"New Normal Working Model" – mit diesem Anglizismus umschreibt Siemens die neue Freiheit für rund 140.000 Konzern-Angestellte. Siemens-Sprecher Florian Martens nennt als Ziel, "dass wir hier dem Wunsch nach Flexibilisierung im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachkommen. Und dass wir auch der neuen Zeitrechnung nach Corona entsprechen. Und dass wir hier als Siemens den Weg nach vorne aufzeigen".
Laut einer Studie des Münchner Ifo-Instituts wollen 54 Prozent aller deutschen Unternehmen Homeoffice und mobiles Arbeiten stärker ausbauen – Siemens legt nun ein Konzept vor, das der Vorstand unter Federführung von Roland Busch, dem designierten Nachfolger von Siemens-Chef Kaeser, beschlossen hat. Es sieht vor, dass Siemensianer künftig dann von zuhause und von unterwegs arbeiten können, wenn es sinnvoll und ihr Vorgesetzter einverstanden ist.
Einhaltung von Arbeitszeitgesetzen ungeklärt
Dann bestehe die Möglichkeit, so Martens, "dass die Mitarbeiter sich aussuchen - gerade wenn sie mehrere Wohnsitze haben oder Familienbedürfnisse unter einen Hut bringen müssen - für sich in Abstimmung mit ihrem Vorgesetzten zu entscheiden, wo sie mobil arbeiten wollen, um produktiv zu sein und die vereinbarten Ergebnisse zu erreichen. Und deshalb definieren wir diesen Begriff bewusst breiter: als mobiles Arbeiten. Ein Teil davon ist Homeoffice."
Bei konzern-internen Umfragen, so der Siemens-Sprecher, hätten fast alle Mitarbeiter für mehr Homeoffice und mobiles Arbeiten plädiert. Die IG Metall ist erstmal nicht dagegen, sagt Hagen Reimer, der Siemens-Beauftragte der Gewerkschaft: "Wir sind grundsätzlich aufgeschlossen. Wir sehen allerdings erheblichen Gestaltungsbedarf, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten nicht durch die Hintertür Nachteile erleiden müssen bei der Einführung."
Denn viele Details sind noch nicht geklärt. Etwa, wie die Arbeitszeiten künftig gestaltet werden und welche Arbeitsmittel den Siemens-Beschäftigten zur Verfügung stehen. "Das geht los bei der technischen Ausstattung des Arbeitsplatzes. Damit man da nicht am Küchentisch sitzt und auf einen kleinen Laptop-Bildschirm starrt. Bis hin zu der Frage, inwiefern die Beschäftigten noch hinsichtlich der Einhaltung von Arbeitszeitgesetzen und Arbeitsschutzregelungen erfassbar sind."
Befürchtungen bei der Gewerkschaft
Es gibt bei manchen IG-Metallern durchaus die Befürchtung, das "New Normal Working Model" könne dazu führen, dass mobile Mitarbeiter – anders als im Büro - keinen Feierabend mehr kennen. Sogar von möglicher Selbstausbeutung ist die Rede. Hagen Reimer sagt, der Gesamtbetriebsrat sei zuversichtlich, bis etwa Oktober eine gemeinsame Vereinbarung zu finden, die für Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragbar sei. Siemens-Sprecher Martens betont, beide Seiten müssten sich vertrauen. Die aktuellen Pandemie-Zeiten hätten gezeigt, dass eine neue Arbeitskultur die Produktivität sogar steigern könne. Homeoffice und mobiles Arbeiten seien ein Teil davon.
"Gleichzeitig gibt es aber auch viele Dinge, die dafür sprechen, im Büro zu arbeiten. Die Kolleginnen und Kolleginnen zu sehen, nicht im häuslichen Umfeld zu arbeiten. Sondern doch im Büro. Und das flexibler zu gestalten mit dem Ziel, zwei bis drei Tage pro Woche seine Arbeit mobil zu verrichten - das ist der Kern dieser Bekanntgabe."
Siemens will damit im Wettbewerb um Talente attraktiver werden und die Motivation der Mitarbeiter steigern.