Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist europaweit unter Druck. In diesem Jahr etwa wurden in Dänemark und der Schweiz die Budgets gekürzt. Und in Österreich waren ORF-Journalisten immer wieder Angriffen aus der Regierungskoalition ausgesetzt.
Mehr denn je müssten die Öffentlich-Rechtlichen ihre Legitimität unter Beweis stellen, sagt Helen Boaden, ehemalige Direktorin von BBC Radio: "Politiker quer durch Europa reduzieren zunehmend die Gelder, die sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die Gebühren zukommen lassen. Auch der Werbemarkt ist nicht mehr so stark, wie er mal war. Das alles fällt zusammen mit riesigen technologischen Umwälzungen, die das Publikum fragmentieren. Der Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist sehr groß."
Der Kultursender steht am besten da
Beispiel Österreich: Dort hätten alle ORF-Programme Hörer verloren, mit Ausnahme des Kultursenders Ö1, dessen Quote wachse, erklärt Christine Schöpf, ehemalige Kulturchefin des ORF und Co-Direktorin des Medienkunstwettbewerbs Ars Electronica. Heutige Akzeptanzprobleme hätten ihre Ursachen auch in lang zurückliegenden strategischen Fehlentscheidungen:
"Das ist vielfach die eigene Schuld. In den 80er-Jahren kamen die kommerziellen Sender und dann haben sehr viele öffentlich-rechtliche plötzlich den Schrecken bekommen: Sie müssen jetzt genauso das machen wie die. Die einen haben Schlager gemacht, die anderen haben Volksmusik gemacht und möglichst wenig Wort, weil das will ja eh keiner - was ein wirklicher Irrtum ist. Aber dadurch sind natürlich die Öffentlich-Rechtlichen schon sehr ins Trudeln gekommen."
"Eine Unmenge an Wut auf beiden Seiten"
In Qualität, Vielfalt und Menschen zu investieren, rät Christine Schöpf und war sich darin mit ihren Mitdiskutanten einig. Nur so könne man auch gegenüber Populisten bestehen. Denn auch in Zeiten des Populismus müsse das öffentlich-rechtliche Radio eine breite Schicht an Hörern erreichen, forderte Helen Boaden von der BBC. Mit Blick auf den Brexit warnte sie davor, sich als öffentlich-rechtlicher Sender auf eine Seite zu schlagen:
"Eine der Herausforderungen in einer Welt mit extremen Ansichten und einer Unmenge an Wut auf beiden Seiten besteht darin, wie man Aufmerksamkeit erzielt, ohne das Spiel mitzuspielen. Ich sage das aus der Perspektive der BBC, einem Sender, der durch den Brexit gegangen ist. Der aber keine Position einnehmen darf, denn es handelt sich dabei um eine Angelegenheit, die die Menschen spaltet, die aber alle für uns zahlen. Was man tun muss, ist, akkurate Informationen präsentieren und eine Vielzahl an Stimmen."
Alexa empfiehlt BBC-Beiträge für Kinder
Über welchen Ausspielweg aber erreicht man noch eine Vielzahl an Hörern? Sollte man zunehmend Inhalte ausschließlich online verbreiten? Die BBC etwa testet gerade ein Angebot für Kinder. Diese können mit dem virtuellen Assistenten Alexa chatten und sich dabei BBC-Inhalte nach Bedarf vorspielen lassen.
Der Kameruner Ausstellungsmacher Bonaventure Ndikung warnte vor einer möglichen Beschränkung. Während der documenta14 verantwortete er das Künstlerradio "Every time a ear di Soun", das aus Berlin sendete. Man dürfe den linearen Übertragungsweg nicht vernachlässigen, meint Ndikung:
"In den Meetings des Kuratoriums haben wir gesagt: Warum machen wir nicht Online-Radio? Das lässt sich einfach umsetzen. Aber: Mir war es sehr wichtig, dass wir eine Frequenz finden, mit der wir Menschen erreichen können, die keinen Zugang zum Internet haben. Und dabei reden wir von Millionen von Menschen. Wir sollten nicht in unserer Blase sitzen und denken: Die ganze Welt geht ins Internet. Das ist nicht der Fall. Ich möchte, dass meine Großmutter, die irgendwo in ihrem Dorf sitzt, Teil der Documenta ist."
Podcasts durchbrechen die Filterbubble
Cilla Benkö, die Intendantin des Schwedischen Rundfunks, hielt entgegen, dass man auch über das Internet ein durchaus breiteres Publikum erreichen könne. Das Netz sei nicht immer mit Filterbubble und Fragmentierung des Publikums gleichzusetzen - zumindest mit Blick auf Europa, wo die Internetabdeckung weiter fortgeschritten ist als in Afrika. Aus dem Publikum heraus Benkö, wie es dem Schwedischen Rundfunk gelungen ist, junge Leute an anspruchsvolle Podcasts heranzuführen:
"Ich möchte ein bisschen Hoffnung in diese Debatte reinbringen. Audio-Podcasts werden meistens auf offenen Plattformen konsumiert. Was bedeutet, dass es da keine Filterbubble gibt. Und wenn man viele Podcasts hört, findet man auch andere Podcasts, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt. Für unser Publikum zwischen 20 und 30 Jahren hat das sehr gut funktioniert. Denn plötzlich hören sie nicht mehr nur Musik. Das ist ein Weg, in der Podcast-Welt die Filterbubble zu durchbrechen."