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Zukunft des Internets
"Ich mache mir Sorgen, dass wir die Offenheit verlieren"

Die Medienkompetenz - nicht nur in der Schule - müsse viel mehr gestärkt werden, fordert der Netzaktivist Markus Beckedahl im Deutschlandfunk. Nur das sei ein wirksamer Schutz etwa vor Social Bots und Fake News. Er mache sich Sorgen, dass der Raum Internet falsch gestaltet würde, mehr Überwachung komme - und dabei die echten Probleme - wie etwa Hackerangriffe - nicht wirklich gelöst würden.

Markus Beckedahl im Gespräch mit Sören Brinkmann |
    Markus Beckedahl beim Start der 10. Ausgabe der Digitalkonferenz re:publica im Jahr 2016
    Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org (picture alliance / dpa - Sophia Kembowski)
    Sören Brinkmann: Aus der Zentralbank von Bangladesch werden zig Millionen ausgeräumt, ganz ohne Waffengewalt, nur digital. Von Telekommunikationsunternehmen werden einfach mal die Nutzerdaten geklaut, Krankenhäuser werden erpresst mit entwendeten oder gesperrten digitalen Patienteninformationen. Und die USA und Russland streiten sich gerade darum, ob und wie durch russische Hackerangriffe in die Präsidentschaftswahl eingegriffen wurde und welche Konsequenzen das jetzt hat. Da kann man schon den Eindruck bekommen, als sei Anarchie das einzige Gesetz im Internet. Manche Kommentatoren sprechen schon von einem Failed State, also einem gescheiterten Staat.
    - Darüber spreche ich mit dem Netzaktivisten Markus Beckedahl, der zugeschaltet ist vom Chaos-Communication-Kongress in Hamburg. Guten Tag, Herr Beckedahl!
    Markus Beckedahl: Guten Tag!
    Brinkmann: Wenn wir es jetzt wirklich als Staat sehen, leben Sie noch gerne in diesem Internetstaat?
    Beckedahl: Für mich ist das Internet immer noch ein Ort, wo ich mich aus unendlichen Quellen informieren kann, wo ich mit unendlich vielen Menschen auf den unterschiedlichsten Wegen kommunizieren kann. Wo ich arbeite, wo ich lebe und was mein Leben bereichert. Aber ich mache mir natürlich Sorgen, dass diese Freiheit, diese Offenheit, die wir die letzten 15, 20, 30 Jahren erlebt haben, dass die jetzt vorbei ist und wir in quasi ein sehr dunkles Internetzeitalter eintreten, wo unser ganzes Leben total überwacht wird und wo immer mehr Kontrolle ausgeübt wird.
    Brinkmann: Würden Sie sagen, dass da ein Paradigmenwechsel stattfindet, dass es ein anderes Internet gab bisher und jetzt möglicherweise es sich wandelt?
    Beckedahl: Es wandelt sich, und zwar sehen wir das schon bei Netzpolitk.org über die letzten Jahre, vielleicht das letzte Jahrzehnt, wo immer mehr Regierungen angefangen haben, das Internet immer besser kontrollieren zu wollen. Zuerst gab es ziemlich viel Widerstand. Und im Moment gibt es eigentlich so einen Dammbruch auf vielen verschiedenen Ebenen, wo es immer darum geht, wie viel Kontrolle, wie viel Überwachung wird zukünftig noch kommen, und nicht mehr, ob oder wieso.
    Brinkmann: Aber wenn wir über Kontrolle, über Überwachung sprechen, dann muss man ja auch sagen, die grenzenlose Freiheit hat eben auch so was hervorgebracht wie Hate Speech, man spricht von Twitter-Lügen, postfaktisch ist gerade das Wort des Jahres – all das ist ja irgendwie auch verknüpft mit dem Internet und mit der kompletten Freiheit im Internet.
    "Lügen und Gerüchte sind so alt wie die Sprache"
    Beckedahl: Lügen und Gerüchte sind so alt wie die Sprache, die gab es schon immer. Neu ist vielleicht das Phänomen, dass jetzt orts- und zeitunabhängig Informationen sehr schnell weitergetragen werden. Und neu ist vor allen Dingen, das Phänomen, dass viele, sehr viele Menschen auf einmal selbst zum Sender werden, indem sie auf einmal einen Account bei Facebook, Twitter oder sonst wo haben. Das heißt, sie übernehmen eine Funktion, die früher nur Journalisten übernommen haben, zum Sender werden. Journalisten haben früher eine Ausbildung bekommen, sie haben gelernt, diese Verantwortung zu akzeptieren, damit zu leben. Und der ganzen Bevölkerung, also allen Bürgern, die jetzt im Internet zum Sender werden, denen hat das keiner erklärt. Wir haben die Medienkompetenz zwar immer hochgehalten, aber nicht gefördert. Und das zeigt sich jetzt im Netz.
    Brinkmann: Wie und wo soll die vermittelt werden?
    Beckedahl: Die letzten zehn, 15 Jahre über hieß es immer, Medienkompetenz muss in der Schule vermittelt werden. Wir waren da immer ein bisschen irritiert, weil wir selbst gingen nicht mehr zur Schule, uns war auch bewusst, wir gehen nicht mehr zur Schule, 90 Prozent der Bevölkerung wird wahrscheinlich nie wieder zur Schule gehen. Wir brauchen andere Orte, um das Wissen zu vermitteln. Bibliotheken als öffentliche Orte oder der Wissensvermittlung würden sich zum Beispiel anbieten. Aber natürlich muss man auch im Internet viel mehr Orte, viel mehr Wissensräume schaffen, um Sachen wie klassische Verkehrserziehung zum Beispiel, wie "Der 7. Sinn", der einmal die Woche im Fernsehen gezeigt wurden in neuen Formaten zur Steigerung von Medienkompetenz halt den Bürgern im Netz zugänglich zu machen.
    Brinkmann: Und was soll das vermittelt werden? Medienkompetenz ist ja noch recht abstrakt. Was genau soll da vermittelt werden?
    Beckedahl: Das Problem ist, unser deutscher Begriff Medienkompetenz ist nicht ganz so vielfältig wie der amerikanische der Media Literacy. Der reicht von Technikkompetenz, Wissenskompetenz, Medienkompetenz bis hin zu Fragestellungen von Verbraucherschutz im Netz und IT-Sicherheit im Netz. Das sind alles Kompetenzen, die auf einmal notwendig sind, neben journalistischen Kompetenzen, um im Netz aktiv zu sein als Sender. Was fehlt, ist in der Regel Geld aus unserem Bundeshaushalt, aus unseren Landeshaushalten. Wenn man sich anschaut, wie viel Geld von unseren Steuergeldern in den Haushalten tatsächlich für Vermittlung von Medienkompetenz ausgegeben werden, dann möchte man eigentlich weinen.
    Brinkmann: Nun sprechen wir immer über die Menschen, aber im Internet findet aber auch ganz viel einfach maschinengesteuert statt. Ist es da nicht ein Problem, wenn man sagen muss, dass Algorithmen oder Social Bots zum Beispiel Meinungen verstärken oder Meinungen erst mal auch lenken, ohne dass damit überhaupt ein Mensch je zu tun hatte?
    "Zahlen sind in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr aussagekräftig"
    Beckedahl: Da muss man auch trennen. Algorithmen, da brauchen wir ganz klar eine gewisse Form von Nachvollziehbarkeit, aber wir brauchen auch eine Form von Wissen darüber, wie Algorithmen funktionieren. Das hat eigentlich der klassische Informatikunterricht seinerzeit immer unterrichtet, den alle so als Wahlfach dazunehmen konnten, aber kaum einer genommen hat, und der auch als Informatikschulfach immer mehr dann ausgedünnt und abgeschafft wurde. Dieses Wissen fehlt heute. Bei Social Bots, also Meinungsrobotern, die quasi automatisiert im Netz agieren, spielen vor allen Dingen in Berichterstattung rund um Wahlen eine Rolle. Wenn dann Journalisten, weil sie faul sind, weil sie vielleicht auch nicht genug Ressourcen haben, einfach mal gucken, was sind so die beliebtesten Trending Topics, die beliebtesten Themen im Netz. Und dann einfach nur nach der Masse gucken, gar nicht gucken, ob in der Masse jetzt automatisierte Roboter dabei waren oder ob das alles Menschen waren. Und einfach diese Zahlen dann als Verstärker nehmen, dass halt eine Mehrheit im Netz jetzt für Trump gestimmt hätte. Wenn man weiß, wie diese sozialen Roboter funktionieren, dann weiß man, diese Zahlen sind in heutigen Zeiten überhaupt nicht mehr aussagekräftig, man sollte solche Zahlen überhaupt nicht verwenden. Und dann ist eigentlich auch schon die Hälfte des Problems gelöst.
    Brinkmann: Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann habe ich das Gefühl, Sie gehören nicht zu den Rufern, die von einem Failed State Internet sprechen, die nur die Probleme allein sehen?
    Beckedahl: Nein. Ich sehe immer noch die großen Chancen. Das Internet hat mein Leben ungemein bereichert, ich möchte kein Leben mehr ohne Internet mehr führen, weil ich denke zurück an die alte Medienzeit. Und da war mir echt langweilig. Ich mache mir nur Sorgen, dass wir halt das Internet, den digitalen Raum falsch gestalten, dass wir halt zukünftig immer mehr Kontrolle haben, dass wir halt diese Offenheit verlieren und dass wir aber auch die richtigen Probleme nicht richtig lösen. Ein Beispiel, was ja dieses Jahr relativ groß geworden ist, ist die Frage von IT-Sicherheit. Ich sende jetzt hier gerade vom Chaos-Computer-Club-Kongress, hier spielt das Thema seit 30 Jahren eine Rolle. Und immer zum Abschluss lachen dann die ganzen Hacker darüber, was im nächsten Jahr für Probleme mit IT-Sicherheit kommen werden. Und der Rest der Gesellschaft wundert sich, wenn das tatsächlich eintritt. Das sind dann alles so Sachen – hätte man vorher drauf kommen können. Vor einem Monat war irgendwie die Deutsche Telekom lahmgelegt, weil die ganzen Router irgendwie ausgefallen sind. Auf einmal war das Thema IT-Sicherheit in der großen Öffentlichkeit. Alle Politiker rannten wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend und wurden auf einmal gefragt, welche Konzepte sie zu dem Thema haben. Und alle konnten nur sagen, ja, damit beschäftigen wir uns gerade. Und wir waren so ein bisschen irritiert, und dachten uns, ja, da hättet ihr auf den Gedanken auch schon vor 15 Jahren kommen können, dann hätten wir jetzt gerade ein paar weniger Probleme und ihr hättet ein entspannteres Politikerleben.
    Brinkmann: Sie haben eben schon viel von der Freiheit gesprochen, die es zu bewahren gilt im Internet. Sie selbst gehören ja auch zu den Unterstützern der Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union, also eines Vorschlags für irgendeine Art von Rechtssetzung. Brauchen wir, um in diesem Bild des Staates zu bleiben, eben in diesem Staat Internet, ein neues Recht?
    "Konsequente Anwendung bestehender Grundrechte im digitalen Raum"
    Beckedahl: Wir brauchen vor allen Dingen erst mal eine konsequente Anwendung bestehender Grundrechte auch im digitalen Raum. Daran scheitert es sehr häufig, dass halt auch bewährte Grundrechte, die wir im analogen Leben haben, für die digitale Welt, für die Regelsetzung meistens keine so große Rolle spielen. Nehmen wir zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Die Vorratsdatenspeicherung speichert von allen Einwohnern die Kommunikationsdaten, wer kommuniziert mit wem wann, wo waren denn unsere Handys im letzten Monat. Wenn man im analogen Leben von jeder einzelnen Person speichern würde, unabhängig von einem Gerät, wo waren wir im letzten Monat, wen haben wir wann zum Kaffeekränzchen getroffen – das würde niemand akzeptieren. In der digitalen Welt akzeptieren wir das. Und so geht das die ganze Zeit weiter. Der Staat zieht sich auch teilweise aus der Verantwortung zurück, indem man halt große meinungsdominierende Plattformen wie Facebook eine eigene Regelsetzung machen lässt, die dann sehr häufig nicht dieselbe ist, wie unsere Grundrechte es uns garantieren würden.
    Brinkmann: Abschließend würde ich gern noch die Frage stellen, gerade mit dem Blick in die Zukunft, ins Jahr 2017 dann. Wenn wir alle uns im Internet bewegen – was müssen wir tun? Und alle Bürger dieses Internets sind, was müssen wir tun, um nicht einen Failed State zu schaffen?
    Beckedahl: Wir müssen uns der Verantwortung bewusst werden, die wir alle haben. Die Verantwortung fängt bei einem selbst an. Dadurch, dass halt wir unsere Computer, unsere ganzen Geräte, die wir auf einmal haben, regelmäßig updaten müssen, also regelmäßig die Neuerungen und Fehlerbehebungen einspielen müssen, weil sonst unsere Computer unbewusst auch andere Computer angreifen könnten, wenn sie gehackt worden sind. Wir müssen, wenn wir im Netz als Sender aktiv werden, uns dieser Verantwortung bewusst werden, vielleicht nicht irgendwie sofort immer im Affekt auf "Teilen" klicken, nur weil eine Nachricht gerade für uns glaubhaft klingt, sondern mal kurz nachdenken, innehalten, vielleicht auch mal hinterherrecherchieren, ob jetzt alles, was da ist, ob man das nun glauben möchte oder ob es auch tatsächlich stimmt. Und wir sollten natürlich auch genau beobachten, was die Politik macht. Weil 2016 hat die Politik schon sehr viele Gesetze auf den Weg gebracht, die mehr Überwachung und Kontrolle bringen. 2017 wird vor allen Dingen auf europäischer Ebene eine Vielzahl von neuen Gesetzesvorhaben und Prozessen bringen, die kaum beobachtet werden, und die dann spätestens in drei Jahren unser Leben hier in Deutschland massiv verändern könnten.
    Brinkmann: Markus Beckedahl, Netzaktivist und Mitgründer der Plattform "netzpolitik.org". Vielen Dank für das Gespräch!
    Beckedahl: Vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.