Auf den ausgedehnten Wiesen des Schwabener Moos bei München treffen sie sich immer im Winter: drei bis vier Störche. Sie staken über die gefrorene Erde, suchen in den Gräben nach Futter. Selbst im Schnee laufen sie über die Felder - in Bayern ist dieser Anblick keine Seltenheit mehr.
"Nein, das macht den Störchen überhaupt nichts aus, die haben auch keine kalten Füße. Also das kann man jetzt nicht vermenschlichen oder vergleichen."
Egal ob fünf oder minus fünf Grad Außentemperatur - die sogenannten Winterstörche fliegen nicht mehr gen Süden, schon seit Jahren nicht mehr, sagt Richard Straub, der örtliche Vorsitzende der Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz Bayern. Er kennt seine flugfaulen Tiere genau: Da ist der männliche Storch aus dem Nachbardorf, der auch im Winter auf seinem Horst sitzt. Da ist ein weiteres Tier in einem Ort, wenige Kilometer weiter. Warum sie hierbleiben, ist nicht immer eindeutig.
"Da ist also das Männchen da, das zieht nicht, das Weibchen zieht aber ganz normal und auch die Jungen ziehen bislang noch normal, was wir festgestellt haben. Das ist eine Sache, mir der wir einigermaßen gut leben können. Würde jetzt dieser Forstinninger Storch gefüttert werden, dann würde man auch der Partner verleiten, nicht mehr zu ziehen, und wir haben solche Horste, wo das der Fall ist. Und die Jungen, die lernen das dann halt auch. Also man soll sie einfach in Ruhe lassen."
Gerade im Winter neigten Menschen dazu, die Vögel zu füttern, kritisiert Straub. Aber Störche finden auch bei Minustemperaturen genügend zu fressen. Trotz der kalten Jahreszeit frieren Fließgewässer wie Isar, Donau oder Inn nicht sofort zu, die idealen Futterplätze. Die gesetzlich verbotene Zufütterung von Getreide oder Fisch ist einer der Gründe, warum Störche lieber in Deutschland bleiben. Aber auch Aufzuchtprogramme und Zukäufe von Jungtieren, wie sie in den 1980er und 90er Jahren üblich waren, sind verantwortlich für das Phänomen Winterstörche, erklärt Straub. So habe man aus touristischen Gründen in Baden-Württemberg Störche aus Bulgarien und Polen angesiedelt, in der Schweiz leben gebürtige nordafrikanische Störche - Populationen, die alle völlig unterschiedliche Zugverhalten zeigen. Und auch bei Störchen zählt, wer zuerst kommt, hat gewonnen:
"Das ist eine ganz große Problematik, da kommt es auch immer wieder zu Horstkämpfen, und selbst wenn die Winterstörche von den ursprünglichen Horstbesitzern vertrieben werden würden, kann es immer wieder passieren, dass die anderen auftauchen und das Brutgeschäft stören. Das heißt, sie versuchen den Horst einzunehmen, beschädigen die Eier oder die Jungen und das ist ein ständiges Hickhack, also eine schwierige Situation für die echten Wildstörche, um die es ja geht."
Die Leiterin des Artenhilfsprogramms des Landesbundes für Vogelschutz, Oda Wieding, zählt mittlerweile gut 140 Tiere in Bayern, die Deutschland nicht mehr verlassen. Aufgeregte Bürger beruhigt sie in diesen Tagen:
"So eine Futterstelle macht in der Regel keinen Sinn. Das muss gut überlegt werden, deshalb würden wir drum bitten, alle Winterstörche, die gefunden oder gesehen werden, einfach zu melden, denn oft ist es so, dass das Landratsamt oder die Vogelschutzbehörden den Vogel sowieso schon im Auge haben."
Nur so könne der Landesbund für Vogelschutz erkennen, ob der Vogelzug sich allmählich, auch aufgrund des Klimawandels, ändert. Denn dass nicht nur Störche immer öfter in Mitteleuropa bleiben im Winter, ist Fakt, so Richard Straub. Konkret nahmen in den letzten 25 Jahren die Rast- oder Überwinterungsbestände von 64 der 305 wandernden und regelmäßig in Deutschland auftretenden Vogelarten ab, so eine Studie der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten und dem Bundesamt für Naturschutz BfN:
"Wir haben eine Klimaerwärmung, die ja auch bewiesen ist, und andere Vogelarten wie die Mönchsgrasmücke haben es vorgemacht, dass die ihr Zugverhalten teilweise ändern. Es kann also sein, dass der eine oder andere Storch ausprobiert, wie ist es denn hier mit dem Überwintern."
Auch die Zugzeiten verschieben sich, zeigt die Studie. Trans-Sahara-Zieher wie der Grauschnäpper kommen heute gut zehn Tage früher aus den Winterquartieren zurück als vor 50 Jahren. Doch die Zugzeiten der Vögel verschieben sich meist nicht synchron zu den Änderungen in der jahreszeitlichen Vegetations- und Insektenentwicklung. Der Bruterfolg verringere sich dadurch, und die Arten werden seltener, so das Bundesamt für Naturschutz.