Archiv


"Zuhause bleiben und nichts tun ist so langweilig"

Ein Viertel aller jungen Franzosen unter 25 Jahren ist arbeitslos. Viele Jugendliche haben keine Ausbildung und jedes Jahr verlassen 150.000 Franzosen die Schule ohne Abschluss. Besonders betroffen: Jugendliche aus der armen Bevölkerungsschicht.

Von Bettina Kaps |
    Überall Kräne, Lärm von Baustellen, moderne Fassaden – Pantin am nordöstlichen Stadtrand von Paris ist im Aufwind. Wo früher Industrieunternehmen, Getreidemühlen und Werkstätten lagen, haben sich jetzt Banken und die Ateliers von Luxusfirmen wie Hermes und Chanel angesiedelt. Pantin boomt, doch die Jugend profitiert nicht davon, klagt Ilam. Die 23-Jährige sitzt in der "Mission Locale" des Ortes und hofft auf Unterstützung durch die staatliche Jugendhilfe. Die Organisation betreut junge Menschen bis 25, die weder in der Ausbildung noch im Beruf sind.

    "Ich bekomme nur Absagen. Ich habe mich überall beworben: beim Rathaus, als Empfangsdame bei einer großen Sozialwohnungsbaugesellschaft, in Supermärkten und Boutiquen. Es liegt an der Krise, es gibt einfach zu viele Bewerber wie mich und zu wenige Posten, deshalb wird man dauernd abgewiesen."

    Seit sechs Monaten ist Ilam arbeitslos. Sie hat zwar ein Fachabitur in Verwaltung, ihr Studium an der Fachhochschule aber abgebrochen, um für eine Zeitarbeitsfirma zu jobben. Doch je niedriger der Ausbildungsabschluss, umso schwieriger ist die Arbeitssuche. Auch die 16-jährige Chloe sucht Hilfe in der Mission Locale. Mit ihren sorgfältig geschminkten Augen und dem leuchtend roten Lippenstift sieht sie erwachsen aus. Nur die Zahnspange verrät, wie jung sie noch ist.

    "Ich möchte eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvieren. Vor einem Jahr habe ich die Schule geschmissen. Jetzt suche ich eine Firma, damit ich nächstes Jahr in die Berufsschule gehen kann."
    Sie vertrödelte ein Jahr, ohne nichts zu tun
    Chloe verrät nicht, wie sie es ausgehalten hat, ein Jahr lang untätig zu vertrödeln. Aber Aicha neben ihr gibt zu, dass sie unter der unfreiwilligen Untätigkeit leidet.

    "Zuhause bleiben und nichts tun, das ist so langweilig. Seit fünf Monaten hänge ich nun schon herum. Ich halte das nicht mehr aus, ich würde so gerne Arbeit finden. Jeder Tag ist gleich."

    Mehr als 2.000 junge Menschen betreut die Mission Locale von Pantin jedes Jahr. Hier lernen sie, Lebenslauf und Bewerbungsbriefe zu formulieren, üben Vorstellungsgespräche und besuchen Motivationstrainings. Vor jedem Termin werden die Jugendlichen extra angerufen. Jeder solle wissen, dass er erwartet werde, sagt die Leiterin der Behörde, Ammessaad Azoug.

    "Die Jugendarbeitslosigkeit in Pantin beträgt 19 Prozent. Das ist zwar weniger als in unserem Departement mit einer Quote von 32 Prozent, aber viel für eine Stadt mit einem so dichten Netz von kleinen und mittleren Betrieben, die sich wirtschaftlich gut entwickelt. Dennoch finden gering qualifizierte Jugendliche hier keine Arbeit."

    Landesweit ist ein Viertel aller jungen Franzosen unter 25 Jahren arbeitslos. Doch die Lage ist schlimmer als es die Zahlen ausdrücken: Denn die berufliche Integration der Jugend macht keine Fortschritte. Seit 30 Jahren legen rechte und linke Regierungen immer neue Programme auf, mit denen junge Menschen in die Berufswelt integriert werden sollen – ohne großen Erfolg.

    Das elitäre Schulsystem drängt schwache Schüler ins Abseits
    Ein Grund ist das elitäre Schulsystem: Es drängt schwache Schüler ins Abseits und bereitet unzureichend auf die Arbeitswelt vor. 150.000 Franzosen verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss - wie die 16-jährige Chloe. Diese Jugendlichen drohten abzudriften, sagt Mohammed Adouane. Er arbeitet als Berater in der Mission Locale von Pantin.

    "Besonders schwierig ist es, mit Jugendlichen zu arbeiten, die eigentlich noch zur Schule gehen müssten. Sie wollen sofort Arbeit finden, sofort Geld verdienen. Das ist auch eine Folge der Konsumgesellschaft. Sie kennen jemanden, der sich ein Auto gekauft hat, oder teure Sportschuhe … die müssen sie dann auch sofort haben. Wir müssen ihnen klar machen, dass es Zeit und Anstrengung kostet, um autonom zu werden. Aber das lernen die meisten erst, wenn sie – sagen wir mal - 22 Jahre alt geworden sind."

    Die Mission Locale bietet auch einen deutsch-französischen Jugendaustausch zum Thema "Berufsorientierung und Integration" an. Im kommenden Herbst werden wieder junge Arbeitssuchende nach Berlin reisen. Ilam und Aicha, die in der Mission Lokale betreut werden, wären gerne dabei.