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Zugeständnisse der EU an London
Zweifel, ob das das britische Wahlvolk überzeugt

Das meiste, was die EU jetzt mit Großbritannien ausgehandelt habe, sei eine Bekräftigung dessen, was ohnehin schon gelte, sagte der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) im Deutschlandfunk. Er bezweifele, dass das, was bislang vereinbart worden sei, die britischen Wähler überzeugen werde, für den Verbleib in der EU zu stimmen.

Markus Ferber im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber spricht im Mai 2014 vor der weiß-blauen Flagge Bayerns
    Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber (dpa/Daniel Karmann)
    Dirk-Oliver Heckmann: Markus Ferber ist Mitglied des Europäischen Parlaments, außerdem Mitglied der CSU, dort sitzt er auch im Parteivorstand. Mit ihm konnte ich heute Abend sprechen über das Thema, und ich habe ihn zunächst gefragt, wie viel Freude es ihm eigentlich macht, den Briten schon wieder Extrawürste zu braten.
    Markus Ferber: Im Prinzip ist das nicht eine Frage der Freude, sondern ich will natürlich schon, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt, und wenn der Preis dafür ist, Dinge zu erklären, die selbstverständlich sind, dann ist das durchaus ein Preis, den man bezahlen kann.
    Heckmann: Und die Dinge, die jetzt angeboten worden sind, die sind selbstverständlich, oder geht Donald Tusk nicht doch ein wenig darüber hinaus?
    Ferber: Wenn Sie von den vier Punkten, die Herr Cameron immer benannt hat, sich die Vorschläge von Herrn Tusk anschauen, dann ist alles, was Währungsunion betrifft, wenig konkret, alles, was das Thema Wettbewerbsfähigkeit betrifft, eine Erklärung von Rat und Kommission, was die Souveränitätsrechte betrifft, eine Bekräftigung dessen, was eh schon gilt, und das einzige, worüber man diskutieren kann, ist diese Notbremse bei der Frage Zugang zu Sozialleistungen. Wenn ich aber die Änderung der Richtlinie sehe, was zum Beispiel Kindergeldzahlungen betrifft, was ja auch im Paket ist, sind das ja auch Dinge, die uns Deutsche betreffen, wovon wir auch profitieren können.
    Heckmann: Aber gerade um diese Notbremse geht es ja Herrn Cameron ganz zentral. Das Ziel der Beratungen der vergangenen Tage war ja gewesen, London entgegenzukommen, ohne die europäischen Werte zu verletzen, und dazu gehören ja Freizügigkeit und Nichtdiskriminierung. Aber ist es nicht eine Einschränkung der Freizügigkeit und auch eine Diskriminierung, wenn man die Zahlung von Sozialleistungen verweigert?
    Notfallmechanismus ist an Bedingungen geknüpft
    Ferber: Wir müssen natürlich sehen, dass das britische Sozialmodell steuerfinanziert ist und damit nach den europäischen Regeln jedem Bürger zur Verfügung stehen muss, während das deutsche Sozialsystem bis auf wenige Ausnahmen, Hartz IV, Kindergeld, um die mal zu benennen, Grundsicherung gehört dazu, alles andere ist beitragsfinanziert. Das heißt, Sie haben erst Ansprüche zum Beispiel auf Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, wenn Sie auch in den Kreis der Beitragszahler aufgenommen sind. Insofern hat Herr Cameron da schon einen Punkt. Nur ich erinnere mich noch genau, wie wir Deutsche auch von den Briten kritisiert wurden, damals von Tony Blair, weil wir im Rahmen der Osterweiterung Übergangsregelungen für uns ausbedungen haben, während die Briten sich damit gebrüstet haben, keine Übergangsbedingungen, was die Arbeitnehmerfreizügigkeit direkt nach der Erweiterung 2004 und 2007 betrifft, haben, und jetzt hinterher zu sagen, das war ein Fehler, das ist eine sehr innenpolitische Geschichte.
    Heckmann: Pardon, Herr Ferber, aber da muss ich noch mal nachhaken. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann sollen doch in Zukunft Briten anders behandelt werden als EU-Ausländer.
    Ferber: Das ist der Notfallmechanismus. Ich wollte jetzt nur noch mal den geschichtlichen Kontext darstellen. Die Briten haben damals sich gelobt und loben lassen, dass sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2004 für alle osteuropäischen Staaten gewährt haben, haben damals auch dringend Arbeitskräfte gerade im Bausektor benötigt, und das sind die berühmten polnischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dann mit dem Zusammenbruch der Baubranche arbeitslos wurde. Was der Cameron jetzt haben will in diesem Notfallmechanismus, heißt im Prinzip bei übermäßiger Zuwanderung, was bitte nichts mit Flüchtlingen zu tun hat, sondern nur Binnenwanderung innerhalb der Europäischen Union, einen solchen Notfallmechanismus ziehen zu können. Das ist natürlich schon an den Grundfesten dessen, was Europa auszeichnet, aber ich möchte schon darauf hinweisen: Bei uns in Deutschland haben EU-Bürger auch keinen Zugang. Weil wir aber ein beitragsbezogenes System haben, wie fast alle auf dem Kontinent, haben wir eine andere rechtliche Situation als die Briten. Insofern höhlt das wenig aus.
    Heckmann: Eine andere rechtliche Situation, Herr Ferber, das mag ja so sein. Aber fest steht doch, dass britische Staatsbürger, was die Gewährung von Sozialleistungen angeht, bessergestellt werden als EU-Ausländer. Das muss man doch als Diskriminierung bezeichnen, oder nicht?
    Viele Briten sind schon entschieden
    Ferber: Ja gut. Aber es ist an Hürden gebunden. Insofern ist es ja kein Automatismus, der sofort ab dem ersten Tag greift, sondern es ist eine Notbremse, ein Notfallmechanismus, der ausgelöst werden muss, der von der Kommission geprüft werden muss, der beantragt werden muss, der beschlossen werden muss. Es ist ja nicht so, dass man einfach sagen kann, wir sind die Briten und ab nächste Woche zahlen wir nichts mehr.
    Heckmann: ..., der beschlossen werden muss, und auch die anderen EU-Mitgliedsländer, die müssen dann ja auch zustimmen, wenn diese Notbremse gezogen werden soll. Glauben Sie denn aber, dass eine polnische Regierung, die derzeitige beispielsweise, die derzeitige rechtskonservative polnische Regierung, in so einem Fall wirklich mitmachen würde? Das läuft ja den eigenen Interessen entgegen.
    Ferber: Ach wissen Sie, Herr Heckmann, ich habe eine ganz andere Sorge. Wenn ich mir die aktuellen Umfragen aus Großbritannien anschaue, wo heute eine Mehrheit für den Austritt ist und wo fast die Hälfte aller Bürger sagt, unabhängig von den Verhandlungen, die Herr Cameron führt, sind wir schon entschieden, dann weiß ich nicht, ob dieser Notfallmechanismus wirklich das auslösende Moment ist, wo der britische Wähler jetzt sagt, hurra, hurra, jetzt bleiben wir in Europa. Hier wurde von Cameron hoch gepokert und mit unmöglichen Ausgangssituationen, und ob jetzt wirklich der Notfallmechanismus der Durchbruch ist, der das britische Wahlvolk überzeugt, da habe ich meine Zweifel und das macht mir viel mehr Sorgen, dass hier Zugeständnisse gemacht werden an Stellen, wo sie wenig dazu beitragen werden, den normalen Bürger irgendwo in einem Herzogtum außerhalb von London zu überzeugen, in der EU zu bleiben.
    "Man kann leicht Dinge zusagen, die in der Realität keine Rolle spielen"
    Heckmann: Herr Ferber, Donald Tusk schlägt ja auch vor, dass die nationalen Parlamente ein stärkeres Mitspracherecht erhalten sollen. Sie sollen EU-Gesetze kassieren oder Änderungen verlangen können, wenn sie mehr als 55 Prozent der Mitgliedsstaaten repräsentieren. Wäre das möglicherweise ein Schritt, mit dem die EU ein weiteres Mal ausgebremst wird?
    Ferber: Ich will das mal anders herum formulieren. Das ist eine so hohe Schwelle. Jedem Land werden ja da zwei Stimmen gegeben. In Großbritannien müssen Unterhaus und Oberhaus sich entsprechend äußern. Dann haben Sie zwei Stimmen. In Deutschland Bundestag und Bundesrat. Wenn ich mir anschaue, dass der Bundestag bisher erst dreimal die Möglichkeit, die es ja im Lissabon-Vertrag schon gibt, genutzt hat, der Bundesrat etwas öfter, aber es nie eine ausreichende Drittelstimmungslage gab. Ein Drittel der nationalen Parlamente kann ja heute schon die Kommission zur Rechtfertigung bringen. Jetzt ist der Vorschlag, 55 Prozent können eine Geschichte stoppen. Die Erfahrzug der letzten Jahre - dieser Vertrag ist ja seit 2009 in Kraft - zeigt, dass das ein sehr schwaches Instrument ist, weil die Koordination der Mitgliedsstaaten und der nationalen Parlamente untereinander hinten und vorne nicht funktioniert. Da kann man leicht Dinge zusagen, die werden in der Realität keine Rolle spielen.
    Heckmann: Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber war das hier im Deutschlandfunk. Herr Ferber, danke Ihnen für das Gespräch.
    Ferber: Gerne, Herr Heckmann.
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