Seit einem guten Jahr leitet Pater Benedikt Pahl die Abtei und hat bisher auch als Religionslehrer an einem Heidelberger Gymnasium gearbeitet, vor allem die Abschluss-Klassen unterrichtet. Während es bei den katholischen Priester-Kandidaten immerhin spärlichen Nachwuchs gibt, interessieren sich kaum noch junge Männer für ein Leben im Kloster. So wurden 2020 in Deutschland noch 63 Männer zu Priestern geweiht, in den 355 Klöstern gab es nur noch 30 männliche Novizen unterschiedlichen Alters. Woran liegt das?
Pater Benedikt erklärt: "Ich würde das gar nicht nur auf Deutschland fokussieren, sondern selbst in einem so genuin katholischen Land, jedenfalls noch vor Jahrzehnten, wie in Polen, gibt es mächtige Nachwuchsprobleme – selbst dort. Woran das liegt? Sie kennen sicher die Trias von Gehorsam, Ehelosigkeit und das, was man als Armut bezeichnet, obwohl die Benediktiner, also mein Orden, diese Trias eigentlich gar nicht so kennt. Wenn ich mit meinen Schülern spreche, also der Altersgruppe, die besonders prädestiniert wäre, sich überhaupt mit dem Thema, ob man ins Kloster geht oder nicht, zu beschäftigen, spüre ich sehr häufig, dass da eine Diskrepanz ist zwischen dem, was in den Medien ventiliert wird und dem, was mir die Jugendlichen erzählen. Es liegt nämlich nicht an der Ehelosigkeit – die Armut wird als etwas Faszinierendes bei vielen akzeptiert – das ist natürlich jetzt sehr pauschal – das können Jugendliche durchaus nachvollziehen, ich glaube sogar, mehr als vor 15 Jahren. Der Gehorsam ist das Problem, das Entscheidende."
Pater Suitbert: "Die Kirche ist zu reich"
Seit 38 Jahre ist Benedikt im Kloster. Er erzählt: "Wir haben hier in Neuburg keinen einzigen Mönch gehabt, der als Einzelkind aufgewachsen ist, sondern alle stammen aus Familien mit mehreren Kindern, meistens sogar aus ziemlich großen Familien. Das heißt – und das erlebe ich auch an der Schule – ein Einzelkind hat es besonders schwer, und zwar vor allem, weil er oder sie nicht ab und zu geben können. Sie können sich schwerer einfügen. Denn Gehorsam heißt nicht irgendwie blinder Kadavergehorsam irgendeinem Oberen gegenüber also einem, der da jetzt die Marschrichtung angibt, sondern Gehorsam sein ist für uns, sensibel sein für das, was der andere jetzt gerade in einer Notsituation braucht. Das ist ein Anspruch an mich, ihm zu helfen. Und das ist für ein Einzelkind nicht so einfach zu merken wie für jemand, der aus einer Familie stammt, wo man eben von vornherein durch die Geschwister Rücksicht nehmen muss."
Pater Suitbert, der Älteste in Stift Neuburg, ist vor mehr als 70 Jahren ins Kloster eingetreten. Er sieht noch andere Gründe. In seinen ersten Jahren im Kloster lebte er zeitweise mit bis zu 36 Brüdern zusammen dort. Er erklärt das mit dem großen Nachholbedürfnis nach Nazi-Zeit und Krieg, das junge Männer ins Priesterseminar und auch ins Kloster führte.
Pater Suitbert: "Es geht uns heute zu gut. Die Kirche ist zu reich, und das hat alles negative Folgen. Das ist einfach so nicht in Ordnung. Ein Kloster ist kein Selbstzweck. Da kommen die zusammen, die sich von Gott für diesen Weg berufen fühlen, und wenn das ausbleibt, gut, dann ist halt eben nix mehr da. In unserer heutigen Welt wird Gott immer mehr ausgeklammert, Gott spielt ja in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle mehr, oder kaum. Man geht ins Kloster, um vieles loszulassen, nicht aus Verachtung, sondern um sich mehr auf das Eigentliche zu konzentrieren. Das sind spezielle Berufungen, die Gott irgendwie schenkt, das können andere kaum verstehen oder gar nicht verstehen."
Pater Benedikt: "Man muss ein Maß finden"
Letztendlich gehören Berufung und Gehorsam zusammen. Aber welche Art von Gehorsam ist hier gemeint? Ist es der Gehorsam, der es in erster Linie mit Verboten zu tun hat oder meint das Wort vielleicht noch etwas anderes?
Als Pater Benedikt sich 1982 für ein Leben im Kloster entschied, durfte er seine Zimmertür nicht abschließen, keine Zeitung lesen, nicht ins Theater gehen, ins Kino schon gar nicht. Fernsehen war streng begrenzt. Das hat sich inzwischen sehr geändert. Gehorsam wird – abgesehen von den Klosterregeln – sozusagen individuell definiert.
Pater Benedikt: "Wir haben jetzt einen Studenten, der bei uns wohnt, und dieser Student kommt aus einer Musiker-Familie und ist auch selber musikalisch sehr begabt. Das wäre zum Beispiel ein Abwägungsprozess, dass ich dem natürlich sagen würde – nehmen wir mal an, er würde ins Kloster gehen: ,Selbstverständlich kannst Du mal ein Orgelkonzert besuchen, kannst Du ins Theater gehen, in eine Opern-Vorführung.' Aber das müsste man individuell auskundschaften und in ein bestimmtes Maß-Verhältnis bringen. Also man kann nicht sagen: ,Du kannst in die Oper.' Sondern wie mir das der Abt auch gesagt hat – weil ich nämlich auch ein Opern-Narr bin: ,Ja gut, einmal im Monat.' Ob jetzt einmal im Monat, das müsste man individuell aushandeln. Aber dass man da irgendwie ein Maß findet. Das Maß ist ein sehr wichtiges Wort, bei Benedikt auch in der Regel. Also auf der einen Seite individuell die Charismen entfalten, die jeder bekommen hat, und auf der anderen Seite natürlich sich auch integrieren."
Altersdurchschnitt von 74 Jahren
Aber damit die Abtei Stift Neuburg überlebt, reicht nicht ein einzelner Novize. Der könnte beim jetzigen Altersdurchschnitt von 74 Jahren wohl auch kaum integriert werden. Es müssten mehrere Novizen den Weg dorthin finden und als ihren ganz eigenen Weg erkennen. Das aber erscheint mehr als unwahrscheinlich. Dennoch ist das Kloster wichtig.
Pater Benedikt: "Ich wundere mich, wie viele Leute bei uns in die Kirche kommen, außerhalb der Gottesdienste, nur so. Unsere Kirche wird genutzt, es ist einfach das emotionale Bedürfnis, in einen Raum der Stille zu kommen, um da zu sich selber zu kommen. Von daher weigere ich mich, das Kloster für tot zu halten. Weil ich spüre, dass ein großes Bedürfnis da ist. Es gibt, das ist durch die Diözese auch so eingerichtet worden, jede Woche kommt ein Kloster oder eine Gemeinschaft dran, wo man per mail Fürbitten oder Gebetsanliegen senden kann, und das halte ich für etwas Wesentliches. Mönche kann ich nicht definieren dadurch, dass sie Landwirtschaft betreiben oder ne Schule haben oder Mission… Der Benediktinerorden ist ein Gebetsorden, ein Orden, der sich nicht durch soziale Aufgaben definiert, sondern durch das Gebet. War für mich auch mit ein Motiv, in den Orden zu gehen; junge Leute, die zu uns kämen, würden das auch nicht akzeptieren, davon bin ich fest überzeugt, dass wir uns jetzt irgendwie gemein machen und mitmischen in Dingen, die nicht zu unserem Kernbereich gehören. Ein Orden im 21. Jahrhundert, davon bin ich fest überzeugt, wird nur dann überleben, wenn er sich in seiner Lebensform absolut alternativ zu dem herrschenden Gesellschaftsmodell verhält."
"Ein Orden überlebt nur, wenn er sich alternativ zum herrschenden Gesellschaftsmodell verhält"
Wie lange das die Benediktiner-Mönche von Stift Neuburg noch durchhalten, ist ungewiss, denn selbst wenn zwei oder drei jüngere Männer Interesse an diesem alternativen Leben hätten, ist die große Frage, ob die kleine Gemeinschaft überhaupt in der Lage wäre, sie zu integrieren. Nicht nur beim Singen und Beten, sondern auch bei der Vermittlung theologischen Grundwissens. Dazu gehören in erster Linie Bibelkunde, Kenntnis der Ordens- und Kirchengeschichte, Grundkenntnisse der lateinischen Sprache und die Beschäftigung mit theologischen und ethischen Fragen.
Und so ist das Ende des Klosters durchaus im Bewusstsein der Mönche. Pater Benedikt: "Sie haben vom Tod gesprochen, das ist natürlich ein Thema. Sie können so und so sterben, ich meine jetzt auch als Gemeinschaft. Leider in unseren Tagen und Jahren kommt es immer wieder vor, auch bei den Benediktinern, dass sich manche Orden so gestemmt haben gegen das Zugrundegehen, dass sie im schlimmsten Fall rausgetragen werden mussten. Das war ein unwürdiges Sterben einer Gemeinschaft. Das kann’s nicht sein. Ich hab mein Amt, meinen Dienst auch unter der Prämisse angetreten: Wenn wir dann eben von Gott keine Chance bekommen, wenn keine Leute kommen, das Sterben aber bitte so würdig zu machen, dass wir hier erhobenen Hauptes rausgehen.
"Wenn wir von Gott keine Chance bekommen, sollte das Sterben würdig sein"
Das könnte bedeuten, dass einige der noch dort lebenden Mönche in das nahegelegene Senioren-Wohnheim ziehen und die Stadt Heidelberg Stift Neuburg kulturell nutzen kann und soll. Ein neuer Abschnitt in der nahezu 1000jährigen Geschichte des Klosters. Nachdem es in der Reformationszeit in den Besitz des Kurfürsten übergegangen und in der Folgezeit unterschiedlich genutzt worden war, wurde das Stift im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert schon einmal als Kulturort genutzt. Erst 1926 wurde Stift Neuburg wieder zur Benediktiner-Abtei. Die wechselvolle Geschichte geht weiter.
Pater Benedikt: "Wir werden hier nicht rausgetragen nach dem Motto ‚nach uns die Sintflut‘, sondern wir haben es nachhaltig und würdig so gestaltet, dass wir sagen können: 'Okay, jetzt ist unsere Zeit gekommen".