Archiv

Zuckerreduktion in Lebensmitteln
"Mit Obst machen Unternehmen weniger Profit als mit Süßwaren"

Der Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, Martin Rücker, fordert eine farbliche Kennzeichnung von Zucker und Fett in Lebensmitteln. Mit freiwilligen Verpflichtungen könne die Industrie nicht dazu gebracht werden, gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu handeln, sagte er im Dlf.

Martin Rücker im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Eine Kunden schaut auf ein Kühlregal in einem Supermarkt
    "Wir sollten Kennzeichnungsmodelle einsetzen, die auch am besten verstanden werden, und das sind nachweislich farbliche Kennzeichnungen und Ampelmodelle", sagt Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker (picture alliance/ dpa)
    Sandra Schulz: Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes ein wachsendes Problem: Viele Menschen in Deutschland gelten als übergewichtig. Nach Angaben des Ernährungsministeriums wiegen fast zwei Drittel der Männer zu viel, bei den Frauen fast jede zweite, und bei den Kindern bringen etwa 15 Prozent mehr auf die Waage, als nach der Faustregel der Weltgesundheitsorganisation WHO gut für sie wäre. Viele Menschen essen zu viel oder das Falsche. Einblick in die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen gibt regelmäßig der Ernährungsreport. Den wird Ministerin Julia Klöckner heute vorlegen und über die wichtigsten Baustellen können wir in den kommenden Minuten schon mal sprechen. Am Telefon ist Martin Rücker, der Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. Schönen guten Morgen!
    Martin Rücker: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Die Ernährungsministerin kümmert sich ja jetzt um ein Thema, das viele für ein großes Problem halten: den versteckten Zucker, die versteckten Fette in Fertigprodukten. Macht die Ministerin Foodwatch arbeitslos, wenn sie so weitermacht?
    Rücker: Schön wäre das. Sie erweckt den Eindruck und das ganz geschickt, durchaus PR-technisch jedenfalls, dass sie sich kümmert. Tatsächlich macht sie hier das Gegenteil von Verbraucherpolitik, denn das, was sie vorgelegt hat, ist eine freiwillige Selbstverpflichtung. Sie sagt Bitte, Bitte zu den Unternehmen, doch weniger Zucker einzusetzen. Nun weiß aber jeder, freiwillige Selbstverpflichtungen sind zum Scheitern verurteilt.
    Auf der anderen Seite – und das ist vielleicht der wichtigere Punkt – wird hier - und ich glaube, durchaus bewusst - ignoriert, dass hier einfach handfeste Interessen im Spiel sind, denn die Unternehmen wollen ja nicht einfach irgendwelche Produkte verkaufen, sondern sie wollen die Produkte verkaufen, die für sie wirtschaftlich am meisten Sinn machen. Untersuchungen zu den Umsatzrenditen zeigen sehr deutlich, sie können da fünf Prozent vielleicht machen mit Obst und Gemüse, aber die eigentlichen Umsatzrenditen erzielen sie mit Süßwaren und Softdrinks. Da ist der ökonomische Anreiz.
    "Lebensmittelangebot hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt"
    Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne die Punkte nach und nach abarbeiten. Die Ministerin warnt ja vor einem Nanny-Staat, und es ist ja so: Die Menschen sammeln Übergewicht an, wenn sie mehr Energie zu sich nehmen als sie verbrauchen. Was kann die Lebensmittelindustrie dafür, dass in unserem Land viele Menschen mehr essen, als vielleicht gesund für sie wäre?
    Rücker: Das Lebensmittelangebot hat sich in den vergangenen Jahren durchaus gewandelt. Die Verfügbarkeit von hochkalorischen Lebensmitteln, die Beimischung von Zucker, die hat sich verändert. Der Konsum von Zucker insgesamt ist sehr, sehr deutlich gewachsen, um etwa 30 Prozent seit den 60er-Jahren pro Kopf. Wir haben hier durchaus ein Problem, was das Angebot angeht und natürlich was die Prägung angeht. Ich hatte gerade eingangs gesagt, es gibt einen ökonomischen Anreiz für die Unternehmen. Mit Obst und Gemüse können sie sehr viel weniger Profit machen als mit Softdrinks, Süßwaren, Snacks. Das wirkt sich aus. Wenn man sich anschaut das Segment der sogenannten Kinderlebensmittel, Produkte, die direkt an Kinder vermarktet werden, dann sind davon etwa drei Viertel unausgewogene Snacks. Die Werbung, die gemacht wird für Lebensmittel, da kann man sich die Budgets anschauen. Etwa hundertmal so viel Geld fließt in die Werbung für Kategorien wie Süßigkeiten als in Obst- und Gemüsewerbung. Insofern hat das ganz eindeutig ökonomischen Antrieb.
    Schulz: Das ist aber ja auch die Rolle der Unternehmen, Herr Rücker, in der Marktwirtschaft. Jetzt ist und bleibt es ja trotzdem die Entscheidung der Eltern, was sie für ihre Kinder kaufen, und diese Produkte mit dem vielen Zucker, die werden ja auch gekauft – offenbar, weil sie den Leuten so schmecken. Wollen Sie da eine Geschmackspolizei einführen?
    Rücker: Nein, das Gegenteil ist richtig. Diese Anreize wirken sich aber aus. Die Werbeeinflüsse beginnen ja beispielsweise schon in der Schule. Die Unternehmen sind in den Schulen sogar noch früher bei Kindern dabei, ganz gezielt die Produkte zu bewerben, die schlecht für die Kinder sind und die sie auch perspektivisch krank machen, die verantwortlich sind für das Entstehen von Übergewicht und Diabetes-Fällen. Da ist es Aufgabe aus unserer Sicht des Staates, hier auch gegenzusteuern. Sie können Unternehmen nicht mit freiwilligen Verpflichtungen dazu bringen, gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu handeln, sondern Sie müssen eine zuckersüchtige Industrie bändigen, dort wo es nötig ist. Deshalb beispielsweise die Forderung nach einem Werbeverbot für unausgewogene Produkte direkt an Kinder. Und Sie müssen darauf hinwirken, dass die Unternehmen ein eigenes Interesse daran haben, ausgewogene Produkte zu verkaufen, und das funktioniert beispielsweise, indem man die Menschen ermächtigt, durch eine transparente und verständliche Kennzeichnung zu erkennen, wie die Produkte beschaffen sind. Das würde nämlich auch die Rezepturen verändern, weil plötzlich die Unternehmen einen viel größeren Anreiz hätten, gesunde, ausgewogene Rezepturen auf den Markt zu bringen.
    Bessere Kennzeichnung für Verbraucher
    Schulz: Da diskutieren wir ja auch schon seit Jahren um die sogenannte Ampel, die es in anderen Ländern auch gibt. Das Gegenargument, das da immer kommt, ist, dass dann Lebensmittel, die eigentlich als gesund gelten, zum Beispiel Butter, dass die dann ein Rot bekommen müssten, einfach wegen des hohen Fettgehalts. Läuft das nicht auf den Versuch heraus, Dinge zu vereinfachen, die einfach kompliziert sind?
    Rücker: Aber wir dürfen es uns auch bei den Gegenargumenten nicht so einfach machen. Butter ist Butter und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Buttermarken sind sehr, sehr überschaubar. Butter ist ein Produkt, das im Wesentlichen aus Fett besteht – überhaupt keine Frage. Es geht um die Unterschiede gerade bei verarbeiteten Lebensmitteln, bei aus vielen Zutaten zusammengesetzten Lebensmitteln. Es geht um Produkte, in denen Sie bestimmte Nährwerte gar nicht erwarten. Dass in sehr, sehr vielen Konserven beispielsweise Zucker zugesetzt ist, damit rechnet man nicht unbedingt. Ich habe mit Interesse gesehen, dass Ernährungsministerin Klöckner gerade in einem Video der Verbraucherzentralen sich öffentlich empört hat darüber, dass sie bei einem Joghurt erst gar nicht erkannt hat, dass da wahnsinnig viel Zucker drin ist. Ja, genau dafür brauchen wir eine klare und transparente Kennzeichnung.
    Schulz: Aber es steht ja in aller Regel drauf!
    Rücker: Es steht kleingedruckt auf der Rückseite drauf, und wenn Sie mathematisch begabt sind, dann können Sie auch Produkte mit dem Dreisatz vergleichen. Aber ganz ehrlich: Wollen wir das bei Alltagsprodukten? Wir haben im Moment eine Kennzeichnung, die sich die Lebensmittelindustrie ausgesucht hat, und der europäische Gesetzgeber hat es sich tatsächlich erlaubt, den Vorschlag der Lebensmittelindustrie in das Gesetz zu schreiben. Das ist der falsche Ansatz. Eine Kennzeichnung muss für die Verbraucherinnen und Verbraucher da sein. Insofern sollten wir die Kennzeichnungsmodelle einsetzen, die auch am besten verstanden werden, und das sind nachweislich farbliche Kennzeichnungen und Ampelmodelle. Dazu gibt es viele Untersuchungen. In Frankreich, in Spanien wird genau das auch von den Regierungen unterstützt und wir erwarten, dass auch die Bundesregierung sich für eine klare und verständliche Ampelkennzeichnung für die Nährwerte von Lebensmitteln einsetzt.
    "Wir erleben einen Ausverkauf des Verbraucherschutzes"
    Schulz: Jetzt sagt die Ministerin ja, wir machen das nicht handstreichartig. Die Unternehmen, die Sie jetzt verteufeln, die Sie jetzt als die bösen Player ein bisschen darstellen, die Unternehmen sind auch Partner und Arbeitgeber hier bei uns im Land, und es haben sich alle gemeinsam ja schon auf den Weg gemacht. Es werden Puddings und Joghurts inzwischen mit weniger Zucker angeboten. Und wenn wir auf die allerletzten Jahre schauen, dann ist es auch so, dass der Zuckerkonsum in Deutschland wieder leicht zurückgeht. Was macht Sie da so pessimistisch, dass die Menschen schon die richtigen Entscheidungen treffen am Kühlregal?
    Rücker: Es geht ja erst mal darum, die richtigen Entscheidungen treffen zu können, und eine Industrie, die sich gegen eine verständliche, für die Verbraucher verständliche Kennzeichnung wehrt, sollte kein Partner für die Politik sein. Hier geht es darum zu sehen, es gibt handfeste ökonomische Interessen, und hier muss der Staat reagieren und diesen Interessen begegnen. Der Partner sollte in erster Linie sein der Verbraucher und das fehlt mir bei diesem Politikansatz. Wir erleben eher einen Ausverkauf des Verbraucherschutzes und eine Partnerschaft mit der Lebensmittelindustrie, obwohl die Interessen gegensätzlich sein können. In diesem Fall bei dem Thema Zucker ist das so. Die Unternehmen profitieren davon, hochkalorische zuckerreiche Lebensmittel zu verkaufen. Den Schaden hat die Gesellschaft, den Schaden haben die Verbraucher. Hier gilt es, Anreize zu schaffen, eine transparente Kennzeichnung. Wir sollten es nicht hinnehmen, wenn wir wissen, dass Kinder massive gesundheitliche Probleme haben durch eine falsche Ernährung, dass schon in den Schulen Geschmacksprägung stattfindet, Werbung gemacht wird, Sponsoring-Maßnahmen darauf hinleiten, dass unausgewogene Produkte begehrt werden von den Kindern. Da müssen wir gegensteuern. Transparente Kennzeichnung und Anreize ökonomischer Art, beispielsweise durch das, was Großbritannien und viele andere Länder vormachen, nämlich eine fiskalische Maßnahme, eine Herstellerabgabe für den Zuckergehalt in Softdrinks. Das führt dazu, dass die Rezepturen sich verbessern und plötzlich die Unternehmen ein eigenes Interesse daran entwickeln, ausgewogenere Produkte anzubieten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.