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Zukunft der Mobilität
"Autonome Fahrzeuge sind eine riesen Dystopie"

Auf der Internationalen Automobilausstellung werden sie gefeiert: Roboterfahrzeuge, die selbstständig fahren und technisch vernetzt sind. "Wir kommen in eine Welt, die ganz technologisch gesteuert ist und in der wir Teil einer großen Fabrik sind", warnt Mobilitätsforscher Martin Lanzendorf im Dlf.

Martin Lanzendorf im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski |
    Fehlt da was? Der Audi Aicon ohne Lenkrad auf der IAA 2017
    Fehlt da was? Der Innenraum des Audi Aicon - ohne Lenkrad und ohne Pedale (picture-alliance / dpa / Revierfoto)
    Adalbert Siniawski: Was uns in den kommenden Jahren auf der Straße erwarten wird, ist jetzt schon zu sehen. Seit dem Wochenende ist die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt am Main für das Publikum geöffnet - eine wichtige Leistungsschau der Branche, die sich da präsentiert. Ein Blick auf das Design der Autos und die Mobilitätskonzepte verrät auch, welche Gesellschaftsentwürfe von Herstellerseite verhandelt werden. Schließlich lautet das Motto der IAA: "Zukunft erleben". Martin Lanzendorf ist Mobilitätsforscher an der Universität Frankfurt am Main - willkommen zum Corsogespräch.
    Martin Lanzendorf: Ja, schönen, guten Tag!
    Siniawski: Das Lenkrad war schon immer quasi das Symbol für Selbstermächtigung und den Individualverkehr - aber es verändert sich, es wird eckiger, kleiner oder verschwindet sogar ganz. Denn: Die Autos der Zukunft fahren autonom! Ein weitgehendes Beispiel auf der IAA ist der vorgestellte Prototyp Audi Aicon, der - ähnlich wie dieses Google-Auto, über das man immer wieder gelesen hat - ohne Lenkrad und Pedale fährt. Wird das Auto in Zukunft zum Roboter und der Mensch zum bloßen Beifahrer eines Algorithmus'?
    Lanzendorf: Das ist sicherlich eine große Gefahr, die uns allen droht. Also, ich glaube die Visionen, die damit verbunden sind - mit autonomem Fahren, mit Algorithmen, mit Robotern - die bedeuten natürlich, dass wir zunehmend in eine Welt kommen, die ganz technologisch gesteuert wird und in der wir sozusagen Teil einer Fabrik sind, einer großen technologischen Welt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das als Zukunftsentwurf alle wollen. Also wenn wir das jetzt so treiben lassen, könnte das passieren, natürlich. Aber ich glaube, wir sollten uns Gedanken machen, ob wir wirklich da hin wollen. Ich persönlich muss auch sagen, ich sehe jetzt noch nicht, dass Roboterautos über die Straßen fahren in Deutschland.
    "Aggressionen über Tastenknöpfe abreagieren"
    Siniawski: Aber Vorteile hätte es schon: Zum Beispiel aggressives Fahrverhalten wird domestiziert und falsches Fahrverhalten wird optimiert, oder?
    Lanzendorf: Das ist vielleicht ein Wunschdenken. Warum sollte das so sein? Vielleicht haben sie ein Programm, das ihnen erlaubt, noch aggressiver zu fahren. Sie können noch zielgenauer, millimetergenau dort abbremsen, wo sie stehen wollen, sie können möglicherweise ihre Aggression über Tastenknöpfe abreagieren. Ich bin mir da nicht so sicher. Das wird oft verteidigt und es wird gesagt, eine der großen Errungenschaften autonomen Fahrens wird sein, dass alles sicherer wird. Ich glaube ehrlich gesagt nicht wirklich daran, dass das per se passieren wird.
    Siniawski: Und solche Autos könnten vielleicht auch gehackt werden. Außerdem sind die Fahrer ja dann vielleicht gläserne Autofahrer.
    Lanzendorf: Also das ist für mich eine riesen Dystopie, diese autonomen Fahrzeuge, die alle Daten senden und es gibt wahnsinnige Gefahren, dass das von irgendwelchen Viren gehackt wird. Aber auch so, dass die Programme einfach nicht funktionieren: Wer garantiert denn, dass diese Programme immer funktionieren? Stellen sie sich einen Blitzeinschlag vor auf der Autobahn mit Tempo 200, ich weiß nicht genau, was dann passiert.
    Also ich glaube, wir müssten uns viel mehr Gedanken darüber machen, wie die Welt, die Städte aussehen sollen, die wir wollen. Und ich glaube, es genügt nicht, wenn wir das von den Maschinen her denken. Sondern wir müssen uns überlegen, wie wollen wir als Menschen in Städten leben? Und dann kommen wir vielleicht dahin, dass wir sagen, also eigentlich haben wir doch tolle Mobilität in Städten mit Fahrrad, mit Fußverkehr, mit U-Bahn, mit Straßenbahn. Brauchen wir denn dann noch die Autos? Brauchen wir den Individualverkehr, wie wir ihn heute kennen? Also ich glaube, das ist so die Frage, wo man losstartet, was man sich da wünscht oder nicht wünscht. Für mich ist das sehr sehr offen, was wünschenswert wäre.
    "Technologie muss mit Stadtenwicklung zusammenpassen"
    Siniawski: Sie fordern ja ganz offen den Ausstieg von privat genutzten Automobilen. Warum wollen Sie dem Deutschen sein liebstes Kind wegnehmen?
    Lanzendorf: So hart würde ich das nicht formulieren. Es gibt bestimmt Anwendungen, wo man individuell PKWs nutzen muss, weil das gar nicht anders geht. Und wir sind ja auch in einer Phase, wo die meisten Leute in Deutschland das nicht anders organisiert kriegen. Aber wir sind auch in einer Phase, wo es zunehmend möglich ist, sehr, sehr viel Mobilität ohne eigenes Auto zu organisieren. Insbesondere, wenn ich PKWs dann nutze, wenn ich sie brauche, mit Carsharing, mit Mietwagen und so weiter. Das geht in urbanen Zentren, in Kernstädten momentan viel besser als auf dem Land. Das ist vollkommen klar, aber wenn wir schon so eine Vision entwerfen, wie "irgendwann gibt es Fahrzeuge, die so rumfahren", warum soll das nicht auch Teil des öffentlichen Verkehrs sein? Und warum ist irgendwann den Deutschen liebstes Kind das Smartphone in der Hosentasche und nicht mehr dieser große Kasten, der da in den Straßen steht.
    Siniawski: Haben Sie ein Beispiel für eine Metropole, wo das schon ansatzweise gut funktioniert - so eine Vision einer neuen Mobilität?
    Lanzendorf: Wir haben diese Entwicklung, dass junge Erwachsene immer weniger PKW nutzen. Wir haben das Beispiel Kopenhagen, wo der Fahrradverkehr einen riesen Anteil hat. Wo die ganze Stadtentwicklung... und das finde ich noch ganz wichtig zu sagen: Es nützt wenig, nur über Technologie des Unterwegsseins nachzudenken, sondern das muss natürlich zusammenpassen mit der Stadtentwicklung, mit der Bevölkerung, die dort lebt, mit den Menschen, die da leben. Und Kopenhagen ist da so einen Weg gegangen, dier hat das ganz stark integriert. Ich denke, da kann man sehr, sehr viel in der Stadt mit dem Fahrrad erledigen oder mit anderen Verkehrsmitteln. Dass man dann wirklich noch einen PKW braucht - wozu brauchen wir das? Wir wollen wen besuchen zu Randzeiten, wo das schlecht funktioniert anders. Wir wollen einen Ausflug machen, wir wollen in den Urlaub fahren. Das sind dann Gelegenheiten, die immer weniger und kleiner werden, wo man das mit Leihwagen und Carsharing machen kann. Also ich denke, in einer Stadt wie Frankfurt, in Berlin, in München, in Hamburg können sie das mit Sicherheit schon in großem Maße tun, und viele Menschen leben ja schon ohne PKW. Es gibt viele Haushalte, die ohne PKW leben.
    "E-Motoren bieten keine Lösung für gesellschaftliche Probleme"
    Siniawski: Aber was bedeutet das für die Stadtplanung? Auch wenn Länder wie etwa Großbritannien, Frankreich oder Norwegen in den kommenden Jahrzehnten den Verbrennungsmotor komplett verbieten wollen, wie müssen sich die Städte darauf vorbereiten?
    Lanzendorf: Es gibt verschiedene Formen der Vorbereitung. Wir können natürlich davon ausgehen: Alles bleibt so, wie es ist und es werden nur elektrische Motoren werden und dann sind wir glücklich. Aber es ist ja nicht so, dass nur die Luftverschmutzung das einzige Problem ist, das wir mit dem Verkehr haben. Sondern wir haben Staus, wir haben Lärmbelästigung, wir haben Flächenverbrauch. Letztens hat jemand gesagt: Spielplätze statt Parkplätze oder Parks statt Parkplätze.
    Wir haben also nicht nur das Problem mit fahrenden Fahrzeugen, sondern wir haben auch das Problem, dass diese Automobile, wie wir sie kennen, die Städte vollkommen dominieren. Dass die Stadtentwicklung in engen Grenzen ist, wenn wir die Städte genau so haben, wie sie heute sind. Ich glaube, es gibt mittlerweile eine Fülle von Initiativen, die sagen: Lasst uns doch Städte so bauen, dass wir dort als Menschen, indem wir durch die Straßen gehen, indem wir Fahrradfahren, viel mehr davon haben, als dass wir diese Flächen opfern für Fahrzeuge, die im Wesentlichen 23 von 24 Stunden nur herumstehen.
    "The toys of little boys"
    Siniawski: Viele denken bei zukunftsorientierten Autos an den US-Hersteller Tesla, ein Unternehmen, das Ökonomie und Fahrspaß vereinen will, mit dem neuen Modell 3 auch für weniger Geld. Aber dennoch: Wenn man sich das Design der Tesla-Autos anguckt, knüpfen sie weiterhin an das klassische Bild eines Sportautos an: aufgemotzt, PS-betont. Ist das nicht eher die Wiederholung der alten Ideale im E-Zeitalter?
    Lanzendorf: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass das auch etwas ist, was man auf der IAA so mitbekommt. Man muss sich nur diese ganzen Werbungen anschauen für die SUVs. Ich habe immer so einen Spruch im Kopf zu Automobilen, die diese Emotionen hochsetzen. Und bei der IAA fällt mir das Jahr für Jahr immer wieder auf: So ein bisschen, the toys of little boys. Die Spielzeuge, mit denen wir uns da beschäftigen, die natürlich eine wahnsinnige Marktdurchdringung haben, die Wirtschaftskraft und was weiß ich alles, was sich da hinter verbirgt. Aber ich finde, das ist erst mal keine Lösung, das ist keine Lösung für gesellschaftliche Probleme.
    Siniawski: Martin Lanzendorf, Mobilitätsforscher an der Universität Frankfurt am Main, vielen Dank für das Gespräch!
    Lanzendorf: Ja, vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.