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Zukunft der katholischen Kirche
Theologe: "Das absolutistische Priesteramt ist am Ende"

Erstmals trifft sich das Plenum des Synodalen Weges und diskutiert über Reformen in der katholischen Kirche. Ein Hauptthema ist die Machtverteilung. Der Theologe Thomas Ruster schlägt im Dlf vor, die priesterlichen Aufgaben - heiligen, lehren, leiten - auf drei Personen zu verteilen. Seine Begründung ist biblisch.

Thomas Ruster im Gespräch mit Christiane Florin |
Ein katholischer Priester hält bei der Eucharistiefeier die Hostie hoch.
Eucharistiefeier in einer katholischen Messe (picture alliance / Godong)
Christiane Florin: Heute Nachmittag beginnt die nächste, eigentlich die erste Etappe des Synodalen Weges. Das ist ein Diskussionsprozess über Veränderungen in der katholischen Kirche in Deutschland. Nach einem Gottesdienst werden in Frankfurt 230 Katholikinnen und Katholiken, Menschen mit und ohne Weihe beraten. Die Themen sind: Macht, Sexualmoral, priesterliche Lebensform und Frauen.
Der Theologe Thomas Ruster gehört zwar nicht dem Synodalforum an, aber er hat sich intensiv mit zwei der vier Themen befasst: Mit dem Priesteramt und der Macht. Balance of Powers, für eine neue Gestalt des kirchlichen Amtes, heißt sein neues Buch. Thomas Ruster lehrt systematische Theologie in Dortmund. Das Gespräch mit ihm haben wir gestern aufgezeichnet. Ein theologisches Standardwerk zur Macht in der katholischen Kirche gibt es nicht, noch nicht vielleicht. Ich habe ihn zunächst gefragt, warum es so schwierig ist, als Theologe über Macht zu arbeiten?
Thomas Ruster: Wer über Macht arbeitet, wird sich auch mit den Mächtigen anlegen müssen vielleicht. Das könnte ein Grund sein, der viele Theologen zögern lässt. Dazu ist das Thema macht auch theologisch so unaufgeklärt wie nur irgendetwas. Es gibt eigentlich keine Theologie der Macht. Wir reden vom allmächtigen Gott und wissen kaum mehr zu erklären, was wir damit heute meinen. Das setzt sich fort in Bezug auf die Machtstrukturen der Kirche.
Macht und Vollmacht
Florin: Eine gängige Aussage ist, etwa von Papst Benedikt XVI., aber auch von Franziskus: "Alle Macht in der Kirche ist Dienst". Hängt es auch damit zusammen, dass man Macht als Dienst darstellen muss?
Ruster: Ja. De facto ist ja die Macht eine Sache des Amtes und das Amt ist zum Dienen da. Das Amt ist ein Dienstamt. Es dient der Kirche, der Gemeinde und die Sache es die, dass dieses Dienstamt in unserer katholischen Tradition mit bestimmten Vollmachten verbunden ist. Da ist das Thema Macht im Grunde angesiedelt, was wir "potestas" nennen in unserer Tradition, also die Vollmacht, etwas zu tun, was andere dann nicht tun dürfen.
Florin: Und worin besteht die Macht eines Priesters?
Ruster: Der Priester hat eben die Weihevollmacht, die "potestas ordinis". Also er darf Sakramente vollziehen, Sakramente spenden und sie damit gültig machen. Das kann keiner außer ihm. Das gilt vor allem für die Eucharistie. Er darf alleine die Konsekration der Elemente vollziehen, damit eben das, was wir Wandlung nennen. Wenn man bedenkt, wie zentral das für den Vollzug von Kirche ist - Eucharistiefeier als die Begegnung von Gott und Mensch oder als das Zur-Welt-Kommen Christi in Form der Gegenwart im Gottesdienst -, dann merkt man, welche große Macht ist. An der Stelle hapert auch der ganze Amtsdiskurs war, wenn man sich vorstellt, es gebe keinen Priester mehr, der die Transsubstantiation, also diese Wesensverwandlung bei der Eucharistiefeier, vollzieht, dann würde Kirche nicht mehr weiter arbeiten können.
Priester, König, Prophet
Florin: Die Wandlung von Wein in das Blut Christi und von Brot in den Leib Christi, das ist die Vollmacht, die Sakramente zu spenden, die Sie gerade angesprochen haben. Aber ein Priester hat ja noch andere Aufgaben: Er soll heiligen, darüber haben wir uns gerade kurz gesprochen. Er soll lehren, und er soll leiten. Sie schlagen vor, diese drei Aufgaben auf drei Personen zu verteilen. Im Moment laufen sie sozusagen alle im Priester zusammen. Diese Verteilung auf drei müssen Sie, glaube ich, etwas näher erklären. Wie soll das gehen?
Ruster: Ja, aber das ist erst mal ganz einfach gedacht. Es gibt diese drei Vollmacht, diese drei Kompetenzen, die ein Amtsträger hat, der Bischof wie auch der Priester. Diese drei Vollmachten zu lehren, zu leiten und zu heiligen. Und die kann man auch auf verschiedene Personen verteilen. Dann käme ebenso eine Balance auf Powers zustande, also ein Gleichgewicht der Kräfte. Und es würde diese Art von kirchlichem Machtabsolutismus, dass man immer diese drei Vollmachten in einer Person vereinigt hat, damit aufgelöst. Das ist im Grunde der Kern meines Vorschlags, der sich darauf beruft, dass es auch ein zutiefst biblischer Gedanke ist. Biblisch, weil ja auch in der ganzen Geschichte des Gottesvolkes Israel diese drei Ämter immer unterschieden gewesen sind. Es gab den König, es gab den Priester, es gab den Propheten. Die drei haben sich immer so in einer Beziehung des Miteinander-Streitens und des Aneinander- Reibens befunden und wurden miteinander zum Ausgleich gezwungen. Diese Erfahrung der Bibel, diese Grunderfahrung, wie mit Ämtern umzugehen ist, will ich eben für unsere heutige Kirche wieder fruchtbar machen.
Der Theologe Thomas Ruster
Der Theologe Thomas Ruster (privat)
Florin: Alle drei halten einander in Schach, schreiben Sie, der König, der Priester, der Prophet.
Ruster: Ja, das kann man in der Bibel sehr anschaulich zeigen.
"Wir haben die falsche Gestalt des Priesteramtes"
Florin: Aber es ist ja nun anders: Es gibt eine Weihe, die für die Institution Kirche eine ganz besondere Bedeutung hat. Durch diese Weihe wird aus einem Mann ein geweihter Mann, aus einem Schaf ein Hirte. Das hat auch eine Tradition. Sie bohren ein ganz schön dickes Brett.
Ruster: Ja, natürlich haben wir diese Tradition des besonderen, ausgezeichneten priesterlichen Amtes oder des bischöflichen Amtes. Aber die ist gar nicht mal so alt. Das hab ich ja auch nochmals deutlich aufgezeigt. Es ist eine Entwicklung des hohen Mittelalters, des zwölften, 13. Jahrhunderts im Gefolge des Investiturstreits. Über tausend Jahre vorher gab es diese Gestalt des Amtes nicht. Darum sind wir gar nicht daran gebunden, eine bestimmte Tradition, die uns heute als die gegebene, als die selbstverständlich erscheint, einfach blind fortzusetzen. Das Problem des Amtes in der Kirche, des Priesteramtes, ist nicht allein, dass wir zu wenig Priester haben. Das ist auch ein Problem. Aber wir haben die falsche Gestalt des Priesteramtes, nämlich diese absolutistische Vereinigung aller Vollmachten in einer Person, gegen dies keinerlei Möglichkeiten des Rekurses gibt an andere Instanzen. Man ist immer nur an den Priester gewiesen, wenn man in der Gemeinde zum Beispiel mit ihm Krach hat. Er begegnet einem als Leiter, als Liturge, als Prediger. Und man kommt da nie ran.
Florin: Ihr Vorschlag geht sogar noch etwas weiter. Sie möchten, dass diese drei Personen aus der Gemeinde oder aus dem Kirchenvolk gerufen werden. Also sie sollen nicht in sich Berufung spüren und das mehr oder weniger mit sich selbst und der Kirche ausmachen. Sie sollen von anderen gerufen werden. Was heißt das in der Praxis?
Ruster: Das heißt, dass man schaut, wer sich eignet zu den jeweiligen besonderen Tätigkeiten. Das prophetische Amt erfordert andere Qualifikation als das priesterliche und als das Leitungsamt. Man muss gucken, wer in der Gemeinde da ist und das tun könnte und man muss denjenigen ansprechen, ob er oder sie das tun würde, dessen oder deren Einverständnis einzuholen und dann diese Person dem Bischof vorzuschlagen, zur Weihe, das wäre mein Modell. Da würde Berufung mal konkret gefasst, nicht als inneres Gefühl: "Gott hat mich berufen", sondern als ein Vorgang, den die Kirche als Gemeinschaft der Berufenen selber vornimmt, die selber Berufungen ausspricht.
"Das wäre auch ein Stück Demokratisierung"
Florin: Im Moment kommt die Legitimation des Amtes von oben. Also Gott ruft, und jemand sagt: "Ich spüre diesen Ruf". Die Kirche prüft, ob an diesem Ruf etwas daran ist, um es einfach auszudrücken. In Ihrem Modell wäre ein gewisses demokratisches Element eingebaut. Müsste eine Wahl voraus gehen?
Ruster: Ja, faktisch wird das so sein müssen. Da müsste man schauen: Wer ist denn da im Umfeld einer Gemeinde, der das kann? Und dann müsste man sich ein Verfahren überlegen, einen Findungsausschuss einsetzen, der Personen sucht und anspricht. Vielleicht eine demokratische Form, etwa im Pfarrgemeinderat oder wo auch immer, wo dann über diese Vorschläge auch abgestimmt wird. Das wäre sicher notwendig. Ja, das wäre auch ein Stück Demokratisierung der Kirche.
Florin: Sie fragen rhetorisch in Ihrem Buch: "Hat die Kirche mit ihrer hierarchischen Struktur der Ämter dem stets drohenden Missbrauch geistlicher Amtsgewalt besser gewehrt als die alttestamentliche Gewaltenteilung? Diese Frage muss mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden. Hierarchische Ordnung lässt zwar Kontrolle von oben nach unten, nicht aber von unten nach oben zu. Gegen Amtsmissbrauch der höheren und höchsten Amtsträger vermag sie nichts auszurichten." Nun ist aber die Kirche hierarchisch organisiert. Wie wollen Sie einen solchen Vorschlag durchsetzen, der die Axt an die Hierarchie anlegt? Von wem müsste das jetzt eigentlich entschieden werden.
Ruster: Vom Bischof.
"Bischöfe müssen bleiben"
Florin: Also der bleibt, der Bischof?
Ruster: Der bleibt, der soll bleiben. Sonst hätte man eine andere Kirche. Wir sind ein episkopale Kirche, das ist seit 2000 Jahren Tradition. Das hat auch einen guten Sinn, weil der Bischof eben die Einheit seines Bistums auch einer Person darstellen muss. Er hat die drei Vollmachten inne und kann sie deswegen auch in der Weihe ausspenden. Das macht schon noch Sinn, den Bischof in diesem Sinne zu behalten. Trotzdem wäre die Hierarchie deutlich flacher. Sie käme eben von unten. Denn die Vorschläge, wer eine solche Weihe empfangen könnte, kommen dann von unten, also von der Gemeinde selbst. Das wäre die entscheidende Instanz.
Florin: Das wäre mit einem Machtverzicht verbunden für diejenigen, die jetzt in Ämtern sind.
Ruster: Natürlich. Statt des Priesters, der die Gemeinde in jeder Beziehung heute bestimmt und dominiert, hätten wir verschiedene Personen, die da miteinander interagieren müssen und die ja auch nach meiner Modell durchaus auf Zeit diese Tätigkeit ausüben können.
Priestermangel als göttliches Zeichen
Florin: Die Erfahrung sagt, dass Machtverzicht eine Option ist, die selten gewählt wird. Was stimmt Sie optimistisch, dass dieser Vorschlag - es müsste dann wahrscheinlich mit Mehrheit entschieden werden von Bischöfen -, dass dieser Vorschlag unter Bischöfen eine Mehrheit findet?
Ruster: Ich hab ja etwas emphatisch geschrieben: "Gott schickt uns den Priestermangel, um uns über das Priesteramt neu nachdenken zu lassen." Auf jeden Fall ist der Priestermangel so bedrängend, und zwar in der ganzen Kirche weltweit, dass offenbar neue Lösungen sein müssen. Die Bischöfe haben die Wahl, an dem alten Modell festzuhalten. Dann lassen sie zunehmend Gemeinden einfach unversorgt und die Kirche regelrecht verkommen. Oder sie besinnen sich auf neue Möglichkeiten des Amtes. Da ist mein Modell sicherlich etwas, was mit einer guten theologischen, biblischen Begründung ansteht, hier zur Wahl zu stehen. Ob das dann durchkommt, weiß ich nicht. Aber zunehmend, das wäre auch meine andere Option, werden sich Gruppen, also Gemeinden bilden, die nicht identisch sind mit Kirchturms-Gemeinden klassischen Sinns, also mit Pfarreien, die von sich aus so eine Struktur einfach wählen, weil die eben sich natürlicherweise auch ergibt.
Florin: Eine Kirche ohne Priester ist für Sie nicht vorstellbar?
Ruster: Das Priestertum recht verstanden als Amt der Heiligung ist sicherlich unverzichtbar. Also die Kirche hat die Aufgabe, die Welt zu heiligen. Wir sind berufen zur Heiligkeit. Der Begriff wäre noch mal auszudeuten. Aber das ist das, was wir als Kirche grundlegend zu tun haben: die Welt zu heiligen. Weil der Priester eben die Amtsperson ist, die diesen Vorgang der Heiligung ausübt, wäre eine Kirche ohne Priester nicht zu denken, genauso wie sie ohne Propheten und ohne Könige in diesem biblischen Sinne nicht zu denken ist.
Priesterin, Königin, Prophetin
Florin: Das Amt ist im Moment an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die bekannteste dürfte sein, dass man männlichen Geschlechts sein muss. Wie sieht es mit den Ämtern aus, die Sie zu vergeben haben? Also muss der Priester ein Mann sein, gibt es Priesterinnen, geht auch eine Königin? Propethin ist ohnehin weniger problematisch.
Ruster: Ich freue mich auf viele Königinnen und Prophetinnen und Priesterinnen. Die Voraussetzung, dass es nur ein unverheirateter Mann sein kann, ist auch wiederum historisch bedingt. Das ist an ein bestimmes Amtsverständnis gebunden. Schon im klassischen Modell war immer die Frage: Was ist denn, wenn Gott mal eine Frau beruft? Wie geht man damit um? Im neuen Modell ist für mich ganz klar, dass es keinen Grund mehr gibt, Frauen von dieser neuen Form des Amtes auszuschließen. Man schaut nach Fähigkeiten, nach Charismen, nach Begabungen und versucht, die aufzuspüren bei Frauen und Männern. Natürlich würde in diesem Modell, wenn es um zeitliche Beauftragung geht, auch die Ehelosigkeit, gar keinen Sinn mehr machen.
"Zölibat ist nicht mehr nötig"
Florin: Der Zölibat ist hart umkämpft, gerade im Moment auch durch die Intervention des früheren Papstes, ist das Thema in den Medien gewesen. Der Zölibat spielt in Ihrem Buch nur eine Nebenrolle. All das, was Päpste geschrieben haben, etwa zum "engelsgleichen Zustand", der verbunden sein soll mit der Enthaltsamkeit, etwa die Freiheit für Gott, wie es Joseph Ratzinger gerade noch mal sagte: Das wischen Sie jetzt einfach beiseite und sagen: Ist nicht notwendig, für keines der drei Ämter?
Ruster: Für mich ist der Zölibat immer damit begründet gewesen, grundlegend, dass der Priester als eine Art Mittler zwischen Gott und den Menschen, als der, der Christus in die Hostie hineinbannen kann aufgrund dieser besonderen den Gläubigen vor- übergeordneten Person, ein Merkmal haben muss, was seine übernatürlich Stellung auch nach außen hin sichtbar macht. Das ist der Zölibat gewesen. Man verzichtet auf das Natürlichste der Welt, auf Familie, um damit zu sagen, dass man aus dem natürlichen Zusammenhang herausgehoben ist.
Das wäre in meiner Modell auch theologisch deswegen nicht mehr nötig, weil ich ja ansätze bei der Teilhabe aller Getauften am dreifachen Amt, die bereits mit der Taufe gegeben ist. Das steht im Taufformular so: "Ihr habt Anteil an Christus, der da ist König, Priester und Prophet". Eine besondere Heraushebung des Amtes im Sinne einer besonderen Christusnähe ist gar nicht mehr theologisch möglich und gerechtfertigt, weil jeder Getaufte und jede Getaufte schon dieses Amt innehat. Es geht nur noch darum, wer dieses Amt an ausüben kann.
"Einfluss von guten Argumenten auf Entscheidungen ist gering"
Florin: Sie haben ein Fachbuch geschrieben. Sie schauen Sie sich die Sache akribisch genau an. Sie argumentieren und begründen, Sie behaupten nicht einfach nur etwas. Wie ist denn Ihr Eindruck der kirchlichen Debattenkultur? Setzen sich da gute Argumente durch?
Ruster: Das ist ein leidiges Thema. Das Thema Amtsverständnis ist schon seit dem Zweiten Vatikanum auf der Tagesordnung. Es gibt viele ganz kluge Bücher dazu, ganz schöne Ansätze. Aber es hat sich nichts bewegt in der Kirche. Der Einfluss von guten Argumenten auf die faktischen Entscheidungen ist leider sehr, sehr gering. Es geht offenbar mehr um Machtfragen als um als um Argumente. Das ist leider so.
Florin: Sie sind kein Mitglied eines Synodalforums, aber der Synodale Weg soll etwas an dem Missstand, den sie gerade beschrieben haben, ändern. Es soll angeblich offen debattiert werden. Haben Sie Hinweise darauf, dass Ihr Vorschlag ernsthaft diskutiert wird auf dem Synodalen Weg, entweder im Forum zur priesterlichen Lebenform, im Forum zur Macht oder in beiden?
Ruster: Nach dem, was ich dazu jetzt gehört habe aufgrund der vorbereitenden Papiere, die in Arbeitsgruppen zugrunde liegen, denkt man so weit nicht beim synodalen Weg.
"Zahm und lammfromm"
Florin: Sie sind schon radikal, oder?
Ruster: Ja, man denkt über priesterliche Lebensform, über Spiritualität nach in dem Forum über Priestertum. Aber das reicht nicht hin zu einer wirklichen Strukturdebatte, die wir eigentlich führen müssen. Das hat mich auch enttäuscht, dass es so zahm und so lammfromm dahergeht, obwohl doch die Strukturprobleme, die mit dem Amt zusammenhängen, so unübersehbar sind. Ich denke, dass über die Amtsfrage der Kirche mehr Schaden oder mehr Schwierigkeiten zugefügt werden als über die ganze Säkularisierung zusammen. Wenn wir gut geführte, gut versorgte Gemeinden hätten, dann würden die Gemeinden noch viel lebendiger sein können, als sie es heute sind. Man kann ja nicht über die Amtsfrage die Kirche sterben lassen. Das ist doch undenkbar. Ich hoffe, dass das Bewusstsein sich auch beim Synodalen Weg ein bisschen durchsetzt und vielleicht etwas herauskommt, wo einzelne Vertreter und auch Bischöfe erkennen, dass es so nicht weitergehen kann.
Florin: Ihre Idee ist ein Versuch, die katholische Kirche zukunftsfest zu machen. Warum wollen Sie die Kirche retten? Aus Ihrem Buch spricht bei allem wissenschaftlichen Ton, bei aller Ernsthaftigkeit, auch eine gewisse Leidenschaft, ein starkes Engagement für diese Kirche. Warum?
Ruster: Einmal bin ich Mitglied dieser Kirche. Es ist die Kirche, die ich kenne, in der ich lebe und die ich auch liebe auf meine Weise. Ich bin Theologe dieser Kirche, habe eine Lehrerlaubnis dieser Kirche und verstehe mein Amt als Theologe auch darin, dass ich meiner Kirche die theologische Unterstützung gebe, die ich leisten kann. Es gibt gute Gründe, auf das Katholische weiterhin zu setzen. Die kann ich hier nicht alle ausführen. Aber das tue ich mit gutem Gewissen nicht nur aus pragmatischen Gründen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Ruster: Balance of Powers. Für eine neue Gestalt des kirchlichen Amtes.
232 Seiten, 22 Euro.