"Der Zufall unterliegt keinem Algorithmus", konstatiert Physiker und Wissenschaftskabarettist Vince Ebert. Dann erklärt er dem Leser seines neuen Buchs "Unberechenbar" höchst amüsant und scharfsinnig, warum dem Zufall auch nicht mit einer noch so hochgerüsteten Software beizukommen ist.
Der Zufall, erklärt Vince Ebert, sei die große Unbekannte in unserem Leben und unsere Ideologie der Planbarkeit nichts anderes als eine Sackgasse. Etwa bei der Online-Partnersuche. Wer jeden Tag einen Menschen treffen kann, der 99 Prozent der Matching-Kriterien erfüllt, droht auf der Suche nach dem Vollkommenen das Ziel aus den Augen zu verlieren: "Vielleicht passt der Typ von morgen ja noch besser." So vergeht Jahr um Jahr ....
Dass der Zufall es war, der den Autor und seine Frau zusammengeführt hat, versteht sich von selbst. Und auch sonst regiert in seinem wie in unser aller Leben das Unvorhersehbare. Was in der Rückschau strategisch geplant und voraussehbar erscheinen mag, hängt in Wirklichkeit doch am - sagen wir - Glück. Beispiel: Wissenschaft. 1965 stellten zwei unbekannte Radioastronomen im Auftrag der Firma Bell Labs in New Jersey eine große Antenne auf, um Experimente an künstlichen Erdsatelliten durchzuführen. Sie empfingen ein nerviges Signal, das sie zunächst für die Folge von Vogeldreck hielten. Tatsächlich war das jedoch die kosmische Hintergrundstrahlung - ein Mikrowellensignal, das 380.000 Jahre nach dem Urknall entstand und bis heute das All durchdringt.
Rechenmaschinen mit dem Intellekt einer Küchenschabe
Auch Viagra ist so ein Zufallsprodukt. Es wurde entdeckt, weil männliche Patienten das Medikament in der Testphase absolut nicht mehr absetzen wollten. Das Porzellan sollte eigentlich Gold werden, Tesafilm Heftpflaster. Weder Teflon, Post-it, Nylon, Penicillin, Röntgenstrahlen, Herzschrittmacher noch der Klettverschluss sind Ergebnisse gezielter Forschung. "Die Geschichte der Menschheit ist eine sonderbare Aneinanderreihung von Zufälligkeiten, unabsehbaren glücklichen Zusammentreffen und vor allem eine von brillanten Fehlern", schreibt Ebert.
Auch daran, dass Big Data und die geballte Rechenmacht der Computer den Zufall besiegen werden, glaubt Vince Ebert nicht: Hintergründig und bissig macht er sich daran, die Datenkraken zu entzaubern. Gut, google hat einmal eine Grippe-Epidemie früher erkannt als die Mediziner. Aber dafür sind ihm andere entgangen. Ein Algorithmus, der 75 Prozent aller Katzenbilder im Web korrekt erkennt, wird von jedem Kleinkind geschlagen. Computer rechnen, denken nicht - auch nicht Deep Blue, dessen Erfolg gegen Garri Kasparow auf einem Fehler in der Software zurückzuführen war. Computer sind schnell, aber nicht intelligent. Sie speichern akribisch - ohne Rücksicht darauf, ob es Sinn macht oder nicht: "Sie sind nicht mehr und nicht weniger als ultraschnelle Rechenmaschinen auf dem intellektuellen Stand einer Küchenschabe", fasst Vince Ebert zusammen (eine Erklärung, die wohl jede Kakerlake beleidigt, weshalb sich die Autorin an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Schaben entschuldigen möchte). Und so steht Big Data nur für die "Last des Allzu-viel-Wissens" - und das Buch "Unberechenbar" für ein paar sehr vergnügliche Stunden im Lesesessel.
Vince Ebert: "Unberechenbar: Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen", Rowohlt Taschenbuch-Verlag, 320 Seiten, 16.99 Euro