Archiv

Zug der Liebe
Erster Techno-Umzug seit der Love-Parade-Katastrophe

Genau fünf Jahre nach der Katastrophe auf der letzten Love Parade in Duisburg fand am Samstag in Berlin eine Techno-Parade statt, die im Vorfeld als neue Love Parade bezeichnet wurde. Die Organisatoren widersprechen vehement und behaupten, dass die Parade mit dem Jahrestag des Unglücks zusammenfalle, sei zufällig.

Von Kemal Hür | 27.07.2015
    Junge Menschen nehmen am 25.07.2015 in Berlin an einer politischen Demonstration unter dem Motto "Zug der Liebe" durch die Straßen der Hauptstadt teil. Nach Veranstalterangaben solle es keine Neuauflage der Loveparade sein. Erwartet werden rund 20.000 Menschen.
    Junge Menschen bei der Demonstration "Zug der Liebe" in Berlin. (picture alliance / dpa / Wolfang Kumm)
    "Für sexuelle Selbstbestimmung" steht auf dem großen Transparent eines Wagens, der außerdem mit einem großen roten Plüschherz geschmückt ist. Das ist der gemeinsame Wagen der Frauenorganisation Terres des Femmes und des Berliner Vereins Insomnia. Insomnia versteht sich als Club für alternative Beziehungsentwürfe und extravagante Sexualität. Die Sprecherin Dominik trägt Highheels und ein Lederoberteil mit tiefem Ausschnitt. Der Wagen rollt langsam inmitten einer riesigen Masse von jungen Menschen auf der breiten Petersburger Straße in Berlin-Friedrichshain. Sicherheitsprobleme gebe es hier nicht, sagt Dominik.
    "Es gab eine große Diskussion über das Sicherheitskonzept. Das wurde alles sehr sorgfältig geplant. Und der Punkt ist, das ist Berlin, und das ist öffentliches Straßenland. Es gibt genug Abflussmöglichkeiten. Und wir sperren Menschen nicht wie Mäuse in ein Mauseloch. Es ist natürlich schrecklich, es ist grausam, wie an so einem schönen Fest sowas Grausames passieren konnte. Aber daran ist nicht die Love Parade schuld, sondern die schlechte Organisation. Das muss man schon mal differenzieren."
    Mit Mauseloch meint Dominik den Tunnel, in dem vor fünf Jahren auf der letzten Love Parade in Duisburg 21 Menschen ums Leben kamen. Die Strecke des Berliner Zugs der Liebe führt mehr als 10 Kilometer über breite Hauptstraßen mit anliegenden Grünflächen und vielen Seitenstraßen. Für die knapp 30.000 Teilnehmer genügt meistens eine Fahrbahn; die Gegenseite benutzen Zuschauer. Ein Mann trägt sein Kind auf den Schultern, seine Frau schiebt das zweite im Kinderwagen, der Sohn der Familie fährt neben seinen Eltern auf dem Fahrrad. Die Katastrophe von Duisburg hat das Ehepaar nicht vergessen. Aber die Angst dürfe nicht das Leben bestimmen, sagt die junge Mutter.
    "Es ist für uns natürlich super mit den Jungs. Die können Fahrrad fahren auf der Straße. Angst haben wir auf keinen Fall."
    Politische Demonstration mit Techno-Musik
    Die Familie bewegt sich inmitten der großen Menge von jungen Menschen, die hinter 15 Wagen tanzend herlaufen. Die dröhnenden Bässe der Elektromusik kommen aus der Menge heraus. Die LKWs, auf denen DJs die Musik auflegen, sind auf den ersten Blick kaum zu sehen. Sie sind eher kleine unscheinbare Transporter: nicht geschmückt, keine Tänzer darauf. Nur jeweils ein großes Transparent und zwei, drei kleine handgemalte Plakate mit politischen Botschaften: "Flüchtlinge Willkommen", "Mehr Grünfläche" oder "Mehr Jugendförderung". Die kleinen 15 Wagen fahren in großen Abständen und werden von allen Seiten durch mehrere Ordner gesichert. Sie sind klar erkennbar an ihren Armbändern oder gelben Westen. Sie haben genug Platz, selbst mit zu tanzen. Es herrscht kein gefährliches Gedränge.
    "Es gibt ja genug Nebenstraßen, wo man hingehen könnte, wenn's eskaliert. Also es gibt genug Ausweichmöglichkeiten, wo man hingehen könnte, wenn's mal brennt."
    Es brennt aber nichts, auch gibt es keine sonstigen Pannen und Störungen, wie die Polizei und die Veranstalter am nächsten Tag mitteilen. Das Sicherheitskonzept auf offenen breiten Straßen ohne Essens- und Getränkestände geht auf. Damit unterscheidet sich der Zug der Liebe von der Love Parade. Aber auch mit den Inhalten: Den beteiligten Vereinen geht es um politische Botschaften wie eine humane Flüchtlingspolitik, gleiche Bildungschancen, sexuelle Selbstbestimmung, mehr Jugendförderung. Damit will der Liebeszug eine politische Demonstration mit musikalischer Begleitung sein. Bei den meisten Teilnehmern kommen die Botschaften an.
    "Geht mehr um Politik auf jeden Fall so, dass alle Kulturen aufeinandertreffen und trotzdem friedlich gefeiert werden kann." / "Geile Mucke, geile Weiber! Warum sollten wir sonst hier sein? Einfach feiern." / "Ich weiß, wir sind hier auf einer Demo. Also ist natürlich auch gegen Fremdenfeindlichkeit und so weiter, Einwanderungspolitik, da sind wir natürlich auch für, ganz klar. Aber erst mal gucken, wie es so ist. Und ab nächstes Jahr richtig demonstrieren."
    Ob es nächstes Jahr noch einen Zug der Liebe geben wird, steht noch nicht fest. Der Sprecher der Veranstaltung, Jens Schwan, sagte auf Anfrage am Sonntag: Mit dieser politischen Demonstration hätten die teilnehmenden gemeinnützigen Vereine viel Aufmerksamkeit bekommen. Sie müssen nun zeigen, dass sie sich weiterhin politisch engagieren. Dann könne es eine Neuauflage geben. Eine kommerzielle Techno-Party solle der Zug der Liebe aber nicht werden.