Maja Ellmenreich: Open Access und Self-Publishing, E-Book, Download und print only – es schwirrt einem schnell der Kopf, wenn man sich schlau macht über die Zukunftsthemen der Buchbranche. Um es ganz digital zu formulieren: Der Weg vom Laptop des Autors bis zum E-Book des Lesers kann vielleicht in Windeseile, per Mausklick, zurückgelegt werden; aber für diesen Weg vom Produzenten bis zum Endverbraucher gibt es zahllose Möglichkeiten, so scheint es. Und um eben diese Möglichkeiten des innovativen Publizierens, Vermarktens und Verkaufens soll es ab morgen zum zweiten Mal gehen bei "future!publish" in Berlin, einem neuen Kongress über die Zukunftsthemen der Buchbranche. Eingeladen dazu ist auch Elisabeth Ruge, langjährige Verlegerin, Lektorin, auch Autorin und Übersetzerin und jetzt Literaturagentin. Sie kennt die Buchbranche also aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Frau Ruge, in Frankfurt und Leipzig trifft sich ja bereits zwei Mal im Jahr die Branche. Gibt es da nicht genügend Möglichkeiten für den brancheninternen Austausch? Oder anders gefragt: Braucht es Ihrer Meinung nach solch eine Zukunftsmesse?
"Es braucht eine solche Zukunftsmesse"
Elisabeth Ruge: Natürlich braucht es eine solche Zukunftsmesse. Ich weiß auch gar nicht, ob ich diese Veranstaltung als Messe bezeichnen würde. In Frankfurt und Leipzig präsentiert sich die Buchbranche ja sehr stark nach außen. Es geht sehr stark darum, neue Bücher zu präsentieren, Autorinnen und Autoren auch eine Bühne zu bieten. Natürlich geht es auch um den Abschluss von Verträgen. Es ist ja eine Rechtemesse, die größte der Welt in Frankfurt. Jetzt findet ja was ganz anderes statt. Diese Veranstaltung "future!publish" hat ja mehr einen großen lebendigen Workshop-Charakter, würde ich fast sagen. Da geht es darum, Gespräche zu führen. Da geht es nicht so sehr darum, Marketing zu betreiben und Deals zu schließen, sondern es geht wirklich darum, ein wenig gemeinsam zu sondieren, wie die Zukunft der Branche aussehen kann, wie sie gestaltet werden kann.
Ellmenreich: Die Gegenwart ist ja schon ganz anders als die Vergangenheit. Diese Digitalisierungshürde war doch ziemlich hoch, scheint es mir zumindest. Bis sich die Verlagsbranche das E-Book so richtig zu eigen gemacht hat, hat es ja doch lange gedauert. Ist die Buchbranche von Natur aus ein bisschen träge, oder vielleicht etwas charmanter formuliert konservativ bedächtig und braucht deswegen so einen Zukunfts-Vitaminschub?
Ruge: Ich würde das jetzt nicht auf die Buchbranche alleine beziehen. Ich finde, dass wir in Deutschland grundsätzlich das Problem haben, dass das Digitale zu zaghaft angegangen wird, dass zu oft das Negative betont wird. Man kann ja kritisch bleiben, man muss sogar kritisch bleiben. Das wissen wir in vielen Bereichen, die erst durch das Digitale geöffnet worden sind. Aber diese Kritik, dieses Kritische, dieses Wache muss doch einher gehen mit etwas Konstruktivem, mit etwas Interessiertem, mit etwas Neugierigem, mit auch etwas Optimistischem. Das Digitale eröffnet auch viele Möglichkeiten, es ist nicht nur ein dunkler Bereich der Bedrohung. Das, finde ich, ist in Deutschland ohnehin leider eine weit verbreitete Haltung bis heute. Das sehen wir auch, was die digitale Infrastruktur anbelangt. In der Buchbranche ist das nicht anders gewesen. Es gibt jetzt eine größere Beweglichkeit, keine Frage, aber man muss natürlich auch sehen, es gibt in Deutschland, was die Buchbranche anbelangt, was das analoge Buch anbelangt, was die Druckkunst anbelangt, eine lange Tradition, vermutlich die wichtigste weltweit. Wir haben einen Buchmarkt, der auch durch eine Preisbindungspolitik geschützt wird. Da gibt es vieles, woran man auch festhalten muss und was man verteidigen muss. Aber ich glaube, die Aufgabe ist, das Neue aufzunehmen, es in seinen Chancen zu erkennen und gleichzeitig das Tradierte, das was uns auch für die Zukunft nützlich und wichtig ist mit dem Neuen in diese Zukunft hineinzutragen. Das ist nicht einfach, aber es ist natürlich auch sehr reizvoll.
"Leute lesen nicht ausschließlich digital"
Ellmenreich: Woher kommt diese Angst? Ist das die Angst, dass die Rechte der Autoren verloren gehen, dass die literarischen Inhalte unter den Tisch fallen, wenn man sich zu sehr um Vermarktung und Verbreitung kümmert?
Ruge: Na ja, um Vermarktung und Verbreitung muss man sich ja auch bei analogen Büchern kümmern, und ich würde vielleicht sogar sagen, dass man sich oftmals zu sehr nur um die Vermarktung kümmert und in manchen Häusern auch jetzt schon die inhaltlichen Diskussionen doch flacher ausfallen. Das ist ein Problem. Ich glaube, dass man lange Zeit beispielsweise gedacht hat, dass der E-Book-Markt den Markt für die gedruckten Bücher kanalisiert, und da hat man doch gemerkt, dass das nicht unbedingt der Fall ist. Man sieht das bei allen Nutzern beziehungsweise bei allen Produzenten, ob es jetzt die Autorinnen und Autoren sind, ob es Leserinnen und Leser sind, überall sieht man doch ein hybrides Verhalten, wenn man das mal so ausdrücken will. Leute lesen nicht ausschließlich digital. Nur weil man nun auch einen Kindle hat und ein iPad und auch auf seinem Telefon natürlich liest, bedeutet das nicht, dass man nicht auch gebundene Bücher in die Hand nehmen will. Wir haben sogar gemerkt, dass die gebundenen Bücher wieder an Bedeutung zugenommen haben, weil es eine interessante Spannung gibt zwischen dem digitalen Produkt und dem hochwertig produzierten Buch. Das ist für viele Leute reizvoll zu sehen, wie man ein und denselben Text in verschiedenen Medien dargebracht auch unterschiedlich nutzen kann. Da gibt es viele Möglichkeiten und deswegen wird in Zukunft auch hier in Deutschland, wo das gebundene Buch, wo die Buchbranche doch noch sehr stark ist im Vergleich zu anderen Ländern, diese Zukunft eine lange Zeit in meinen Augen eine hybride sein. Das Analoge und das Digitale werden fruchtbar nebeneinander existieren.
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