"Italien steht für eine Entwicklung, die wir an vielen Stellen in Europa beobachten und das finde ich das Dramatische", sagte der Philosoph und Politikwissenschaftler Emanuel Richter im Dlf. Die heftige Kritik an Sergio Mattarella für die Ausübung seines Rechts, einen Minister abzulehnen, sei "nicht nur ein Angriff auf die Person, sondern auch auf die Institution des Staatspräsidenten und das finde ich sehr bedenklich". Die Unzufriedenheit mit einer Entscheidung werde umgemünzt in eine Kritik am Staatspräsidenten, am Amt und an der Gewaltenteilung.
Bedrohlicher Trend
Die Distanz gegenüber der Gültigkeit des Recht und der Gewaltenteilung sieht Richter als eine bedrohliche Dynamik und Tendenz. Es gebe einen fließenden Übergang von berechtigter Elitenkritik in Institutionenkritik. Das sehe man auch in den USA sehr deutlich: "Der von uns als Zickzack-Kurs wahrgenommene Kurs von Donald Trump" repräsentiere "dieses Umschlagen in eine personalisierte, autoritäre Herrschaft".
Einen Angriff auf die Gültigkeit von Regelhaftigkeit, von Recht, von Institutionen und von Abschätzbarkeit beobachte man auch in Polen oder Ungarn. "Wir haben im Moment einen Trend weg von dieser breiten Form von Mehrheitsbeschlüssen, von Konsensbildungsprozessen, von Kompromissbildungen und mehr dieses durch den Populismus geschürte Polarisieren, Zuspitzen, Kritisieren und Berufung auf den Volkswillen."
Die massive Kritik an den herrschenden Formen der Demokratie hinterließen den Eindruck, es würden bewährte Regierungsmechanismen und Systemmerkmale zur Disposition gestellt oder abgelehnt.
Aufklärung statt Tabuisierung
Die aktuellen Entwicklungen dürften nicht tabuisiert werden, warnte Emanuel Richter. Vielmehr müsse man nach den zugrunde liegenden Kräften und Dynamiken suchen und sie zu erklären versuchen. "Wenn wir dieses Gesamtklima gut verstehen, dann können wir auch dagegen agieren", sagte der Politoploge im Dlf.
Dabei gehe es auch um Aufklärung und die Beleuchtung von Hintergründen, "dass man also die Komplexität der Politik zur Kenntnis nimmt - und das wird vom Populismus an vielen Stellen verweigert".
"Niedergang sozialdemokratischer, sozialistischer Parteien"
Die Gefahr einen Absterbens der Demokratie sieht Richter nicht, denn es gebe immer Widerstandskräfte gegen solche Entwicklungen. Doch derzeit wisse man nicht, an welche parteipolitische Strömungen und ideologischen Richtungen sich eine Gegenbewegung heften solle. Die sozialdemokratischen, sozialistischen Parteien hätten immer gewissermaßen dieselbe Klientel wie die Populisten angesprochen, also "Leute, die unter schwierigen ökonomischen Bedingungen und sozialen Bedingungen existieren". Doch diese seinen besonders in Europa im Schwinden statt im Wachsen begriffen.
Keine Zukunft der Populisten
Dennoch würden die Populisten auf Dauer scheitern: Sie seien nicht in der Lage, die gesamte komplexe Problemlage ihrer Klientel zufriedenstellend zu lösen. Einmal an der Macht, stünden sie vor denselben schwierigen Fragen wie andere Parteien und diejenigen, die Elitenkritik ausgeübt haben, müssten sich dann selbst dem Vorwurf stellen - und das werde zu Ernüchterung führen, so Richter.