.
    • Aromatisiertes Wasser statt Softdrinks – geht leicht, schmeckt und ist billiger.
    • Möglichst nichts Süßes kaufen. Was nicht im Schrank ist, kann man auch nicht naschen.
    Allerdings: Wer ungesunde Gewohnheiten ändern möchte, muss neue aufbauen: Statt Schokolade zum Beispiel eine kleine Handvoll Nüsse, Rohkost oder Obst. So lange, bis neues Verhalten zur Gewohnheit wird.