Archiv

Zukunft der Germanistik
"Präsenz von Germanisten im öffentlichen Raum ist groß"

Zu viele Studeten, ein unklares Berufsfeld und Professoren, die kaum wahrgenommen werden: In der aktuellen Ausgabe des Magazins "Der Spiegel" wird die Krise der Germanistik heraufbeschworen. Der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke widerspricht dieser These. Man habe ihn als Interviewpartner im "Spiegel" nicht richtig wiedergegeben, sagte er im DLF.

Albrecht Koschorke im Gespräch mit Britta Fecke |
    Studenten in der Bibliothek. Viele Universitäten nehmen an der "Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten" teil: Hunderte Studenten überwanden sich gemeinsam und begannen mit den bislang liegen gebliebenen Hausarbeiten.
    "Wir leben in einer diversifizierten Medienwelt und es kann sein, dass andere Friktionsmedien der Literatur da in der Gegenwart den Rang abgelaufen haben", sagt der Germanist Albrecht Koschorke. (dpa / picture alliance / Maja Hitij)
    Britta Fecke: Auf dem Titelbild wird die Freiheit, symbolisiert von der Freiheitsstatue, von Donald Trump geköpft, und im Kulturteil des aktuellen "Spiegel" die Krise der Germanistik heraufbeschworen. Zu viele Studenten, ein unklares Berufsbild und Professoren, die im öffentlichen, auch politischen Diskurs nicht wahrgenommen werden. Zitiert wird in dem Artikel des Germanisten- und Kulturredakteurs Martin Dörrie unter anderem der Literaturwissenschaftler Professor Albrecht Koschorke von der Universität Konstanz, mit dem ich jetzt verbunden bin.
    Herr Koschorke, Sie haben sich heute mit zwei Ihrer Kollegen in der "FAZ" zu Wort gemeldet, weil Sie schon im ersten Satz bedauern, endlich einmal Beachtung gefunden zu haben, aber dann ist es gründlich schiefgegangen. Warum finden Sie denn so selten Beachtung und was ist schiefgegangen?
    Albrecht Koschorke: Das ist ironisch gemeint. So unbeachtet fühlen wir uns gar nicht in der Welt als Germanisten. Dass es schiefgegangen ist, hängt damit zusammen, dass dieser Artikel mehr oder weniger eine Grabregung dieses Faches veranstaltet, und diejenigen, die da interviewt worden sind - davon bin ich ja einer -, fühlen sich damit überhaupt nicht richtig wiedergegeben.
    "Mündlich stimmt vieles nicht"
    Fecke: Fühlen Sie sich falsch zitiert oder was ist da passiert?
    Koschorke: Die schriftlichen Zitate sind korrekt, aber mündlich stimmt vieles nicht. Das gilt jetzt bei mir zum Beispiel für die Aussage, dass ich dafür plädiere, das Fach schrumpfen zu lassen. Das habe ich nie gesagt. Ich habe gesagt, dass es ein Fach ist, das eine bestimmte historische Laufzeit hat und möglicherweise jetzt auf dem Weg ist, kleiner zu werden. Das finde ich für sich genommen nicht unbedingt einen bedauernswerten Vorgang; solche Dinge gibt es in der Geschichte von Disziplinen, dass sie wachsen und dass sie dann auch wieder Teile abgeben. Das hat jetzt mit der Qualität des Faches auch gar nichts zu tun, sondern mit einer bestimmten Situation, in der sich die Literatur, das Literaturstudium, aber auch die Germanistik als eine Nationalphilologie befinden.
    Fecke: In dem Artikel wurde ja nicht nur das unklare Berufsbild der Studenten beklagt, sondern auch, dass viele Germanisten am öffentlichen Diskurs nicht teilnehmen. Teilen Sie diese Meinung?
    Koschorke: Das kommt darauf an, wie man das einschätzt, als Germanisten oder als Teilnehmer am öffentlichen Diskurs. Als Germanisten, gut: Dass die Zeit, wo vielleicht die Literatur die zentrale Instanz der gesellschaftlichen Reflexion war, wo man als Sachwalter der deutschen Literatur zu allen kulturellen Dingen Wesentliches sagen konnte, die Zeiten mögen vorbei sein. Wir leben in einer diversifizierten Medienwelt und es kann sein, dass andere Friktionsmedien der Literatur da in der Gegenwart den Rang abgelaufen haben. Wir leben sicher nicht mehr in der Zeit um 1800, wo literaturtheoretische Streitfragen als gesellschaftliche Grundsatzfragen behandelt werden konnten. Das ist nicht so. Aber die Präsenz von Germanisten im öffentlichen Raum, sofern sie als public intellectuals oder in anderen Funktionen sich äußern, ist eigentlich groß.
    "Es stimmt, dass Germanistik ein Fach ist, das man vielleicht aus Verlegenheit studiert"
    Fecke: Können Sie mir Beispiele bitte nennen?
    Koschorke: Ich denke an meinen Kollegen Josef Vogel in Berlin, der sich sehr viel Gedanken macht über den Kapitalismus und die imaginativen Strukturen, die ihm zugrunde liegen. Ich möchte das auch für meine Person behaupten. Ich arbeite sehr stark über politische Narrative. Ich bin jetzt gerade dabei, mir über den Populismus Gedanken zu machen, mich dazu öffentlich zu äußern. Das ist ja eine Sache, die etwas mit der Handhabung von Sprache und von Erzählungen von politischen Mythen zu tun hat. Und viele andere! Ich kann das nicht teilen, dass wir so unmerklich sind.
    Fecke: Sie unterrichten seit 25 Jahren, Sie dozieren seit 25 Jahren. Das was auch beklagt wird im Artikel ist der doch sehr geringe Bildungsstand vieler Germanistik-Studenten. Würden Sie dem zustimmen?
    Koschorke: Ich glaube, es stimmt, dass Germanistik so ein Fach ist, das man auch vielleicht aus Verlegenheit studiert, oft übrigens als zweites Fach neben anderen Fächern, zum Beispiel für die Lehramtslaufbahn. Und ich glaube, es stimmt auch, das muss ich leider sagen und feststellen, dass die Voraussetzungen, die aus den Schulen mitgebracht werden, immer dürftiger werden. Das betrifft ganz basale Fragen der Handhabung der deutschen Sprache und auch einer gewissen Sprachfertigkeit jetzt über die reine Orthographie hinaus, obwohl ein orthographisch richtiger Satz auch schon eine schöne Sache ist. Es geht aber auch darum, dass wir die Studenten eigentlich nicht mehr so aus den bildungsbürgerlichen Häusern abholen, wo sie schon ganze Lesebiographien mitbringen. Wir können bestimmte Voraussetzungen, die vielleicht vor 30, 40 Jahren gegolten haben, jetzt nicht mehr geltend machen, was auch natürlich mit der Öffnung der Universitäten zu tun hat, mit der höheren Quote von Abiturienten, die studieren, und mit anderen Entwicklungen, die jetzt die Germanistik nicht spezifisch betreffen.
    Fecke: Ich sprach mit dem Literaturwissenschaftler Professor Albrecht Koschorke von der Universität Konstanz über die heraufbeschworene Krise in der Germanistik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.