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Zukünftiger Kurs der CDU
Spahn: "Unser Ziel muss die Erneuerung sein"

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Jens Spahn hat eine personelle und programmatische Erneuerung seiner Partei gefordert. Die Wahlniederlage habe ihm "fast körperlich weh getan", sagte er. Spahn geht außerdem davon aus, dass es am Wochenende zu Sondierungsgesprächen mit der FDP kommen wird.

Jens Spahn im Gespräch mit Silvia Engels |
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, beantwortet während einer Pressekonferenz zur Impfkampagne gegen Corona Fragen von Journalisten.
Jens Spahn rechnet für Anfang Oktober mit Sondierungsgesprächen mit der FDP (picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm)
Nach der historischen Wahlniederlage seiner Partei fordert der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Jens Spahn eine umfassende Erneuerung der Union. "Ich finde, unser Ziel muss sein, tatsächlich durch Erneuerung, programmatisch, strukturell, auch personell, dass wir in vier Jahren nicht noch mal 50 Abgeordnete weniger sind, sondern 100 mehr."
Im Interview mit dem Deutschlandfunk sprach sich Jens Spahn für einen Generationenwechsel innerhalb seiner Partei aus. "Für mich ist jedenfalls klar, dass jetzt auch die Generation nach Angela Merkel in Verantwortung kommen muss, stärker das auch sichtbar sein muss." Über seine eigenen Ambitionen schwieg der 41-Jährige. Auch die Frage nach der Zukunft des Parteivorsitzenden Armin Laschet ließ er offen.
Andreas Jung (l), Vize-Unionsfraktionschef, und Armin Laschet, CDU-Kanzlerkandidat, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, begrüßen sich bei der Vorstellung des «Zukunftsteams» der Union in der CDU-Parteizentrale. Mit einem achtköpfigen Team geht Unionskanzlerkandidat Laschet (CDU) in den Wahlkampf-Endspurt.
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Schnelle Sondierungen über mögliche Regierungsbildung

Wichtig sei es nun außerdem, schnell in Sondierungsgespräche mit der FDP zu gehen, erklärte Spahn. Er rechne damit, dass es an diesem Wochenende einen ersten Termin geben wird.
Die CDU könne zahlreiche Themen in eine mögliche Jamaika-Koalition einbringen, beteuerte der CDU-Politiker. Die Union könne jetzt nicht nur aus Frust in die Opposition gehen.

Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Wissen Sie, warum sich die Unions-Spitze nun am Samstag offenbar nicht mit der FDP zu möglichen Vorsondierungen trifft. Das war doch mal geplant.
Jens Spahn: Nun! Ich denke, die beiden Vorsitzenden werden das jetzt schnell klären, mit der FDP einen Termin finden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in der Führung der Union einen dringenderen Termin hat als diese wichtige Frage, nämlich mit den anderen Parteien darüber zu sprechen, wie eine stabile Regierung für Deutschland entstehen kann.
Engels: Könnte es daran liegen, dass die Union nicht sprechfähig ist?
Spahn: Klar sind wir sprechfähig. Unsere beiden Vorsitzenden haben den Auftrag aus Partei und Fraktion, auch zu sprechen, mit der FDP, mit den Grünen, über eine mögliche Regierung für Deutschland. Genauso klar ist aber auch, die SPD hat Platz eins. Ich will auch noch mal ausdrücklich gratulieren dazu an Olaf Scholz. Deswegen sind wir natürlich jetzt auch in Abstimmung mit den anderen, wann und in welcher Reihenfolge diese Gespräche stattfinden.
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"Erneuerung braucht es. Das steht außer Frage"

Engels: Man habe keinen Regierungsauftrag, stehe aber für Gespräche mit Grünen und FDP bereit, so Armin Laschet seit einigen Tagen. Dem steht aber der laute Ruf innerhalb der CDU nach Erneuerung gegenüber. Zum Beispiel äußert den Ministerpräsident Kretschmer in Sachsen und Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Geht eine solche Erneuerung nicht besser in der Opposition?
Spahn: Zuerst einmal den CDU-Balken am Wahlabend zu sehen, das hat fast körperlich weh getan, und auch Dienstag in der Fraktion zu sehen, wie viele kluge Köpfe wir verloren haben durch das Wahlergebnis. Ich finde, unser Ziel muss sein, tatsächlich durch Erneuerung, programmatisch, strukturell, auch personell, dass wir in vier Jahren nicht noch mal 50 Abgeordnete weniger sind, sondern 100 mehr. Insofern: Erneuerung braucht es. Das steht außer Frage.
Gleichzeitig ist aber auch klar: Opposition nur aus Frust, das kann jetzt nicht die Antwort sein. Wir haben auch eine Verantwortung für Deutschland. Und ich bin der festen Überzeugung, eine bürgerlich-ökologisch-liberale Regierung wäre für unser Land besser als eine Ampel – auch in der Frage, welche Themen sie zusammenführen kann.
Nehmen Sie das Thema Klimaschutz, wie bleiben wir Industrieland und werden CO2-neutral, beim Thema Landwirtschaft oder beim Thema Migration. Es gibt gesellschaftliche Konflikte, die sind seit Jahren nicht aufgelöst, und diese Koalition hätte die Chance, solche Konflikte nach vorne vor allem durch kluge Lösungen aufzulösen.
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Engels: Nun warnt andererseits beispielsweise der Brandenburger CDU-Landeschef Stübgen davor, durch eine Richtungsentscheidung für Jamaika werde vielleicht der Trend beschleunigt, dass die CDU zu einer westdeutschen Partei reduziert werden könnte, weil diese Themen rund um Jamaika in Ostdeutschland nicht so ankommen. Warum sind Sie so überzeugt von Jamaika? Geht Ihnen da nicht möglicherweise ein wichtiger Teil Ihrer CDU verloren, wenn Sie zu viel in die Richtung sondieren?
Spahn: Eines ist ja richtig: Wir müssen mehr sein in einer solchen Koalition, in solchen Gesprächen, als nur das Bindegewebe von FDP und Grünen. Deswegen muss auch klar sein, was unsere Themen dabei sind, auch die Themen, die unseren Wählerinnen und Wählern wichtig sind.
Wir sind die Partei der Polizistinnen und Polizisten, der Handwerker und Mittelständler, der Familien, derjenigen, die den Laden am Laufen halten, und das muss jetzt auch bei den Inhalten deutlich werden in den Gesprächen – keine neuen Belastungen, keine Steuererhöhungen etwa für den Mittelstand, Familien zu fördern, dass sie sich ein Eigenheim leisten können, dass auch diejenigen mit zweieinhalb, 3.000 Euro gut über die Runden kommen können, nicht zusätzlich belastet werden, dass wir Polizistinnen und Polizisten schützen, unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausstatten, bewaffnete Drohnen, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Oder auch Kontrolle bei der Migration, ein Thema, das in West wie Ost eine große Rolle spielt, etwa sichere Herkunftsstaaten, die Maghreb-Staaten, ein Thema, seit Jahren nicht gelöst, damit wir Straftäter abschieben können.
Das sind Punkte, über die müssen wir jetzt in den Sondierungen auch mit klarem Profil reden. Das Ziel von Sondierungen ist ja, miteinander herauszufinden, welche Themen möglich sind, und klar ist, es müssen unsere Themen dabei natürlich auch erkennbar eine Rolle spielen.
Die Farben Schwarz und Gelb liegen in einem Malkasten zusammen zwischen den Farben Rot und Grün
Nach der Bundestagswahl 2021 - Welche Koalitionen sind denkbar?
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"Bis Oktober muss klar sein, wohin die Reise geht"

Engels: Aber gerade bei Themen rund um Kohleausstieg, Klimaschutz oder der von Ihnen genannten Migrationspolitik sind die Grünen ja recht weit von Ihren Positionen entfernt. Was sollte gerade für die ohnehin zögernden Grünen an einer, in sich nicht ganz geschlossenen CDU attraktiv sein?
Spahn: Attraktiv ist, Frau Engels, dass diese Koalition tatsächlich gesellschaftliche Konflikte nach vorne auflösen kann. Sie haben ja recht: Beim Klimaschutz, bei der Migration gibt es Themen, die seit Jahren nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch in der Gesellschaft, in der Bevölkerung nicht aufgelöst sind, die da sind und auch zu Spannungen führen, wo wir aufpassen müssen, dass daraus nicht Spaltungen entstehen. Dafür ist es eine Chance, jedenfalls richtig gemacht, das durch Entscheidungen endlich auch aufzulösen.
Ich will übrigens auch mal sagen, eine Ampel ist ja auch kein Selbstläufer. Wir müssen jetzt anfangen, über Themen zu reden und nicht nur über Farben. Wenn es um das Thema Mindestlohn geht, Vermögenssteuer geht, den Klimaschutz durch einen sehr hohen CO2-Preis, wie ihn etwa die Grünen vorschlagen, geht, dann bin ich sehr sicher, wird das jetzt zwischen den drei Parteien, die möglicherweise über eine Ampel reden, ja auch kein Selbstläufer. Die Kompromisse müssen die genauso deren Wähler und Mitglieder ja erklären und insofern ist das jetzt eine Frage von Gesprächen, die mal wegkommen von Überschriften und Farbenlehren, hin zu tatsächlichen Inhalten.
Die Chance sehe ich jedenfalls in den nächsten Tagen. Dann muss bis Mitte Oktober auch klar sein, wohin die Reise geht. Das darf jetzt nicht über Wochen gehen. Das täte auch nach diesem Wahlergebnis, glaube ich, niemandem gut, auch nicht dem Land.
Engels: Bis Mitte Oktober, sagen Sie, müsste es soweit klar sein. Sie haben gleichzeitig auch schon von der notwendigen Erneuerung der Union gesprochen, vor allen Dingen der CDU strukturell und auch personell. Welche Verantwortung trägt die Person Armin Laschet für das desaströse Wahlergebnis und welche Konsequenz sollte er ziehen?
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Spahn: Zuerst einmal: Schon ein fehlerfreier Wahlkampf hätte uns wahrscheinlich Richtung 30 Prozent gebracht. Eine wirkliche Geschlossenheit von CDU und CSU von Anfang an hätte uns wahrscheinlich deutlich über 30 Prozent gebracht. Das muss auch aufgearbeitet werden, es muss auch besprochen werden, und da haben wir auch alle Mitverantwortung.
Aber das ist jetzt auch ein Prozess miteinander in der Partei und gleichzeitig die Gespräche zu führen über eine mögliche stabile Regierung - das ist ein Balanceakt. Da gibt es ja nichts herumzureden -, aber einer, der aus meiner Sicht jetzt auch aus Verantwortung notwendig ist.
Die Frage, was daraus folgt: Wir haben jetzt den Parteivorsitzenden, den Fraktionsvorsitzenden beauftragt, für uns diese Sondierungsgespräche federführend zu führen, zu organisieren, Struktur dem Ganzen zu geben. Alle anderen Fragen stellen sich dann mit dem Abschluss der Sondierungsgespräche.
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"Gernation nach Angela Merkel muss in die Verantwortung kommen"

Engels: Sie haben Mitte Oktober als möglichen Fahrplan für Abschluss von Sondierungsgesprächen rund um Jamaika genannt. Kann Armin Laschet noch CDU-Parteivorsitzender bleiben, wenn es dazu keine erfolgreichen Sondierungen gibt?
Spahn: Zuerst einmal ist das Ziel, Sondierungen auch erfolgreich zu einem Ergebnis zu führen. Aber weder für die Frage, dass sie erfolgreich sind oder nicht erfolgreich sind, sind jetzt schon alle personellen Fragen geklärt. Das müssen wir jetzt in der Partei miteinander besprechen. Für mich ist jedenfalls klar, dass jetzt auch die Generation nach Angela Merkel in Verantwortung kommen muss, stärker das auch sichtbar sein muss.
Das sind beispielsweise unsere Ministerpräsidenten Tobias Hans, Michael Kretschmer, Daniel Günther, das sind viele in der Fraktion, die auch in der nächsten Generation mit Profil erkennbar sind und noch erkennbarer werden müssen. Wir haben in dieser Generation so viele politische Talente, so viele politisch profilierte Persönlichkeiten wie keine andere Partei, aber das muss jetzt auch deutlich werden. Es geht jetzt um das Projekt 2025. Ich sage noch einmal: Das Ziel ist, nächstes Mal nicht noch mal 50 Abgeordnete weniger, sondern 100 mehr.
Engels: Das heißt, die Generation Merkel soll abtreten? Das ist ja auch mehr Armin Laschet. Soll er gehen?
Spahn: Die Frage stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt, Frau Engels, einfach nicht, weil wir haben gemeinsam gesagt, dass der Parteivorsitzende mit dem Parteivorsitzenden der CSU, mit Markus Söder in unserem Auftrag jetzt diese Gespräche führt.
Engels: Sie sind ja auch die neue Generation. Haben Sie Interesse an seinem Amt, falls Armin Laschet nicht mehr will?
Spahn: Ich habe, Frau Engels, Interesse daran, dass wir in Deutschland eine stabile Regierung bekommen, dass wir vor allem eine Regierung bekommen, die nicht irgendwie zusammenarbeitet, sondern mit einem klaren Profil die Themen für die 20er-Jahre für Deutschland löst, und gleichzeitig die Partei sich erneuert. Alles andere besprechen wir in den nächsten Tagen.
Engels: Schauen wir noch kurz zurück auf die konstituierende Unions-Fraktionssitzung von Dienstag. Da wurde ja Fraktionschef Ralph Brinkhaus erst mal nur für ein halbes Jahr gewählt. Brinkhaus sagte anschließend vorgestern in den Tagesthemen: "Armin Laschet wird bestimmt nicht als Fraktionsvorsitzender kandidieren, wenn wir in die Opposition gehen." Sehen Sie das auch so?
Spahn: Das hat Armin Laschet ja selbst gesagt, dass er nicht Oppositionsführer werden wollen würde im Fall der Fälle. Insofern ist das jetzt keine Neuigkeit. Auch jetzt in der noch nicht Klarheit sind wir weiterhin Regierungsfraktion oder Oppositionsfraktion und daraus folgt ja vieles für die künftige Aufstellung. Jetzt ist dieses Mandat für die Sondierungen gegeben bei Partei- und Fraktionsvorsitz – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Engels: Wäre es zu einer Kampfkandidatur gekommen – die wurde ja noch mal vertagt -, wurden Sie auch immer als möglicher Kandidat um den Fraktionsvorsitz genannt. War das so?
Spahn: Ich finde, wir haben doch jetzt eine gute Lösung gefunden, um jetzt die Gespräche führen zu können, und das gehen wir jetzt an.
Engels: Ralph Brinkhaus ist nur für ein halbes Jahr gewählt. Haben Sie in einem halben Jahr Interesse an seinem Job?
Spahn: Frau Engels! Es geht doch jetzt nicht um mich oder um irgendwelche persönlichen Interessen.
Engels: Aber um Ihre Generation, und da spielen Sie eine wichtige Rolle, haben Sie immer betont.
Spahn: Das stimmt, aber die Union und das, worum es hier gerade geht, auch für Deutschland, das ist alles größer als irgendwie das Interesse einzelner Personen. Deswegen, finde ich, sollten auch jetzt im Moment in diesen Diskussionen diese ganzen "was wäre wenn, hätte, könnte, sollte"-Fragen nicht so einen Raum einnehmen. Darum geht es jetzt gerade nicht.
Engels: Dann gucken wir noch kurz voran. Was ist Ihre Schätzung? Wann ist in der Tat die erste Sondierung dann auch zu dritt mit CDU/CSU, Grünen und FDP tatsächlich spruchreif?
Spahn: Sie wird jetzt rund um dieses Wochenende stattfinden und auch stattfinden müssen, weil Sondieren heißt vor allem erst einmal erste Gespräche zu führen, und erste Gespräche miteinander führen, das ist ja keine Raketenwissenschaft. Das schaffen wir jetzt schnell.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.