Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd wollte sich nicht zu den Berichten äußern. Die Ermittlungen würden noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Spezialisten hätten mit ihrer Ermittlungsarbeit gerade erst begonnen, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge soll der Bahnbedienstete das automatische Signalsystem ausnahmsweise außer Kraft gesetzt haben, um einen verspäteten Triebwagen noch "quasi von Hand durchzuwinken". Der entgegenkommende Zug habe ebenfalls grünes Licht bekommen.
Das schwerste Zugunglück seit 40 Jahren
Um 6.45 Uhr am Morgen waren bei Bad Aibling in Oberbayern zwei Regionalzüge der Marke "Meridian" auf einer eingleisigen Strecke frontal zusammengestoßen. Dabei sprang ein Zug aus den Schienen, mehrere Waggons stürzten um. Die Zahl der Toten liegt derzeit bei zehn. Unübersichtlich ist die Zahl der Verletzten. Zunächst hatte ein Polizeisprecher von 150 Verletzten gesprochen, zuletzt von 81 Personen. Darunter seien 18 schwer- und 63 leichtverletzte Personen. Weil sich das Unglück an einer schwer zugänglichen Stelle zwischen Holzkirchen und Rosenheim ereignet hatte, mussten sich Rettungskräfte zum Teil von Hubschraubern abseilen. Verletzte wurden auch über den nahe gelegenen Fluss Mangfall abtransportiert. Zwei Menschen seien noch vermisst, sagte der Polizeipräsident von Oberbayern Süd, Robert Kopp. Alle anderen Fahrgäste wurden aus den Zügen befreit und geborgen.
Die Verletzten wurden vor Ort behandelt oder mit Hubschraubern in Krankenhäuser gebracht. Auch aus Österreich haben sich Helfer auf den Weg zur Unfallstelle gemacht. Nach Angaben der Landesregierung des österreichischen Bundeslandes Tirol haben die bayerischen Behörden mehrere Helikopter angefordert. Außerdem wurden in einem Krankenhaus in Kufstein nahe der deutschen Grenze Verletzte aufgenommen. Die Katastrophe von Bad Aibling ist das schwerste Zugunglück in Bayern seit mehr als 40 Jahren.
Dobrindt: "Schreckliche Katastrophe"
Die beiden "Meridian"-Regionalzüge sind vom Schweizer Hersteller "Stadler Rail" produziert worden und wurden von der Bayerischen Oberlandbahn betrieben. Der Geschäftsführer des Betreiberunternehmens sagte: "Der Unfall ist ein Riesenschock für uns. Wir tun alles, um den Reisenden, Angehörigen und Mitarbeitern zu helfen." Auch Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube erklärte, man sei "tief bestürzt". Er sprach den Verletzten und Angehörigen der Opfer sein Mitleid aus. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nannte den Unfall eine "schreckliche Katastrophe". Man müsse klären, wo technisch oder menschlich die Ursache liege. Er sei in Gedanken bei den Opfern. Die Züge seien "weitestgehend ungebremst" aufeinander geprallt, so Dobrindt. Eigentlich gebe es auf allen Bahnstrecken in Deutschland ein Sicherheitssystem, das Züge, die sich fälschlicherweise auf einer Strecke befinden, automatisch bremst. Wieso die Regionalbahnen dennoch kollidierten, werde nun ermittelt. Zwei von drei Blackboxen seien bereits gefunden worden. Davon erhoffe man sich weitere Erkenntnisse über die Unfallursache.
Weniger Fahrgäste wegen Faschingsferien
Bei dem Rettungseinsatz waren am Dienstag laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) knapp 700 Einsatzkräfte vor Ort. Die Einsatzkräfte seien "mit schwerstem Leid und unglaublichen Verletzungen" konfrontiert worden. Er betonte, dass derzeit alles getan werde, um den Unfallhergang aufzuklären. "Auch wenn es die hundertprozentige Sicherheit nie geben kann, müssen wir alles dafür tun, um menschliches wie technisches Versagen so weit wie möglich auszuschließen." Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer zeigte sich betroffen von dem Unglück: "Meine Gedanken sind bei den Opfern dieser schweren Katastrophe und ihren Angehörigen, denen ich mein tiefes Mitgefühl ausspreche", sagte Seehofer laut Mitteilung der Staatsregierung. "Das ist eine Tragödie für unser ganzes Land, die uns mit Trauer und Entsetzen erfüllt."
Polizeipräsident Robert Kopp sprach vom "schwärzesten Faschingsdienstag in der Region". Er sagte, das schwere Zugunglück hätte aber noch katastrophaler verlaufen können. Denn in Bayern seien derzeit Faschingsferien, sodass die Züge nicht voll besetzt waren wie an normalen Tagen. Das im nahe gelegenen Rosenheim geplante Faschingstreiben wurde abgesagt.
Merkel: Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich bestürzt über das Zugunglück. Sie hoffe auf eine rasche Aufklärung der Ursachen: "Ich vertraue darauf, dass die zuständigen Behörden alles daran setzen werden, aufzuklären, wie es zu diesem Unglück kommen konnte", erklärte die Kanzlerin in Berlin. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) habe sie über seinen Besuch am Unglücksort und den Stand der Ermittlungen informiert. "Mein Mitgefühl gilt vor allem den Familien der neun Menschen, die dabei ihr Leben verloren haben", sagte Merkel. "In Gedanken bin ich auch bei den zahlreichen Verletzten, die mit den Folgen des Unglücks ringen." Sie wünsche ihnen eine schnelle und möglichst vollständige Genesung. Merkel dankte den Einsatz- und Rettungskräften, "die sich unter schweren Bedingungen um die Verunglückten gekümmert haben".
Bundespräsident Joachim Gauck ließ während seiner Reise in Lagos, Nigeria, durch eine Sprecherin ausrichten: "Der Präsident ist bestürzt und in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer. Um kurz nach 18 Uhr telefonierte er mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, informierte sich über den Stand der Bergungsarbeiten und die Lage vor Ort."
Die Bayerische Oberlandbahn hat eine Notrufnummer für Angehörige eingerichtet. Sie lautet: 0395-43084390. Auch das Polizeipräsidium Oberbayern Süd hat ein entsprechendes Angebot eingerichtet unter der Rufnummer 08031-2003180.
Der Blutspendendienst München hat wegen des Unglücks dazu aufgerufen, Blut zu spenden. Derzeit bestehe "akut ein deutlich erhöhter Bedarf an lebensrettenden Blutkonserven", hieß es auf der Homepage. Spender sollten mobile Spendentermine wahrnehmen oder in die Blutspendezentrale kommen.
(pr/cvo/jasi)