Peter Sawicki: Etwas mehr als 460.000 SPD-Mitglieder gibt es in Deutschland und sie alle haben Post bekommen, genauer gesagt einen Stimmzettel, auf dem Sie "ja" oder "nein" ankreuzen können – zum Koalitionsvertrag, den die SPD mit der Union ausgehandelt hat. Bis zum 2. März haben die Mitglieder Zeit, sich zu entscheiden, und fest scheint zu stehen, dass beide Seiten, also GroKo-Befürworter und Gegner, bis zum Schluss alles geben werden, um eine Mehrheit für sich zu erzielen.
Mitgehört hat am Telefon der Politikwissenschaftler Torsten Oppelland von der Universität Jena. Schönen guten Tag!
Torsten Oppelland: Guten Tag.
Sawicki: Sind Sie auch noch in die SPD eingetreten?
Oppelland: Nein, bin ich nicht. So groß war mein Ehrgeiz nicht, das Abstimmungsverhalten zu beeinflussen.
Sawicki: Wofür würden Sie denn stimmen aus Sicht der SPD-Mitglieder?
Oppelland: Ich würde wohl dafür stimmen.
Sawicki: Warum?
"Das sieht alles im Moment ganz schlecht aus"
Oppelland: Weil es im Moment, so unangenehm das Wort ist, aus meiner Sicht geradezu alternativlos ist. Denn wenn es jetzt zu einer Minderheitsregierung käme, die über kurz oder lang zu Neuwahlen führen würde, wäre das für die SPD keine erfolgsversprechende Perspektive.
Sawicki: Weil? Können Sie das noch genauer ausführen?
Oppelland: Na ja, was Sie eben im Beitrag schon zitiert haben. Die Umfragelage sieht natürlich verheerend aus und das wird sich nicht kurzfristig ändern lassen. Wenn sie jetzt tatsächlich in einen Wahlkampf gehen müsste, hätte sie größte Schwierigkeiten, überhaupt einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin zu finden, hinter der sich alle vereinen können, und Ergebnisse zu erzielen, die dem Anspruch, eine Volkspartei zu bleiben, entsprechen könnten. Das sieht alles im Moment ganz schlecht aus.
Umgekehrt, wenn jetzt eine Ruhe- und Konsolidierungsphase eintreten könnte, nach einem Regierungseintritt, wenn Frau Nahles gewählt wird und eine gewisse Führungskraft entfalten kann, dann können sich die Dinge in drei Jahren oder vier Jahren ganz anders darstellen, wenn die Ära Merkel sich dem Ende zuneigt und auch in der CDU vieles noch Klärungsbedarf haben wird. Die Stimmungsumschwünge in der Wählerschaft in den letzten Jahren sind ja doch sehr, sehr groß. Das hat man nicht zuletzt am Phänomen Schulz gesehen. Insofern ist aus meiner Sicht jedenfalls für die SPD es sinnvoller, jetzt erst mal in eine Konsolidierungsphase zu gehen und nicht neue Wahlkämpfe oder neue Herausforderungen dieser Art zu bestehen.
Sawicki: Sie haben das jetzt auch angesprochen. Die AfD ist in einigen Umfragen vor der SPD sogar. Glauben Sie, dass das jetzt das entscheidende oder ein entscheidendes Argument für die GroKo-Befürworter sein kann, sozusagen als Schreckensszenario gegenüber den Schwankenden?
"Relativ knappe Mehrheit wird den Ausschlag geben"
Oppelland: Na ja. Man will natürlich nicht nur mit negativen Argumenten versuchen, die eigenen Mitglieder zu überzeugen, sondern schon mit positiven, also mit dem, was in den Koalitionsverhandlungen erreicht wurde, und da hat man ja durchaus einiges vorzuweisen.
Sawicki: Aber das hat ja bisher nicht gegriffen, weil da gibt es viele, die sagen, sie sind grundsätzlich beim Nein bislang geblieben.
Oppelland: Das stimmt. Ich nehme stark an, das Ergebnis wird nicht sehr eindeutig ausfallen. Es wird wahrscheinlich eine relativ knappe Mehrheit sein, die am Ende den Ausschlag gibt. Aber Umfragen zeigen ja auch, dass zumindest die Anhänger der SPD, was natürlich nicht dasselbe ist wie die Mitglieder – das ist schon richtig -, zu etwa zwei Dritteln es vorziehen würden, wenn der Koalitionsvertrag angenommen würde und die Partei eintritt in die Regierung.
Sawicki: Für wen ist es denn eigentlich aus Ihrer Sicht schwieriger, jetzt die Unentschiedenen, die Schwankenden zu überzeugen, für die GroKo-Befürworter oder die Gegner?
"Dass sich eine Koalition in der Opposition formiert, ist alles andere als sicher"
Oppelland: Es ist für beide nicht so einfach, weil die Gegner sagen immer, eine Erneuerung sei nicht möglich in der Regierung, ohne aber wirklich deutlich zu machen, was denn eigentlich der Inhalt dieser Erneuerung sein sollte, ob das auf eine Neuorientierung der politischen Lager hinauslaufen sollte, sprich auf ein Linksbündnis mit den Grünen und der Linken. Die Perspektiven für so was sind ja auch sehr zweideutig zurzeit. Ich meine, die Grünen wären durchaus bereit gewesen, mit den Unions-Parteien zusammen zu regieren. Dass sich eine Koalition in der Opposition formiert, wenn die SPD jetzt in die Opposition ginge, ist alles andere als sicher. Eine Minderheitsregierung wird mit wechselnden Mehrheiten arbeiten müssen und das werden mal die Grünen sein, mal wird die SPD gar nicht anders können, als auch der Regierungspolitik zuzustimmen. Mal wird es die FDP sein. Das ist nicht so einfach, dort dann ein neues Bündnis, das auch eine Machtperspektive hätte, zu schmieden.
Sawicki: Fehlt Ihnen auch bei den GroKo-Gegnern, bei den Jusos eine Art Gegenpartei-Programm, ein neues Grundsatzprogramm, wie die SPD inhaltlich aussehen sollte?
"Regierungsbeteiligung muss die SPD nicht in den Abgrund führen"
Oppelland: Ja, genau. Die Argumentation ist zum Teil natürlich von beiden Seiten sehr schablonenhaft. Die einen sagen, Erneuerung ist auch in der Regierung möglich, und die anderen sagen, das sei nicht möglich in der Regierung, wobei die GroKo-Gegner eher damit argumentieren, wie es in der Vergangenheit gelaufen ist. Das muss aber nicht das Muster für die Zukunft sein, denn wie gesagt, in der Union, in den Unions-Parteien tut sich auch einiges. Die Merkel-Ära neigt sich dem Ende zu und das kann bei diesem Mal anders ausgehen als beim letzten Mal. Das ist keine Zwangsläufigkeit, dass eine Regierungsbeteiligung die SPD immer weiter in den Abgrund führt.
Sawicki: Wie, glauben Sie, sollten diejenigen, die sich für eine Erneuerung in der Regierung aussprechen, die GroKo-Befürworter, wie sollten sie das verkaufen, dass diese Große Koalition jetzt mal eine andere, eine neue Chance ist?
Oppelland: Na ja, mit genau dem, was ich eben schon gesagt habe, dass die Situation im Grunde eine ganz andere ist, nämlich weil diese …
Sawicki: Haben sie das zu wenig getan bisher, darauf hingewiesen?
"Volksparteien wie in den 1970er-Jahren wir es nicht mehr geben"
Oppelland: Das kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht sagen. Denn was intern bei diesen Regionalkonferenzen passiert, passiert ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Was die da wirklich als Argumente anführen in den internen Diskussionen, das weiß ich auch nicht. Aber in der Öffentlichkeit zumindest, habe ich den Eindruck, wird das nicht sehr stark gemacht, sondern mehr auf die Inhalte des Koalitionsvertrages abgehoben, die natürlich nicht alle überzeugen. Da haben Sie schon recht.
Sawicki: Sollte das dann auch öffentlicher gemacht werden, diese Argumentation?
Oppelland: Es wäre sicher sinnvoll, um die Zweifler zu überzeugen, ja.
Sawicki: Nun stellt sich auch grundsätzlich die Frage, wenn wir jetzt noch mal auf die aktuellen Umfragen zurückkommen, wie die Zukunft der Volksparteien an sich aussehen könnte. Wird es die überhaupt noch geben in den kommenden Jahren?
Oppelland: Ich denke schon. Natürlich wird es die Volksparteien nicht mehr in der Form geben, wie wir sie etwa in den 1970er-Jahren hatten, wo die untereinander fast 90 Prozent der Stimmen ausgemacht haben. Die Zeiten sind vorbei. Aber dass sich Volksparteien in einer Größenordnung irgendwo zwischen 30 und 40 Prozent halten und stabilisieren können, das ist durchaus möglich.
"Dann könnte sie eine Koalition auch anführen"
Sawicki: Auch die SPD?
Oppelland: Sagen wir mal, über 30 Prozent durchaus, ja. Das Potenzial dafür ist da.
Sawicki: Müsste die Partei dafür dann eigentlich, sagen wir mal, Wähler von der Linkspartei, alte, ehemalige Mitglieder zurückgewinnen, oder von den Grünen noch mal was zurückgewinnen, oder wie könnte die Partei das schaffen?
Oppelland: Vor allem muss sie eine konkrete Machtperspektive haben und zeigen. Im letzten Jahr war die ja kurzzeitig gegeben. Die Umfragen, als Schulz inthronisiert wurde als Spitzenkandidat und dann auch als Parteivorsitzender, haben zeitweilig die SPD vor der CDU gesehen. Dann wurde es mit jeder Landtagswahl schlechter, weil immer mehr die Machtperspektive verloren gegangen ist. Wenn aber die SPD eine attraktive, für die Öffentlichkeit attraktive Führung hinbekommt und auf die richtigen Themen setzt, kann sie durchaus einen Teil der Wählerschaft wiedergewinnen – natürlich nicht in Richtung 40, 50 Prozent, aber so, dass sie eine Koalition auch anführen könnte. Das ist in keiner Weise ausgeschlossen.
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