Künftig soll es möglich sein, Stasi-Akten elektronisch einzusehen, deshalb arbeite seine Behörde intensiv an der Digitalisierung aller Informationen. Dafür bedarf es laut Jahn gegenüber verschiedenen Medien aber mehr Investitionen in die Technik und auch in die Errichtung archivgerechter Bauten, um die Strukturen zukunftsfähig zu machen. Bei der Vorstellung des Tätigkeitsberichts seiner Behörde hatte Jahn heute in Berlin gesagt, es sei auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe der Stasi-Behörde, den Opfern der SED-Diktatur gerecht zu werden.
Derzeit sei keiner der zwölf Standorte für eine dauerhafte Nutzung geeignet, betonte Jahn. Die Zahl der Anträge auf persönliche Einsicht in die Unterlagen ging laut Bericht zurück: von rund 62.000 im Jahr 2015 auf 48.000 Anträge im vergangenen Jahr.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Daniel Heinrich: Über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde möchte ich nun sprechen mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Herr Jahn, fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, ist eine Institution wie die Stasi-Unterlagen-Behörde überhaupt noch zeitgemäß?
Roland Jahn: Ich denke, dass es gerade darum geht, eine zeitgemäße Vermittlung von Geschichte zu organisieren, und deswegen sind wir dabei, hier Reformen auf den Weg zu bringen. Der Deutsche Bundestag hat eine klare, deutliche Aussage getroffen in einem Beschluss vom Juni letzten Jahres. Es geht darum, die Stasi-Akten dauerhaft zu sichern und auch zu nutzen. Und wir haben den Auftrag, eine Transformation einzuleiten. Ich habe hier schon die ersten Schritte auf den Weg gebracht. Gemeinsam mit dem Bundesarchiv arbeiten wir an einem Konzept zur Sicherung der Stasi-Akten unter dem Dach des Bundesarchivs. Zweitens sind wir unterwegs, gerade auch in den östlichen Bundesländern, hier das Stasi-Unterlagenarchiv einzubetten in die Gedenkstättenlandschaft. Und drittens versuchen wir natürlich, hier auch die Entwicklung der Technik mit einzubeziehen. Wir haben viele Möglichkeiten, hier mit der Digitalisierung gerade auch die Brücke zur nächsten Generation zu bauen.
Heinrich: Herr Jahn, lassen Sie uns über die Pläne gleich mal sprechen. Ich habe die Frage auch deswegen gestellt, weil die Akteneinsicht seit Jahren sinkt.
"Sicherstellen, dass wir ein modernes Archiv haben"
Jahn: Das ist natürlich eine Angelegenheit, die in der Natur der Sache liegt. Es gab während des Berichtszeitraums zum Tätigkeitsbericht hier auch einen klaren Abfall in den Anträgen zur persönlichen Akteneinsicht. Es ist logisch, dass die Menschen, die in der DDR gelebt haben oder davon betroffen waren, vom SED-Unrecht, dass die dann irgendwann mal in der Anzahl weniger werden, die noch nicht in die Akten geschaut haben. Aber was sehr wichtig ist, dass es diese Möglichkeit immer noch gibt, weil viele dann auch erst im späten Alter – und das merken wir immer wieder -, dann, wenn sie in Rente gehen, Zeit haben, ihre Dinge zu ordnen, darauf stoßen, dass sie zum Beispiel Ausfallzeiten in der Rente haben, weil sie politisch verfolgt wurden im Beruf. Dass sie hier Dokumente brauchen, um eine Rehabilitierung zu beantragen. Und dass sie dann erst Akteneinsichtsantrag stellen. Deswegen soll auch diese Option dauerhaft möglich sein. Das hat der Bundestag auch deutlich ausgedrückt. Aber es geht ja auch um die vielen Wissenschaftler, die Forscher, die Journalisten, die Studenten, die dieses Archiv nutzen, um aufzuklären über die Herrschaftsmechanismen in der DDR. Und hier ist natürlich auch sicherzustellen, dass wir ein modernes Archiv haben, dass wir für die Nutzer die Möglichkeiten haben, gerade auch doch zeitgemäß diese Akten zu nutzen, um dann mit diesen Erkenntnissen weiterzuarbeiten.
Heinrich: Sie sprechen die Nutzer an. Bisher sind die Akten verteilt auf zwölf Standorte und 111 Kilometer insgesamt lang. Um einen neudeutschen Begriff einzuführen, würde man sagen: Userfreundlich ist das Ganze ja nicht gerade. Was wollen Sie denn für die Zukunft anders machen?
"Akten in ihrer Vielfalt nutzen"
Jahn: Erst mal geht es darum, die Akten auch in ihrer Vielfalt zu nutzen. Die Akten sind ein Monument des Überwachungsstaates. Das heißt, auch die Besichtigung eines Archives ist schon etwas, was vermittelt, wie dieser Staat hier Informationen über seine eigenen Bürger gesammelt hat und sie auch verfolgt hat. Das ist auch wichtig, dass anhand von Archivführungen hier Aufklärung erfolgt. Aber natürlich gilt es, das Archiv so zu nutzen, dass man zeitgemäß ist. Das heißt, wir arbeiten daran, zu digitalisieren. Wir arbeiten daran, dass die Möglichkeiten, die diese Technik bietet, dann auch genutzt werden können. Sprich: Noch dieses Jahr soll es möglich sein, dass der Journalist seine Akten dann runterladen kann von einem Server, wo er diese Akten digital zur Verfügung gestellt bekommt.
Heinrich: Nur Journalisten?
Jahn: Erst mal ja, weil es darum geht, natürlich hier einen Service zu haben, wo der Aufwand im Verhältnis steht. Natürlich soll auch die persönliche Akteneinsicht elektronisch erfolgen. Wir haben seit kurzer Zeit die Möglichkeit, mit einem neuen Personalausweis elektronisch den Antrag auf persönliche Akteneinsicht zu stellen. Und das heißt natürlich, dass irgendwann auch der Nutzer statt ausgedruckter Kopien auf Papier auch die Dinge digital zugesandt bekommt.
Heinrich: Wie zielen Sie denn eigentlich auf junge Leute ab?
Jahn: Indem wir im Internet zum Beispiel seit zwei Jahren eine Stasi-Mediathek haben, wo mit einer semantischen Suche es möglich ist, Schritt für Schritt in dieses Thema der Diktatur in der DDR hineinzukommen, wo man auch populäre Themen vermittelt bekommt, zum Beispiel Thema Musik, wo dargestellt ist, wie das Rockkonzert von Udo Lindenberg zum Beispiel 1983 im Palast der Republik von der Stasi überwacht worden ist, wie gegen Rockfans vorgegangen worden ist. Wo man doch auch merkt, wie mit der Jugend in der DDR umgegangen worden ist.
Heinrich: Herr Jahn, lassen Sie uns mal einen Schritt zurückgehen. Sie selbst sind von der Stasi damals festgenommen worden. Ich glaube, das war 1983. Sie waren in der DDR in der Opposition. In Zeiten, in denen beispielsweise ein türkischer Präsident zwar nicht mit DDR-, aber mit Nazi-Vergleichen um sich schmeißt, inwieweit sind Sie denn eigentlich von Geschichtsvergessenheit beunruhigt? Inwieweit beschäftigt Sie das?
Jahn: Das beunruhigt einen natürlich immer, weil der Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dabei immer wieder deutlich wird. Deswegen ist es ja wichtig, dass wir hier die Gelegenheit geben, mit den Stasi-Akten sich die Sinne zu schärfen für die Gegenwart. Gerade auch in Richtung junger Menschen wollen wir natürlich Angebote machen, die das verdeutlichen. Wir haben jetzt am Tag der Pressefreiheit Anfang Mai eine große Veranstaltung auf dem Stasi-Gelände, dem historischen Ort, mit der Stiftung Lesen, wo mehrere hundert Schüler anwesend sein werden, wo es darum geht, um die Grundfragen von Pressefreiheit. Das ist uns immer wieder deutlich: Am Ende geht es um Menschenrechte, damals und auch heute.
Heinrich: Herr Jahn, Ihre Behörde hieß unter ihren Vorgängern Gauck-Behörde, Birthler-Behörde. Ab wann sprechen wir von Jahn-Behörde?
Jahn: Mir geht es darum, dass wir neue Strukturen schaffen. Es geht nicht darum, dass wir hier eine Behörde haben, die als Generalaufarbeitungsbehörde agiert, sondern es geht darum, dass wir ein Stasi-Unterlagen-Archiv haben, was Akten der Gesellschaft zur Verfügung stellt. Wo ein offener Diskurs über die Akten stattfindet, wo eine differenzierte Betrachtungsweise stattfinden kann gerade auch von Personen. Und wo wir gerade auch der nächsten Generation etwas mit an die Hand geben, wo sie diese Akten nutzen können, um sich vor Ungerechtigkeiten in der heutigen Gesellschaft zu schützen.
Heinrich: Sie sind also nicht gram, Herr Jahn, dass Ihr Name nicht draufsteht?
Jahn: Im Gegenteil! Für mich war es immer schon wichtig, zu sagen, wir gehen einen Weg in die Zukunft. Wir wollen die Chance nutzen, dass hier wirklich aus der Vergangenheit heraus eine Diskussion entsteht, die auch für die Zukunft einen Nutzen bringt.
Heinrich: ... sagt Roland Jahn. Er ist der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde.
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