Im Sommer 2014 stand Tobias Hauke, Doppel-Olympiasieger und damals amtierender Welt-Hockey-Spieler, kurz vor einem ganz besonderen Turnier: der Hockey-Weltmeisterschaft in den Niederlanden. Und er arbeitete in der Pressestelle des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV.
Die 7. Sportkonferenz zum Nachhören
Alle Beiträge zur Sportkonferenz finden Sie als Audios hier:
Die Podiumsdiskussion mit Rainer Koch, Thomas Röhler, Mark Schober, Axel Balkausky und Robert Zitzmann
Das Gespräch mit dem Digitalexperten Kai Pahl
Die Gespräche mit Sebastian Dietz, Mieke Kröger und Jaromir Zachrich
Das Impulsreferat von Moritz Küpper
Die Sportkonferenz als vollständiges Audio
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Ist das gerecht? Wenn sich der weltbeste Athlet in seiner Sportart vor einem echten Karrierehighlight um die Interviews von Sportlern kümmern muss, die gerade beinah abgestiegen wären? Auf der anderen Seite: War und ist es nicht der HSV - also "der Fußball" - der es Tobias Hauke ermöglicht hat, Geld zu verdienen und trotzdem noch seine ursprüngliche Sportart auszuüben?
So oder so - dieses Beispiel zeigt die Machtverhältnisse im deutschen Sport recht eindeutig. Und es gibt weitere: Etwa die beiden Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters und Markus Weise, die beide vom Fußball abgeworben wurden. Oder auch Britta Heidemann, die Fecht-Olympiasiegerin, die im Sommer 2014 lieber als ARD-Morgenmagazin-Reporterin aus Brasilien von der Fußball-WM berichtete, als sich auf ihre eigene, unmittelbar nach der Fußball-WM beginnende Fecht-WM vorzubereiten.
Fußball spielt in einer anderen Liga
An solchen Personalien wird das Machtverhältnis noch einmal sehr konkret: Fußball spielt mittlerweile in einer anderen Liga. Dieser Status quo liegt in der unglaublichen Kommerzialisierung des Fußballs begründet - und in seiner rasant gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung. Vor allem der Profi-Fußball ist kein Spiel, keine Sportart mehr, sondern diesem Zustand längst entwachsen - und macht es den anderen schwer.
Allein die Fußball-Bundesliga erwirtschaftete in den letzten Jahren etwa einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro. Pro Saison. Die zweite Liga folgt mit gut einer halben Milliarde, die dritte mit knapp 150 Millionen Euro - und erst jetzt gelangt man in Bereiche, in denen sich die Profiligen der anderen Mannschaftssportarten finden lassen: Wie zum Beispiel die Deutsche Eishockey Liga mit gut 100 Millionen Euro sowie die Basketball-Bundesliga oder die Handball-Bundesliga mit je knapp 100 Millionen Euro.
Das alles sind Zahlen, die das Ergebnis eben jenes Teufelskreises sind, in dem es um Aufmerksamkeit geht: Denn nur diese Zahlen bringt jene Präsenz, der die Sponsoren folgen, die das Geld bringen, was benötigt wird, um attraktive Stars verpflichten zu können, um wieder Aufmerksamkeit generieren zu können. Die gesteigerte Aufmerksamkeit wiederum führt dazu, dass Fußball mittlerweile fast in alle gesellschaftlichen Bereiche vorgedrungen ist, die versuchen, von der Aufmerksamkeit zu profitieren: Wirtschaft, Politik, Medien, aber auch Mode, Lifestyle, bis hin zu Sprache.
Zuschauerzahlen als Beleg für Aufmerksamkeit
Diese Aufmerksamkeit lässt sich natürlich auch belegen - an Zuschauerzahlen zum Beispiel. Die Fußball-Bundesliga verfolgen pro Saison rund 13 Millionen Menschen im Stadion, die zweite Liga gut fünf Millionen, Liga drei noch etwa 2,6 Millionen - genauso viele wie pro Saison zu Spielen der deutschen Eishockey-Liga gehen. Handball und Basketball landen abgeschlagen weiter hinten.
Der Effekt: "Gerade Großunternehmer sind lieber Sponsor Nummer zehn im Fußball als die Nummer eins im Handball", hat Thorsten Storm, Geschäftsführer des Handball-Rekordmeisters THW Kiel einmal festgestellt. Von den 100 größten Unternehmen, die im Sportsponsoring in Deutschland tätig sind, sind 71 im Fußball engagiert.
Ein ähnliches Bild gibt es übrigens bei der TV-Präsenz: Während mittlerweile in der ARD Amateurspieltage live gezeigt werden und im ZDF zur besten Sendezeit ein Werbe-Fußball-Cup läuft, finden Handball- oder Volleyball-Weltmeisterschaften einfach gar nicht statt.
Frustrierende Quoten
Allein der Quote nach ist es logisch, dass es so ist, wie es ist: Bei den Olympischen Spielen in Rio etwa war das Beachvolleyball-Finale des deutschen Duos Kira Walkenhorst und Laura Ludwig das Ereignis mit der besten Einschalt-Quote: 8,55 Millionen Zuschauer. Nur ein paar Wochen vorher schauten während der Fußball-EM in Frankreich 8,63 Millionen Menschen zu - allerdings nicht beim Finale, sondern beim Vorrunden-Spiel Irland gegen Schweden.
"Außer Fußball scheint ja in Deutschland nichts anderes stattzufinden", klagt Bernhard Bauer, ehemaliger Präsident des Deutschen Handball-Bundes. Der Chef des Internationalen Tischtennisverbandes, Thomas Weikert, hat einmal gesagt: "Die Leute bestimmen ja selbst, dass sie gerne Fußball schauen, es zwingt sie niemand. Also kann ich dem Fußball gar keinen Vorwurf machen. Trotzdem ist es so, dass der Fußball andere Sportarten erdrückt."
Noch drastischer hat es Helmut Digel, der ehemalige Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, einmal formuliert: "Der Fußball ist omnipräsent. Der Fußball ist dominant. Vom Fußball werden alle anderen Sportarten an den Rand gedrängt." Es gebe eine "Diktatur des Fußballs". Das klingt alles nicht nach Zugpferd - sondern eher nach Raubtier.
Nicht nur die Funktionäre sind schuld
All diese Entwicklungen liegen nicht nur am Fußball. Es ist ja ohnehin schwer zu sagen, wer "der Fußball" ist. Vereine und Verbände? Funktionäre und Spieler? Sponsoren und Investoren? Vielleicht auch die Fans? Laut Thomas Weikert haben wir alle unseren Teil beigetragen. Schließlich leben wir ja nicht in einer Diktatur, die uns dazu zwingt, Fußball zu gucken, ins Stadion zu laufen oder Fußball zu spielen.
Das Ganze ist auch ein kapitalistischer Prozess von Angebot und Nachfrage. Allerdings: Zügelloser Kapitalismus ist auch nicht gut. Und vielleicht sind wir an genau diesem Punkt mittlerweile im Sport angekommen. Denn Fußball nimmt mittlerweile eine marktbeherrschende Stellung ein - und das kann gefährlich werden.
Denn die Folge ist eine Art Verdrängungswettbewerb. Nicht nur beim Sponsoring, sondern beispielsweise auch durch die aufgefächerten Anstoßzeiten: Es gibt ja fast keinen Tag, keine Tageszeit, erst recht keine Phase, Sommerpause oder ähnliches, in denen nicht Fußball läuft - und sei es nur eine U21-EM, ein Confed- oder Audi-Cup.
Der Fußball breitet sich aus - und das bekommen auch andere Sportarten zu spüren. Es ist Jahre her, da hat die FIFA entschieden, dass bei den Olympischen Sommerspielen nur Nachwuchsmannschaften, also U23 oder U21-Teams spielen durften. Die Olympischen Spiele sollten dem FIFA-Produkt Fußball-WM keine Konkurrenz machen. Entsprechend war auch der Stellenwert des olympischen Fußballturniers - vor allem in Europa - eher gering.
Anderes Beispiel: das "Aktuelle Sportstudio". Ursprünglich war das eine Sendung, in der es um alle Sportarten ging. Es sind auch immer noch Basketballer, Hockey-Spieler, Handballer oder Leichtathleten zu Gast. Doch beim Verkauf der Bundesliga-TV-Rechte hat sich die DFL ausbedungen, dass eben vom Samstagabendspiel eine ausführlichen Zusammenfassung zu zeigen ist. Das bedeutet: Wenn von diesem Spiel knapp eine Viertelstunde gezeigt wird und dann noch Analysen, Interviews und die Zusammenfassungen der Nachmittag-Spiele - wird die Sendung automatisch vom Fußball dominiert.
Einfluss bis in die Politik
Und diese Dominanz des Fußballs lässt sich auch auf dem politischen Parkett beobachten: Nicht nur, dass es zahlreiche Politiker mit Funktionen bei Fußball-Vereinen gibt, die Stärke der Fußball-Lobby zeigt sich vor allem auch beim Kampf um die Unterstützung für Großereignisse. Zum Beispiel im Sommer 2013 beim DOSB-Wahlhearing in Berlin: Gut 14 Wochen vor der Bundestagswahl ging es darum, die Positionen der Politik für den Sport abzuklopfen. Und da stand auf einmal der damalige DFB-Generalsekretär auf und wollte wissen, wie denn die Politik zum Thema Steuer- und Visa-Befreiung bei Sportgroßereignissen in Deutschland stehe.
Bei den Politikern gab es damals große Zustimmung, nur die Grünen waren skeptisch. Aber neben mir saß der Verbandspräsident einer kleineren Sportart und murmelte nur: "Ich müsste mich nur mal trauen, für meine WM nach so etwas zu fragen: Mir würde keiner zuhören." Zitieren lassen wollte er sich übrigens nicht. Zu groß war die Sorge vor dem mächtigen Fußball.
Der Eishockey-Verband zog damals eine WM-Bewerbung wegen fehlender Unterstützung zurück, auch die Bewerbung für den Ryder Cup 2018 bekam keinen besonders großen Support aus der Politik - und dass die deutsche Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024 gescheitert ist, während in diesem Jahr dann wahrscheinlich die Fußball-EM hierzulande stattfindet, wird den Status-Quo noch weiter manifestieren.
"Ich fürchte, Deutschland wird nur noch Großereignisse im Fußball sehen", hat die ehemalige Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), einmal gesagt. Vielleicht hat sie Recht.