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Zukünftige SPD-Führung
Klingbeil: Mitglieder "breit beteiligen"

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hält ein Führungsduo an der Spitze der Partei für wahrscheinlich. Er forderte im Dlf, die Mitglieder der Partei bei der Entscheidung über die möglichen Kandidaten stärker einzubeziehen. Auf die Große Koalition habe der Führungswechsel keine Auswirkung.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Sandra Schulz |
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bei einer Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil rechnet mit mehreren Bewerbern für das SPD-Spitzenamt (imago stock&people)
Sandra Schulz: Wieder einmal ist die schwarz-rote Koalition jetzt gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Anlass für den jüngsten Krisenmodus der Rückzug von Andrea Nahles aus allen SPD-Spitzenämtern. Kommissarisch soll ein Dreierteam an die SPD-Parteispitze; manche sprechen auch von einer Troika, bestehend aus Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer. Allesamt bisher Parteivize und gestern der Lage entsprechend sehr ernst.
O-Ton Malu Dreyer: "Viele Menschen haben an uns Erwartungen. Viele Menschen sind enttäuscht und viele haben sich auch abgewendet."
O-Ton Thorsten Schäfer-Gümbel: "Die Debatte im Parteivorstand war von großer Nachdenklichkeit, aber auch von Besonnenheit geprägt, die ich in den vergangenen Tagen – das will ich in aller Offenheit sagen – häufig vermisst habe."
O-Ton Manuela Schwesig: "Und wir wissen auch, wie wir hier stehen, dass Andrea Nahles nicht diejenige ist, der man allein zurechnen kann, dass die SPD in dieser wirklich sehr, sehr schwierigen Situation ist."
Schulz: Wie geht es bei den Sozialdemokraten jetzt weiter? Darüber kann ich mit einem Mann sprechen, der gemeinsam mit dem Spitzentrio die Aufgabe hat, die Partei aus dieser schwierigen Situation herauszunavigieren. Am Telefon ist SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Schönen guten Morgen!
Dreier-Team an der Spitze "gutes Zeichen"
Lars Klingbeil:!! Schönen guten Morgen.
Schulz: Kommissarisch jetzt also drei Köpfe an der Spitze der SPD. Hat sich nach den Erfahrungen von Andrea Nahles niemand mehr alleine getraut?
Klingbeil: Nein. Aber wir haben natürlich dann am Sonntag nach dem angekündigten Rücktritt von Frau Nahles und auch am Montag in den Gremien beraten. Es war klar, dass jemand von den Stellvertretern – so ist es bei uns im Statut geregelt – kommissarisch den Vorsitz übernimmt, und nach längerer Debatte hat sich dann abgezeichnet, dass die drei, Frau Schwesig, Frau Dreyer und Herr Schäfer-Gümbel, die ja als Team schon länger auch als Stellvertreter zusammenarbeiten, diese Verantwortung zu dritt übernehmen wollen. Das ist auch ein gutes Zeichen, dass gerade in dieser Phase der SPD jetzt ein Team die Geschicke der Partei leitet, und alle drei haben ja betont, es geht um einen Übergang. Sie sind nicht diejenigen, die kandidieren wollen dann auch als neue Vorsitzende. Aber das Zeichen, dass die drei das jetzt zusammen machen, den Übergang moderieren, den Übergang gestalten bis zum nächsten Parteitag, jetzt auch gucken, wie das Verfahren aussehen kann, das finde ich ein sehr gutes Zeichen, und so ist das gestern auch bereits in der Partei aufgenommen worden.
Schulz: Ist das auch das Plädoyer, das wir aus Ihrer Partei jetzt verschiedentlich gehört haben, von Ihnen für ein Team dann auch als endgültige Lösung, für eine Doppelspitze?
Klingbeil: Das werden wir jetzt klug beraten müssen. Ich habe in diesen wenigen Monaten – ich bin knapp anderthalb Jahre Generalsekretär – häufig erlebt, dass eines der großen Probleme der SPD ist, dass man nach solchen Ereignissen, nach einem Rücktritt, nach einem schlechten Wahlergebnis häufig zu Schnellschüssen gekommen ist, und deswegen finde ich gut, dass wir uns jetzt erst mal verordnet haben, bis zum Parteivorstand am 24. Juni wirklich zu überlegen, wie eine Formation aussehen kann. Ich bin auch gespannt. Ich gehe davon aus, es wird mehrere Bewerber geben. Aber dass die SPD künftig von einer Doppelspitze geführt wird, das ist eine Variante, die ich für sehr wahrscheinlich halte, die ich persönlich auch gut finde, wenn man überlegt, zu einem solchen Modell zu kommen. Aber da kann man sich heute noch nicht festlegen. Dafür sind die Ereignisse noch zu frisch und ich glaube, alle brauchen jetzt ein paar Tage, um nachzudenken und zu gucken, was die beste Lösung sein kann.
"Das kann ein sehr spannendes Rennen sein"
Schulz: Was macht Sie denn da so zuversichtlich, dass es mehrere Bewerber geben wird? Wir sehen jetzt im Moment öffentlich ja nur Absagen.
Klingbeil: Es geht ja gerade um das Verfahren, und das, was wir im Juni, im Parteivorstand Ende Juni festlegen wollen, ist, wie sieht ein Verfahren aus. Ich bin der festen Überzeugung, dass das übliche Prozedere, was ich ja häufig aus meiner Partei kennenlernen musste, dass sich irgendwo zwei in irgendein Hinterzimmer setzen, dass sie entscheiden, wer wird jetzt eigentlich künftig Parteivorsitzende oder Parteivorsitzender, dass es mit solchen Verfahren vorbei sein muss. Ich wünsche mir, dass wir die Mitglieder stark beteiligen, dass wir in die Partei reinhorchen. Ich gehe davon aus, dass es mehrere Kandidaten geben wird, die vielleicht sogar durchs Land ziehen, die mit unterschiedlichen Profilen für auch unterschiedliche Politikansätze, für unterschiedliche Programme werben. Das kann ja ein sehr spannendes Rennen sein. Und jetzt wird sich dann in den nächsten Wochen zeigen, ob es mehrere gibt, aber ich kann mir das gut vorstellen und glaube, das kann eine sehr spannende Phase auch für die SPD werden.
Schulz: So ähnlich haben wir es bei der CDU jetzt gesehen, vor der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer. Was ist mit dem Konzept, mit dem die Sozialdemokraten ja auch Erfahrung haben, die Urwahl, die jetzt auch verschiedentlich gefordert wird?
Klingbeil: Es gab ja mal eine Urwahl, sogar damals zwischen Schröder, Scharping und Wieczorek-Zeul, und das war aber kein bindendes Votum für einen Parteitag, sondern die Mitglieder konnten sich alle Kandidaturen angucken, haben dann auch ein Votum abgegeben, der Parteitag hat sich am Ende daran gehalten. Da werden wir jetzt über unterschiedliche Modelle auch nachdenken. Noch mal: Für mich ist wichtig und das ist mein Wunsch und das ist das, was ich auch in die Diskussion eingebracht habe, dass wir die Mitglieder breit beteiligen, dass wir ein spannendes Rennen bekommen in der Partei, ich hoffe auch mit unterschiedlichen Personen, die antreten werden. Aber jetzt wird sich die nächsten Wochen zeigen, wie das Ganze dann konkret aussieht.
"Ich bin Generalsekretär und habe genug zu tun in dieser Partei"
Schulz: Da Sie jetzt auf die Urwahl verweisen, die damals ja nicht so positiven Erfahrungen, kann man, glaube ich, so sagen, die die SPD gemacht hat mit dem Ergebnis dieser Urwahl, mit dem Kandidaten Rudolf Scharping, verstehe ich das jetzt richtig, dass Sie damit Skepsis an diesem Prinzip Urwahl hier bei uns im Deutschlandfunk zu Protokoll geben?
Klingbeil: Nein! Ich habe nur gesagt, wir müssen angucken, welche Modelle wir nehmen. Laut Statut, laut Parteiengesetz ist es ja nicht möglich, einen Parteivorsitzenden laut Urwahl zu wählen, sondern da kann höchstens ein Votum dann abgegeben werden, was von Delegierten auf einem Bundesparteitag berücksichtigt wird. Und ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass wir schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Wenn ich in mein eigenes Bundesland gucke, wenn ich nach Niedersachsen schaue, dort haben wir in jüngster Zeit zweimal sogar die Basis befragt. Das hat die Partei belebt, das war ein fairer Wettstreit, das hat am Ende dazu geführt, dass es ein gutes Team gab, und die Partei war über Wochen auf dem Platz, war öffentlich wahrnehmbar, die Bürgerinnen und Bürger haben gesehen, hier gibt es unterschiedliche Politikmodelle, und das war gut für die SPD.
Schulz: Jetzt gehen wir wieder zurück ins Jahr 2019. Wer sind denn jetzt die Kandidaten für die Parteispitze?
Klingbeil: Das kann ich heute nicht beantworten. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Wir haben erst mal jetzt festgelegt, Ende Juni im Parteivorstand werden wir über das Verfahren abstimmen. Bis dahin sind alle aufgerufen, Vorschläge zu machen, wie das Verfahren sein kann. Wir werden dann noch entscheiden, ob der Parteitag weiterhin im Dezember stattfindet, oder ob er vielleicht sogar ein paar Tage vorverlegt wird. Das wird alles im Juni entschieden und ich bin mir recht sicher, sobald das Verfahren steht, werden sich unterschiedliche Kandidaten dann auch melden.
Schulz: Kandidieren Sie?
Klingbeil: Ich bin Generalsekretär und habe genug zu tun in dieser Partei gerade.
"Wir werden sehen, dass es mehrere Kandidaturen gibt"
Schulz: Okay. – Dann wüsste ich gerne, warum Sie sich da so viel Zeit nehmen. Wir haben doch eigentlich in einer Demokratie ein ganz eingeübtes Verfahren. Es traut sich jetzt niemand aus der Deckung. Ist es in einer Demokratie nicht normal, dass mehrere Kandidaten, dass mehrere Interessenten für ein Amt bereitstehen und sagen, ja, ich hätte dazu Lust, ich traue es mir zu? Dass wir das jetzt bei der SPD gar nicht sehen, was sagt das?
Klingbeil: Das halte ich für völlig falsch, dass wir das gar nicht sehen. Aber Frau Nahles ist jetzt vor wenigen Stunden zurückgetreten und dieser Rücktritt hat ja doch viele auch überrascht und das ist etwas, wo jetzt, glaube ich, viele Personen auch Zeit brauchen nachzudenken, ob sie für den Vorsitz der Sozialdemokratie kandidieren wollen. Aber dass das ein paar Tage dauert, das haben wir übrigens bei der Union gesehen, die ja vor wenigen Monaten erst den Vorsitz gewechselt hat. Auch bei der CSU hat es den Wechsel im Vorsitz gegeben. Da sage ich wirklich, ich kann jeden verstehen, der ein paar Tage Zeit braucht, auch nachzudenken, ob er sich dieses Amt zutraut, ob er das will. Aber am Ende, noch mal, bin ich mir sicher, werden wir sehen, dass es mehrere Kandidaturen gibt.
Schulz: Wollen die Sozialdemokraten jetzt bis zum 24. Juni – das sind ja noch drei Wochen -, wollen Sie bis dahin sowohl Verfahren als auch Kandidaten offenlassen? Wollen Sie das jetzt drei Wochen lang in Interviews so machen wie bei uns heute Morgen?
Klingbeil: Was heißt offenlassen. Wir haben eine Führung. Wir haben gestern im Parteivorstand einstimmig drei Personen beauftragt, diese Partei zu führen. Das heißt, die SPD wird geführt, sie ist nicht führungslos, sie ist nicht kopflos. Da sind drei profilierte Politikerinnen und Politiker an der Spitze der SPD. Gleiches gilt für die Fraktion, wo wir heute mit Rolf Mützenich jemanden an die Spitze der Fraktion wählen werden, der die Fraktion auch kommissarisch führt. Die SPD ist auf dem Platz, sie ist verhandlungsbereit, sie ist politikfähig. Da haben wir überhaupt keinen Zeitdruck und den lasse ich mir auch nicht machen.
Führungswechsel "hat keine Auswirkung auf die Koalition"
Schulz: Steht die schwarz-rote Koalition Ende des Jahres noch?
Klingbeil: Warum nicht! Wir haben einen Vertrag, den arbeiten wir ab. Das was entscheidet, ob diese Koalition funktioniert oder nicht, ist, ob wir politisch vorankommen, ob der Koalitionsvertrag abgearbeitet wird. Da haben wir Punkte als Sozialdemokraten, wo wir genau gucken werden jetzt, wie die Union sich verhält, etwa beim Thema Grundrente, auch beim Thema Klimaschutzgesetz, wo wir vereinbart haben, das Ganze soll im Jahr 2019 umgesetzt werden. Wir erleben, dass es gerade CDU-Ministerinnen und Minister sind, die auf der Bremse stehen, wenn es jetzt um einen wirksamen Klimaschutz geht. Wir haben andere Themen wie zum Beispiel die Abschaffung des Solis für 90 Prozent der Bevölkerung, die wir durchbringen wollen. Das Thema der Befristung. Die Frage, ob es einen Wechsel in der Führung der SPD gibt, hat keine Auswirkung auf die Koalition. Was eine Auswirkung auf die Koalition hat ist, wenn die CDU-Seite nicht zu Potte kommt und wir die Dinge nicht umsetzen. Dann wird es kritisch und deswegen wird es jetzt darauf ankommen, dass die Koalition ein Lebenszeichen setzt und wir bei den Inhalten vorankommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.