Ann-Kathrin Büüsker: Was wird nun aus der Rente? Dazu habe ich kurz vor der Sendung mit der SPD-Politikerin Kerstin Griese gesprochen. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Und ich habe sie gefragt, ob ich mit meinen jetzt 28 Jahren eigentlich davon ausgehen kann, dass ich später von meiner Rente noch leben kann.
Kerstin Griese: Das deutsche System der gesetzlichen Rentenversicherung ist im weltweiten Vergleich das stabilste und beste von allen. Die wichtige Frage ist nur, welche Höhe wird Ihre Rente haben, und das hängt ganz entscheidend von zwei Punkten ab, nämlich erstens von Ihrem Arbeitsleben - wer über gute Renten spricht, muss auch über gute Arbeit sprechen -, und zweitens von der demografischen Entwicklung. Dazu wird viel gerechnet, denn das wichtigste Versprechen des Sozialstaates ist, dass man eine auskömmliche Alterssicherung hat, und das ist unser Ziel.
Büüsker: Trotzdem sieht es jetzt so aus, als wäre das Rentenniveau ab 2030 in Gefahr. Wie wollen Sie das stabilisieren?
Griese: Es gibt ja mehrere Stellschrauben, über die man da nachdenken kann, und sicherlich ist es ganz wichtig, dass man zuallererst etwas tut gegen Altersarmut. Wir haben schon einiges getan: Wir haben bei der Erwerbsminderungsrente Verbesserungen gemacht, bei der Mütterrente, wir verbessern die Rehabilitations- und Präventionsmöglichkeiten. Aber in der Tat muss man sich genau ansehen, wie viele Beitragszahler gibt es auf wie viele Rentner und wie kann das verteilt werden. Zum Beispiel gab es 1950 noch sechs Beitragszahler auf einen Rentner, heute sind wir etwa im Verhältnis drei zu eins. 2030 werden zwei Arbeitnehmer einen Rentner bezahlen, finanzieren müssen, und da muss man gucken, wie es weitergeht.
Mir ist wichtig, dass wir das gesamte Rentenniveau betrachten, sowohl die gesetzliche Rentenversicherung, aber auch die zweite Säule, die Betriebsrenten, und die dritte Säule, die private Vorsorge. Ganz konkret werden wir zum Beispiel in Sachen Betriebsrente noch in diesem Jahr einen Gesetzesvorschlag einbringen, der da Verbesserungen schafft, denn es haben noch zu wenig Menschen eine Betriebsrente. Es haben zu wenig mit niedrigen Einkommen eine Betriebsrente und zu wenig, die in kleinen und mittleren Betrieben sind, und das wollen wir verbessern.
"Die höchste Rentenerhöhung seit der deutschen Einheit, weil der Arbeitsmarkt in so guter Lage ist"
Büüsker: Frau Griese, lassen Sie uns bitte noch mal ganz kurz darauf gucken, wie viele Arbeitnehmer einen Rentner stützen werden. Jetzt liegt der derzeitigen Rentenformel zugrunde, dass sie den Anstieg der Rente verlangsamt, je mehr Rentner es gibt als Arbeitnehmer. War vor diesem Hintergrund die Rente mit 63 ein Fehler, weil es dadurch einfach mehr Rentner gibt und weniger Arbeitnehmer?
Griese: Sie war ja ein Stück Gerechtigkeit für die Menschen, die 45 Beitragsjahre auf dem Buckel haben. Das sind oft Menschen, die hart gearbeitet haben. Und es bleibt ja auch nicht bei der Rente mit 63, sondern die wächst ja auch auf 65 auf, genauso wie für uns alle - und auch ich bin ein Jahrgang, der mit 67 in Rente gehen wird -, genauso wie für uns alle das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 aufwachsen wird.
Büüsker: Wenn Sie jetzt schon das Stichwort Gerechtigkeit sagen - wir haben gerade eine der größten Rentenerhöhungen hinter uns und reden jetzt darüber, dass die Rente für die zukünftigen Generationen durchaus in Gefahr sein könnte. Das passt doch irgendwie nicht zusammen.
Griese: Ja! Wir haben die höchste Rentenerhöhung tatsächlich seit der deutschen Einheit gerade, weil der Arbeitsmarkt in so guter Lage ist. Und ich habe es ja schon gesagt: Der Arbeitsmarkt und die demografische Entwicklung, das sind die entscheidenden Komponenten, die die Rente steuern. Und da wir gerade so eine gute Arbeitsmarktlage haben, wirkt sich das auf die Renten aus.
Wichtig ist ja auch immer, wenn man sich das Rentensicherungsniveau ansieht, dass es nicht darum geht, dass Renten sinken, sondern Renten werden weiter steigen. Aber wie schnell oder wie langsam sie steigen, das ist wichtig. Dafür brauchen wir ein gutes Konzept, was auch gut durchgerechnet ist, denn die Zahlen, die heute bekannt geworden sind, besagen ja auch, wenn man es einfach so lässt wie es jetzt ist, brauchen wir 40 Milliarden jährlich mehr. Das ist natürlich nicht machbar und deshalb geht es darum, sowohl das Rentenniveau zu stabilisieren, aber auch die Beiträge nicht so in die Höhe schnellen zu lassen, dass die junge Generation kein Vertrauen mehr in die Rente hat und sich nicht mehr damit identifiziert und auch nicht mehr zahlen will.
Büüsker: Und wie kann das gelingen? Haben Sie konkrete Ideen?"E
"Ein wichtiges Thema auch des Vertrauens in die Politik"
Griese: Konkret geht es darum, dass man sowohl an der zweiten Säule, der Betriebsrente etwas verbessert, auch bei der privaten Vorsorge. Da ist die Riester-Rente ja in Verruf geraten. Da geht es darum, das Vertrauen wiederherzustellen, auch mehr Verbraucherschutz, mehr Sicherheit, denn das ist immer noch eine bessere Anlage als vieles andere.
In der wichtigen großen ersten Säule, der gesetzlichen Rentenversicherung, muss man sich jetzt genau ansehen, wie sich die Rentenhöhe entwickelt und wie sich die Beitragshöhe entwickelt. Das Allerbeste, damit die Renten sicher bleiben, ist ein guter stabiler Arbeitsmarkt, ist, viele Menschen in Arbeit zu bringen. Deshalb ist auch die Nachricht von heute, dass die Arbeitslosigkeit schon wieder eine niedrige Arbeitslosigkeit ist, 5,9 Prozent, eine gute Nachricht für die Rente.
Dann wird man sehen müssen, auf welchem Rentensicherungsniveau und mit welchen Beiträgen sich das entwickelt. Das muss gut durchgerechnet sein, das ist ein wichtiges Thema auch des Vertrauens in die Politik. Deshalb kann ich da jetzt keine Schnellschüsse machen. Die Bundesarbeitsministerin ist da in einem Dialog mit den Sozialpartnern, mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Wissenschaft und wird im November ein Konzept vorlegen.
Büüsker: Müssen wir vor diesem Hintergrund auch über das Renteneinstiegsalter reden?
Rente mit 67 ist eine richtige Entscheidung
Griese: Ich glaube nicht. Ich glaube, Rente mit 67 ist eine richtige Entscheidung, und ich bin ausdrücklich gegen diese Horrorszenarien, dass wir jetzt alle bis 70 oder 75 arbeiten müssten. Das hilft überhaupt nicht weiter. Wir werden heute jetzt gerade gleich im Bundestag ein Gesetz beraten zum flexiblen Renteneintritt, damit die, die sich fit fühlen und gerne länger arbeiten möchten, besser länger arbeiten können, aber auch gleichzeitig diejenigen, die zum Beispiel gesundheitlich belastet sind, besser vorher auch schon über eine Teilrente oder Teilzeit in Rente gehen können. Wir werden stärken, dass Menschen schon viel früher in ihrem Leben, schon mit über 45 Jahren damit beginnen, sich mit Prävention in Sachen Gesundheit zu beschäftigen. Wir wollen die Reha-Leistungen verbessern. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir am Renteneintrittsalter 67 nicht rütteln werden.
Büüsker: Frau Griese, das alles, worüber wir jetzt reden, das ist ja keine Überraschung. Das war absehbar, dass man an das Thema Rente dringend noch mal ran muss. 2030, das ist auch schon in 14 Jahren. Wieso hat die Politik so lange nichts gemacht?
Griese: Die Politik hat ja viel gemacht, eben weil vor einigen Jahren die Zahlen bis 2030 berechnet wurden.
Büüsker: Na ja, aber die Zahlen für nach 2030, die haben wir erst seit gestern.
"Wir wollen Altersarmut verhindern"
Griese: Ja genau, die liegen jetzt vor, die bis 2045. Das sind ja auch immer Prognosen. Man kann ja auch nicht ewig im Voraus rechnen. Gerade weil wir die Zahlen bis 2030 hatten, haben wir unter schweren Konflikten und Schmerzen - das muss man ja auch mal sagen - das Renteneintrittsalter 67 eingeführt. Jetzt sagt unsere Gesetzeslage, dass die Rente nicht unter 43 Prozent Rentensicherungsniveau sinken darf und die Beiträge nicht über 22 Prozent steigen dürfen. Im Moment sind wir sogar in einer Situation, wo das für beides etwas besser aussieht. Die Renten wären etwas höher und die Beiträge etwas geringer, weil sich die wirtschaftliche Lage besser entwickelt hat, als man damals angenommen hatte, und jetzt sehen wir, wie es sich angesichts der demografischen Entwicklung bis 2045 entwickeln würde. Und ich finde, das ist jetzt ein guter Zeitraum, über die Frage, wie geht es bis 2045 weiter, nachzudenken, aber solide anhand von Zahlen, die gerechnet sind, und auch immer im Bewusstsein, dass wir zwei Ziele haben. Wir wollen Altersarmut verhindern und wir wollen ein Sicherungsniveau im Alter erhalten, damit alle davon gut leben können. Das ist das wichtigste Versprechen des Sozialstaates. Gleichzeitig muss es so funktionieren, dass die junge Generation es auch mittragen kann, und deshalb wird es weder gehen, dass das Rentenniveau in Höhen über 50 Prozent schnellt, noch wird es gehen, dass das Beitragsniveau massiv ansteigt. Denn das ist auch den heute Arbeitenden nicht zuzumuten.
Büüsker: Welche Untergrenze beim Rentenniveau halten Sie denn für vertretbar?
Griese: Ich nenne jetzt keine Zahl, weil ich auf die Zahlen warte, die die Bundesarbeits- und Sozialministerin berechnet. Wie gesagt, unsere Gesetzeslage jetzt besagt, es darf nicht unter 43 Prozent sinken. Wir sind jetzt bei 47,8 Prozent. Ich fände es gut, wenn wir eine Möglichkeit finden, das jetzige Rentensicherungsniveau zu halten, zu stabilisieren. Ich sage Ihnen aber auch: 47 Prozent von der Summe X ist was anderes als 47 Prozent von der Hälfte. Die reine Prozentzahl bringt uns gar nicht so viel weiter wie die Frage, wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt, von was werden diese Renten bezahlt, und insofern geht es wirklich um diese zwei großen Ziele und Versprechen des Sozialstaates: Altersarmut verhindern und ein Sicherungsniveau im Alter erhalten. Da werden wir noch viele Diskussionen führen und deshalb greife ich dem nicht vor, sondern warte da auch auf seriöse und solide Zahlen.
Büüsker: … sagt Kerstin Griese. Sie sitzt für die SPD im Bundestag und ist Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.