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Zuckersüße Uni-Forschung

Psychologie.- Eine Ernährungsstudie in Wien warb ihre Probanden kürzlich mit einem verlockend klingenden Angebot: Die Teilnehmer durften so viele Gummibärchen essen, wie sie wollten. Tatsächlich nahmen die Studenten an einem psychologischen Experiment teil - und die Gummibärchen waren nur Mittel zum Zweck.

Von Volker Mrasek |
    Er selbst schwärme nicht unbedingt für Gummibärchen, gesteht der Ernährungswissenschaftler Jürgen König:

    "Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich die letzten gegessen habe."

    König überlässt das lieber anderen. Zum Beispiel Studenten an seinem Institut an der Universität Wien. Und das aus wissenschaftlichen Gründen. Mehr als 100 meldeten sich für ein ungewöhnliches Experiment, das sich Benjamin Missbach ausgedacht hatte, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Jürgen König. Die Probanden wurden zunächst einmal hinters Licht geführt:

    "Wir haben denen erzählt: Wir wollen einen sensorischen Test durchführen. Wir wollen wissen: Wie schmecken euch die Gummibärchen? Darum ging's uns aber gar nicht. Wir wollten die Leute nur ins Labor bringen, ohne denen zu sagen, was wir eigentlich anschauen wollten."

    Tatsächlich nahmen die Studenten an einem psychologischen Experiment teil, und die Gummibärchen waren nur Mittel zum Zweck. Was der Professor und sein Doktorand eigentlich wissen wollten:

    "Wenn ich zum Beispiel vorher daran denke, mir vorstelle, wie ich Gummibärchen esse..."

    ... genau dazu wurde die eine Hälfte der Probanden mehrfach aufgefordert ...

    "... und dann hinterher tatsächlich Gummibärchen esse - macht das einen Unterschied, ob ich mir das vorgestellt habe vorher? Oder nicht? Das heißt, die kognitive Auseinandersetzung mit Ernährung, mit Essen – hat das einen Einfluss auf mein Ernährungsverhalten?"

    Bestimmt, denkt der Laie und stellt sich vor, wie sein Heißhunger auf Süßes wächst, wenn er die Gummibärchen erst einmal nur im Geiste kauen darf.

    "Ihr nehmt ein Gummibärchen, steckt das in den Mund, kaut darauf herum - die Konsistenz, den Geschmack natürlich -, und schluckt das herunter. Das sollten sie sich vorstellen."

    So etwas nennt man auch Mental Imaging: sich mental ein Bild machen. Ein Begriff aus der Psychologie.

    Doch von wegen wachsender Heißhunger und Wasser im Munde zusammenlaufen! Das Ergebnis war ein ganz anderes:

    "Wenn man sich mental auf die Nahrungsaufnahme vorbereitet und sich das vorstellt, dann hat sich herausgestellt, dass sie tatsächlich weniger Gummibärchen essen."

    Das zeigte der Vergleich mit der anderen Testgruppe. Diesen Studenten gaben die Forscher Aufgaben, die sie lösen sollten. So waren die Probanden davon abgelenkt, schon vorher an den Genuss von Gummibärchen zu denken. Sie aber waren es, die am Ende mehr von den Süßigkeiten aßen als die Studenten mit dem vermeintlichen gewachsenen Heißhunger. Jürgen Königs Erklärungsversuch:

    "Ich kann mich hinsetzen und mir das vorstellen. Und dann ist sozusagen schon in meiner Psyche ein Teil der Nahrungsaufnahme absolviert. Und ich muss dann später nicht mehr so viel essen. Das ist ein bisschen viel postuliert, das gebe ich zu. Aber man kann sich durchaus überlegen, ob man mit solchen Methoden zum Beispiel besser versteht, wie die Regulation der Nahrungsaufnahme funktioniert. Welche unbewussten Faktoren beeinflussen das Ernährungsverhalten? Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass auch die Psychologie letztendlich eine große Rolle spielt."

    Ich denke, also bin ich ... nicht mehr so hungrig! Ließe sich auf diesem Wege vielleicht Übergewicht bekämpfen? Mit einem imaginären Vorkosten? Ernährungswissenschaftler König würde es auf einen Versuch ankommen lassen:

    "Ich will jetzt gar nicht sagen: Das hat jetzt den ultimativen Einfluss auf zum Beispiel Übergewichtsprophylaxe. Aber man kann das ja in eine Strategie der Gewichtsreduktion einarbeiten."

    Eine Empfehlung, die der Wiener Forscher paradoxerweise aus Versuchen mit Gummibärchen ableiten, die gewiss keine Schlankmacher sind.

    "Wer gerne Gummibärchen hat, soll die weiterhin essen."

    Aber bitte erst nach reiflicher, satter Überlegung. Dann verschlingt er am Ende nicht gar so viele von den zuckerreichen Dingern!