Archiv

Zuflucht in Taiwan
Ungeregelter Aufenthalt für Hongkonger Flüchtlinge

Durch die Spannungen in Hongkong sind die Einwanderungszahlen in Taiwan in die Höhe geschnellt. Mit über zehntausend Menschen kamen 2020 fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Da Taiwan aber nach wie vor kein Aufenthaltsgesetz hat, leben die Geflüchteten oft in Unsicherheit.

Von Kathrin Erdmann |
Taiwan: Eine Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift "Frei Hongkong, Revolution jetzt während des Marsches". Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Forward ISF marschierten in Taipeh und forderten Gesetzesänderungen, die es Taiwan ermöglichen würden, diese zu gewähren politisches Asyl für Hongkonger.
Noch immer gibt es in Taiwan kein Recht auf Asyl (imago / Walid Berrazeg)
Mal sitzt sie auf einer Bank im Grünen, mal steht sie in einer Halle oder plaudert mit dem Interviewgast in ihrem engen Zimmer. Miss C kam vor gut einem Jahr von Hongkong nach Taiwan. Beruflich hat sie mehrere Standbeine.
"Ich habe in Taiwan keine feste Arbeitsstelle. Ich betreibe einen Online-Shop und nehme Aufträge aus Hongkong für Reiseberichte und Reisefilme an. Dann habe ich noch einen Youtube-Kanal. Der bringt zwar nicht viel Geld, aber es ist auch eine Einkommensquelle."
Polizisten in Hongkong nehmen Demonstranten fest, die auf dem Bürgersteig sitzen.
Hongkong – Mehr Repression statt mehr Demokratie
Das Nationale Sicherheitsgesetz hat die Hoffnungen auf eine demokratische und pluralistische Zukunft in Hongkong zerschlagen. Prominente Vertreter der Demokratiebewegung sitzen in Haft. Ein Leben ohne Angst ist für viele Menschen nur noch außerhalb Hongkongs vorstellbar.
Auf die Pazifikinsel ist sie mit einem Reisevisum gekommen, das lässt sie jetzt jeden Monat verlängern. Und jedes Mal schwingt dabei die Sorge mit: Die taiwanischen Behörden könnten ihren Antrag ablehnen.
Dabei sei sie von allen Seiten mit offenen Armen empfangen worden: "Taiwans Bevölkerung und die Regierung sind uns gegenüber wirklich sehr freundlich. Nach den Protesten 2019 hat Taiwan die Hongkonger Jugend sehr unterstützt. Ich bin von dieser Gesellschaft sehr gerührt."

Finanzielle Situation und Aufenthaltsstatus sind unsicher

Dennoch würde sie gerne ihre Familie und ihre Freunde in der Heimat besuchen. Doch das geht derzeit nicht. Ähnlich ist es bei Alex. Der 22-jährige Student war bei den Protesten in Hongkong dabei, ein Freund hat ihn vor einem Jahr überredet, nach Taiwan zu gehen.
"Zu Beginn habe ich mich auf mein Studium konzentriert. Gruppen aus Hongkong haben uns finanziell unterstützt, nicht die Regierung hier. Seit letztem Sommer ist das jedoch vorbei. Ich musste dann jobben, um meine Miete zu zahlen und meinen Lebensunterhalt zu verdienen, deswegen hatte ich dann weniger Zeit zum Studieren."
Ein maskierter Mann hält in beiden Händen kleine Taiwan-Flaggen
Ausweichquartier Taiwan
China erlaubt immer weniger ausländischen Journalistinnen und Journalisten, aus der Volksrepublik zu berichten. Viele sind deshalb inzwischen auf Taiwan ausgewichen. Die junge Demokratie dort ermöglicht freie Presse – muss den Umgang damit aber auch noch lernen.
Während er erzählt, bricht immer wieder die Leitung zusammen, in seinem Wohnheim ist die Skype-Verbindung schlecht, sein Gesicht will Alex nicht zeigen. Seine finanzielle Situation sei, trotz Hilfe von einigen Privatleuten, prekär – ebenso wie der Aufenthaltsstatus. Für ein Studienvisum wird ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt, doch Hongkong stelle Leuten wie ihm oft kein einwandfreies aus und momentan würden sogar gar keine vergeben, sagt Alex.
"Erst wenn ich jedoch das Führungszeugnis der Hongkonger Polizei erhalten habe, wird mir Taiwan eine Aufenthaltsgenehmigung ausstellen."

Einreise nach Taiwan ist nicht mehr so einfach

Er wünschte, Taiwan würde seine Gesetze an die neuen Gegebenheiten anpassen. Probleme, die Wang Si von der Taiwan Menschenrechtsvereinigung, einer Nichtregierungsorganisation, kennt. Hinzu komme Corona. Früher, sagt sie, konnte man einfach nach Taiwan einreisen und sich dann um alles kümmern.
"Es ist schwerer geworden. Du musst dich jetzt in Hongkong schon um alle Visavorbereitungen kümmern. Wer das nicht schafft, oder nicht weiß, wie es geht, kann nicht mehr kommen."

Der ehemalige Gesetzgeber und harte Anti-Pekinger Sozialaktivist Lee Cheuk-yan aus Hongkong erhebt seine Faust und verurteilt heute Morgen die politische Verfolgung von  Jimmy Lai, der derzeit in Gewahrsam ist, oder Martin Lee, Aktivisten welche beschuldigt werden, 2019 während des zivilen Massenungehorsams eine nicht autorisierte Versammlung organisiert zu haben. 
Aus für die Demokratiebewegung in Hongkong
Mit einem veränderten Wahlrecht hat China den Druck auf Hongkong erhöht, es schränkt die Spielräume der pro-demokratischen Opposition weiter ein. Unzählige Aktivisten sitzen im Gefängnis, andere sind ins Ausland geflüchtet.
Noch immer gibt es in Taiwan kein Recht auf Asyl, sondern ist in dem entsprechenden Gesetz für politisch Verfolgte nur von notwendiger Hilfe die Rede, es bleibt also eine Grauzone.
Diese Probleme der Hongkonger sind die Folge rechtlicher Beschränkungen. Solange das Gesetz nicht geändert wird, können zwar Einzelfälle betreut werden, aber wirklich geholfen werden kann den Betroffenen wegen der Gesetzeslücke nicht. Student Alex sagt, diese Situation sei zermürbend und manchmal wolle er nur abhauen. Doch wohin – das weiß er nicht.