Auch das Skispringen ist von der Coronakrise nicht verschont geblieben. Zwar haben in diesem Jahr schon fünf Weltcup-Spingen stattgefunden und am Montag startet in Oberstdorf auch die Vierschanzentournee. Allerdings wird das Ganze nicht sehr stimmungsvoll über die Bühne gehen, denn Zuschauer werden nicht dabei sein.
"Natürlich werden wir ohne Fans an der Schanze eine komplett andere Vierschanzentournee erleben, aber wir glauben fest daran, dass wir trotzdem ein großartiges TV-Produkt in die Wohnzimmer liefern können. Wir versuchen, das Beste rauszuholen", hofft Sandro Pertile im Dlf-Sportgespräch.
Gefährliche Situationen durch Rückenwind
Pertile ist seit dieser Saison beim Ski-Weltverband FIS Renndirektor für das Skispringen. Keine leichte Aufgabe inmitten der Pandemie. "Das ist die Situation, in der wir uns befinden, und wir müssen jetzt einfach mit dieser Situation umgehen", gibt sich Pertile aber trotzig. Seine eigene Corona-Infektion hat der Italiener inzwischen überstanden.
Auch wenn die Coronakrise im Moment fast alles überstrahlt, hat Pertile noch andere Themen auf seinem Tisch. Darunter auch Knieverletzungen, insbesondere Kreuzbandrisse, die sich in den vergangenen Jahren häuften. Deswegen hat die FIS seit dieser Saison die Regeln beim Material geändert, aber Pertile sieht auch die Jurys in der Pflicht. Diese müssten gerade bei Rückenwind darauf achten, dass die Springer bei Rückenwind nicht zu schnell beim Anlauf würden.
Kritik, dass die medizinische Kommission in der FIS keine Entscheidungsfunktion habe, wies Pertile zurück: "Wir werden diesen Input immer berücksichtigen. Ich glaube, wir sind sehr offen für Anmerkungen der medizinischen Kommission."
Vierschanzentournee der Frauen denkbar
Mit Blick auf die Zukunft des Skispringens kann sich Pertile vorstellen, auch eine Vierschanzentournee der Frauen zu integrieren. Allerdings gebe es im Moment noch zu wenig Frauen auf höchstem Niveau. "Wir können kein Top-Event für ein paar Athletinnen organisieren. Deshalb ist es unsere Aufgabe, das Frauen-Skispringen immer weiterzuentwickeln. Vom sportlichen Gesichtspunkt her und auch von der Qualität des Produktes her."
Nun sei erst einmal seine Aufgabe, den Wert des Skispringens als "Produkt und Sport aufrecht zu erhalten", meint Pertile. "Dazu gehört natürlich Social Media, Internet-Zugang. Ich bin sehr gespannt, wie diese Saison unseren Sport entwickeln wird, aber gleichzeitig wollen wir auch ein Sport mit vielen Fans an der Schanze sein. Wir glauben fest daran, dass Zuschauer an der Schanze von großem Wert für unseren Sport sind, für unsere Organisatoren und auch für die Menschen, die unsere Events besuchen."
Pertiles Traum für die nächsten fünf Jahre ist, das Skispringen für mehr Nationen zugänglich zu machen. "Ich denke da zum Beispiel an Schweden, das früher zur Tradition unserer Sportart gehörte und jetzt eher von außerhalb zuschaut. Deshalb würde ich gerne neue Teams in den Weltcup einführen und unsere Basis zu erweitern. Das ist unsere Pflicht und unsere Hauptaufgabe in den nächsten fünf bis zehn Jahren."
Lesen Sie hier das komplette Gespräch
Rieger: Die besten Skispringer der Saison, Flutlich-Atmosphöre und mehr als 20.000 Fans, die Deutschlandflaggen schwenken und laut "zieh" rufen – so sieht das Auftaktspringen der Vierschanzentournee in Oberstdorf eigentlich aus. Am Montag wird die Atmosphäre eine andere sein – die Skispringer sind da, das Flutlicht auch, aber keine Fans. Eine besondere Tournee also, eine besondere Weltcup-Saison sowieso – für die Beobachter, aber vor allem auch für Sandro Pertile. Er ist nämlich seit dieser Saison der zuständige FIS-Renndirektor für das Skispringen, er hat diesen Job von Walter Hofer übernommen. Und es hätte wohl kaum einen schwierigeren Zeitpunkt für die erste Saison mit alleiniger Verantwortung gegeben. Guten Tag Herr Pertile!
Pertile: Guten Nachmittag an Sie alle! Sie haben Recht, es war auf jeden Fall nicht die Traum-Saison, um meine neue Stelle als Nachfolger von Walter Hofer anzutreten. Aber um ehrlich zu sein: Das ist die Situation, in der wir uns momentan alle befinden, und wir müssen jetzt einfach mit dieser Situation umgehen. Bis jetzt bin ich extrem zufrieden, wie die Saison gelaufen ist. Wir haben schon fünf Weltcup-Wochenenden organisiert bekommen und wir sind bereit, eine neue und aufregende Vierschanzentournee zu starten.
Rieger: Sie haben das Leben, das wir alle gerade führen, schon angesprochen – und da ist jetzt erstmal meine wichtigste Frage zu allererst: Sie selbst haben sich Anfang des Monats mit Corona angesteckt. Wie geht es Ihnen jetzt?
Pertile: Ich habe mich in Russland angesteckt. Das kam sehr unerwartet, weil ich eigentlich sehr auf meine eigene Sicherheit geachtet habe, so gut es eben ging. Ich trage immer eine Maske, halte Abstand, wasche meine Hände. Aber das ist jetzt nun mal unsere Realität: Ich habe mich in Russland angesteckt, glücklicherweise hatte ich anfangs keinerlei Symptome. In der zweiten Woche habe ich dann ein wenig meinen Appetit verloren und ich wurde immer erschöpfter. Aber zum Glück wurde ich jetzt wieder negativ getestet und konnte beim Weltcup in Engelberg dabei sein. Und ich fühle mich von Tag zu Tag besser.
Rieger: Haben Sie irgendeine Erklärung, wie Sie sich angesteckt haben?
Pertile: Ich glaube, dass mich mein Fahrer, der uns vom Flughafen in Jekaterinburg bis nach Nishni-Tagil gefahren hat, angesteckt hat. Ich saß neben meinem Fahrer, wir haben beide Masken getragen, aber das war eigentlich das einzige Mal in Russland, wo ich keinen Abstand halten konnte. Ich kann mir vorstellen, dass das die einzige Möglichkeit war, angesteckt zu werden.
"Die Schutzmaßnahmen können immer verbessert werden"
Rieger: Eine ähnliche Erklärung gibt es ja auch für die Fälle im österreichischen Team. Da hatte es ja zwei Wellen gegeben. Einmal vier Fälle und dann beim zweiten Mal nochmal eine Reihe von Fällen. Auch da wird vermutet, dass das auf der Anreise passiert ist, weil sich die Springer und auch die Trainer teilweise den gleichen Bus geteilt haben. Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Fällen?
Pertile: Ich glaube, die Schutzmaßnahmen können immer verbessert werden. Was wir in den ersten drei oder vier Wochen gelernt haben ist, dass wir seit der WM in Planica mit der FFP2-Maske arbeiten. Wir glauben fest daran, dass das unsere Athleten und Mitarbeitenden besser schützt. Natürlich werden wir die Grundregeln, also Abstand halten, Hände waschen, weiter in den Prozess mit einbinden. Aber wir sind auch ehrlich: Wir wissen, dass wir in einer Welt mit hohem Infektionsrisiko leben und reisen. Wir können versuchen, das Risiko zu minimieren, aber wir müssen dafür bereit sein, es zu akzeptieren, dass sich einige von uns trotzdem anstecken werden. Unsere Aufgabe wird es sein, dann schnell zu handeln und die Menschen, die infiziert sind, zu isolieren. Das haben wir die ersten fünf Wochen auch getan: Schnell zu handeln, um das Risiko für das gesamte System zu minimieren.
Rieger: Ich will nochmal auf die Hygienekonzepte und die Maßnahmen, die Sie getroffen haben, zu sprechen kommen. In der FIS-Guideline steht, dass Menschen ohne Fieber und ohne Atemwegsbeschwerden, z.B. Husten, nicht unbedingt eine Maske tragen müssen außer in Situationen, in denen es eventuell Sinn machen könnte. Zum Beispiel in geschlossenen Räumen oder wo man die Distanz nicht halten kann. In der deutschen Leitlinie ist es von Anfang an deutlich strenger gehandhabt worden, da wurde von Anfang an gesagt: Außer man ist in irgendeiner sportlichen Aktivität, sollte man eine Maske tragen. Waren die Regeln der FIS da am Anfang zu lax?
Pertile: Das ist schwierig zu sagen, weil wir jetzt in einer komplett anderen, komplett neuen Situation, in einer komplett neuen Welt sind. Wir lernen jedes Wochenende dazu, und natürlich kann man mehr oder weniger relaxt sein. Wir haben in Wisla mit einem niedrigeren Sicherheitslevel angefangen und sind durch ein mehr oder weniger normales Weltcup-Wochenende ohne Probleme gekommen. Aber dann haben wir Schritt für Schritt realisiert, dass wir für mehr Sicherheit sorgen müssen. Und jetzt sind wir in einer Phase, in der wir versuchen, das Risiko jedes Wochenende zu minimieren. Aber wie ich schon gesagt habe: Die Welt, in der wir leben, ist eine große Herausforderung, Wir können nur versuchen, unser Bestes zu geben, aber müssen dafür bereit sein, es zu akzeptieren, wenn etwas nicht in die richtige Richtung läuft.
Rieger: Was erwarten Sie angesichts der Umstände - ich habe am Anfang auch schon gesagt, eigentlich ist Oberstdorf ein Stimmungs-Highlight. Ich war im vergangenen Jahr selbst dabei, das ist ein Erlebnis, wenn da mehr als 20.000 Fans dabei sind. Das wird es jetzt alles nicht geben. Was erwarten Sie für eine Vierschanzentournee ohne Zuschauer?
Pertile: Ich glaube, dass die TV-Produktion noch interessanter sein wird, als in der Vergangenheit. Wir haben registriert, dass das Interesse an Live-Sport vom Zuschauer sehr hoch ist. Der Trend der ersten fünf Weltcup-Wochenenden zeigt uns, dass das Interesse der Fans immer noch sehr hoch ist. Was wir gemeinsam mit unseren Athleten und Trainern versuchen werden, ist es, die Emotionen in die Wohnzimmer zu transportieren. Die große Leidenschaft und die großen Emotionen, die diese Sportart mit sich trägt. Natürlich werden wir ohne Fans an der Schanze eine komplett andere Vierschanzentournee erleben, aber wir glauben fest daran, dass wir trotzdem ein großartiges TV-Produkt in die Wohnzimmer liefern können.
Rieger: Aber verändert das das Skispringen an sich, wenn auf einmal eben die traditionelle Stimmung nicht vor Ort ist?
Pertile: Es wird sich verändern, aber wir müssen auch ehrlich sein: Die Athleten gewöhnen sich langsam daran. Sie können sich ganz auf ihre Performance konzentrieren und das Beste aus den gegebenen Umständen rauszuholen. Damit sind wir gezwungen, zu leben, und wir versuchen, das Beste rauszuholen.
Rieger: Rechnen Sie damit, dass Sie während dieser Weltcup-Saison noch einmal Springen mit Fans ausrichten können?
Pertile: Im Moment hoffen wir das. In Lahti Mitte Januar könnten wir immer noch Fans an der Schanze haben, das wird gerade geprüft. Polen würde gerne Fans an der Schanze erlauben, aber momentan haben die Polen eine herausfordernde Situation im Land. Wir werden das Schritt für Schritt angehen. Wir versuchen, vor Saisonende noch einmal Fans an der Schanze zu haben, aber wir sind uns auch bewusst, dass wir eine komplette Saison ohne Zuschauer haben könnten.
"Es gibt viele Faktoren für Verletzungen"
Rieger: Dann lassen Sie uns hier im Sportgespräch noch über ein anderes Thema sprechen, nämlich über Knieverletzungen. Das war eines der wichtigsten Themen in der vergangenen Saison, insbesondere Kreuzbandrisse. Als Auslöser wurden auch die Keile genannt, die in den Schuhen stecken. In der vergangenen Saison waren die noch asymmetrisch, was im Flug geholfen hat für die Stabilität, bei der Landung die Knie aber stark belastet oder überlastet hat, weil die Knie durch die Keile in eine Art X-Stellung gedrückt werden. Ab dieser Saison müssen die Keile symmetrisch sein. Hat sich das aus Ihrer Sicht ausgezahlt?
Pertile: Natürlich hatten wir viele Diskussionen über die Keile in der vergangenen Saison. Ich war auch in die Diskussion mit eingebunden, wir haben das analysiert. Aber um ehrlich zu sein: Ich denke, wenn wir nur über Keile diskutieren, limitiert das unsere Situation nur. Was wir letzte Saison realisiert haben: Es gibt auch andere Risikofaktoren für die Verletzungen. Zu weite Sprünge zum Beispiel, vor allem mit Rückenwind, die Präparation der Schanze, und auch die körperliche Vorbereitung der Athleten. Wir haben das alles im Frühling ganz genau analysiert und realisiert, dass es viele Faktoren für diese Verletzungen gibt. Und wir haben begonnen, die potenziellen Risikofaktoren zu reduzieren. Wie ich schon gesagt habe, zu lange Sprünge oder keine gründliche Schanzenpräparation, das waren Dinge, die wir mit unseren Jury-Mitgliedern besprochen haben. Gleichzeitig haben wir an einer symmetrischeren Position der Keile und Schuhe gearbeitet. Und das Feedback der Teams ist bis jetzt positiv, schon im Sommer, als wir ein paar Sommer-Events veranstaltet haben. Und wir glauben, dass wir uns da in die richtige Richtung bewegen, um die Anzahl der Verletzungen zu reduzieren.
Rieger: Sie haben die Länge der Sprünge angesprochen, da hat die Jury einen Einfluss darauf. Sie müssen ja die Balance finden zwischen einem Spektakel, was im Fernsehen gut aussieht, und das sind eher die längeren Sprünge, und der Sicherheit. Wie balancieren Sie das für sich aus?
Pertile: Ich glaube, unsere Hauptaufgabe ist es, uns auf die Rückenwind-Situation zu fokussieren. In unserer Analyse ist herausgekommen, dass das eines der Hauptprobleme in der letzten Saison war. Wenn man mit Rückenwind startet und der Rückenwind plötzlich aufhört, muss man vorsichtig sein, dass die Geschwindigkeit beim Absprung nicht zu schnell ist. Und das ist eine große Herausforderung. Das war eines der Themen, die wir mit den Technischen Delegierten und den Jury-Mitgliedern diskutiert haben: sich wirklich auf die Windbedingungen zu konzentrieren. Wenn die Windbedingungen gegeben sind, können wir die Schanze voll ausnutzen, wenn Rückenwind herrscht, müssen wir konservativer urteilen. Und natürlich erreicht man dann vielleicht nicht die Hillsize, aber das müssen wir dann in Kauf nehmen, um Verletzungen zu vermeiden.
Rieger: Mich überrascht, dass es der Rückenwind ist, der Probleme macht, weil normalerweise werden ja gerade die großen Weiten durch Aufwind erzeugt. Also geht es dann eher darum, dass die Geschwindigkeit der Springer schon im oberen Abschnitt schon so hoch ist, dass das dann bei der Landung problematisch wird? Oder können Sie nochmal genauer erklären, was das Problem ist, wenn die Springer Rückenwind haben bei der Landung?
Pertile: Ja, das ist der Punkt. Der Rückenwind erhöht die Geschwindigkeit und die Kräfte bei der Landung eines Athleten. Wenn wir mit Rückenwind starten, wird nicht weit gesprungen, deshalb müssen wir die Geschwindigkeit erhöhen. Und wenn der Wind nachlässt, bedeutet das, dass man mit der gleichen Geschwindigkeit plötzlich deutlich weiter springen kann. Und manchmal fällt man dann während des letzten Teils der Flugphase einfach ab, das ist eine sehr gefährliche Situation. Das ist der Punkt. Mit dem Rückenwind braucht man manchmal mehr Geschwindigkeit, aber wenn der Wind nachlässt, hat man plötzlich zu viel Geschwindigkeit, und das kann Probleme bei der Landung verursachen.
Rieger: Und die Maßnahme wäre dann einfach die Luke, von der die Springer dann oben starten, runterzusetzen, um den Anlauf zu verkürzen?
Pertile: Ja, das ist der Punkt. Wir können die Luken immer verändern, um so einzugreifen. Aber wir sind auch eine Freiluftsportart, und die Windbedingungen können sich so schnell ändern, dass wir manchmal nicht mehr rechtzeitig reagieren können und die Luke nach unten zu setzen, um das Risiko zu minimieren.
Rieger: Peter Brückner, Mannschaftsarzt der deutschen Alpinen Abfahrer und auch Experte für Kreuzbandrisse – der hat auch viele deutsche Skispringer operiert, die diese Verletzung haben – hat zu T-Online gesagt: "Die medizinische Kommission in der FIS hat keine Entscheidungsfunktion. Es wäre aus meiner Sicht wünschenswert, dass Mediziner und andere Experten auch im Rahmen von Entscheidungsprozessen der FIS mehr integriert werden." Warum gibt es denn zum Beispiel kein Veto-Recht für die medizinische Kommission bei manchen Fragen, wenn die Doktoren sagen: Nein, das ist zu gefährlich. Warum haben die dann da nicht ein Veto-Recht, um zu sagen: Nein, wir müssen das stoppen?
Pertile: Das sehe ich anders. Ich glaube, dass die medizinische Kommission der FIS immer die Möglichkeit hat, ihre Anmerkungen im Skisprung-Komitee vorzutragen. Und wir werden diesen Input immer berücksichtigen. Deshalb widerspreche ich dieser Meinung. Ich glaube, wir sind sehr offen für Anmerkungen der medizinischen Kommission. Deshalb lassen Sie mich sagen: Die Skisprung-Kommission hört genau hin, was die medizinische Kommission zu sagen hat. Und auch innerhalb der Kommission gibt es unterschiedliche Diskussionen.
Vierschanzentournee der Frauen: "Warten noch auf konkretes Interesse"
Rieger: Dann lassen Sie uns gegen Ende dieses Sportgesprächs auf die Zukunft blicken und lassen Sie uns da einmal auf die Frauen blicken: Kommt im nächsten Jahr die Vierschanzentournee für Frauen?
Pertile: Das könnte eine Option sein. Natürlich brauchen wir eine Bewerbung eines nationalen Ski-Verbandes, bevor wir die Diskussion beginnen. Das ist die Grundlage unserer Regularien. Wir warten immer noch auf ein konkretes Interesse des deutschen und österreichischen Ski-Verbandes, was dieses Thema angeht. Wir sind für alle Optionen offen, aber der erste Schritt müsste sein, dass etwas Schriftliches eingereicht wird, eine Bewerbung der jeweiligen nationalen Verbände.
Rieger: Dass die Vorschläge evaluiert werden müssen, das hören die Springerinnen schon seit relativ langer Zeit. Katharina Althaus hat hier im Deutschlandfunk auch gesagt: Egal ob Vierschanzentournee oder Skifliegen, da kommt schon ziemlich viel Gegenwind, gerade auch von den Herren. Ist vielleicht da auch ein Problem, dass zu wenig Frauen auf höherer Ebene in der FIS oder auch im Skispringen vertreten sind, um die Position der Frauen besser zu vertreten?
Pertile: Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Wir haben schon eine ernsthafte Analyse im letzten April gestartet, um zu evaluieren, in welche Richtung wir das Frauen-Skispringen entwickeln müssen. Und wir haben realisiert, dass wir das Schritt für Schritt angehen müssen und zuerst einmal die Breite im Skispringen stärken müssen. Wir haben eine ausgewählte Gruppe an hochklassigen Frauen, die mit Sicherheit auch auf den Skiflug-Schanzen auf hohem Niveau springen können. Aber die Aufgabe des internationalen Verbandes ist es, eine solide Basis und eine große Gruppe an Athletinnen zu haben, die sich weiterentwickeln. Wir können kein Top-Event für ein paar Athletinnen organisieren, das entspricht aus meiner persönlichen Sicht nicht der Rolle, die das FIS und unser Verband innehat. Deshalb ist es unsere Aufgabe in den nächsten Jahren, das Frauen-Skispringen immer weiterzuentwickeln. Vom sportlichen Gesichtspunkt her und auch von der Qualität des Produktes her. Am Ende des Tages müssen wir unser Produkt im TV präsentieren und dafür benötigen wir die Unterstützung unserer TV- und Marketing-Partner.
Rieger: Aber was spricht denn dagegen, wenn man jetzt das Konzept bei den Männern sieht: Wir haben 50 Springer in der Qualifikation und 30 im zweiten Durchgang – wenn man das kleiner bei den Frauen einführt? Wenn es nicht 50 oder 60 Springerinnen gibt, die auf diesem Top-Niveau sind, aber man vielleicht 30 hat, warum macht man nicht einen ersten Durchgang mit 30 und die besten 10 springen dann nochmal in einem zweiten Durchgang die besten zehn Positionen aus. Also warum nicht das Männer-System etwas kleiner, aber dann auch auf diesem Top-Niveau angewendet, wie das bei den Männern der Fall ist, auch bei den Frauen?
Pertile: Das ist eine Option, muss aber in den Komitees diskutiert werden, die dann unterschiedliche Regeln für das Frauen-Skispringen und den Weltcup ausarbeiten müssten. Das könnte eine Option sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob unterschiedliche Regeln die Entwicklung des Frauen-Skispringen voranbringt. Ich bin mehr davon überzeugt, dass wir erst die richtigen Schritte für die Sportart und das Marketing definieren müssen, um das Produkt weiterzuentwickeln. Das ist meine Meinung, natürlich sollten wir die Frauen-Direktorin Chika Yoshida in diese Diskussion mit einbinden, weil das ihre Hauptaufgabe ist.
"Mattenuntergrund auch im Winter vorstellbar"
Rieger: Wenn wir über die Zukunft des Skispringens sprechen, dann müssen wir auch über die Klimakrise sprechen. Es schneit immer weniger, die Skispringer können das noch relativ gut ausgleichen, weil sie relativ wenig Kunstschnee brauchen oder im Zweifel, wenn wir über eine Mattenschanze reden, dann gar keinen. Aber was tun Sie in der Skisprung-Gemeinschaft, um klimafreundlicher zu werden?
Pertile: Wie Sie schon erwähnt haben, das Skispringen befindet sich in einer günstigen Lage, weil wir nicht so viel Schnee benötigen. Gleichzeitig müssen wir unsere Augen aber auch offen haben und unsere Strategie in Zukunft anpassen, um den Entwicklungen der Wetterbedingungen gerecht zu werden. Was auf jeden Fall vorstellbar wäre, auch im Winter mit Mattenuntergrund zu springen. Aber das ist auch ein Thema, das gerade diskutiert wird, momentan aber eher hintenansteht, weil die Covid-Krise derzeit im Fokus steht. Sobald wir das hinter uns haben, können wir uns auch wieder auf die Punkte fokussieren, die wir jetzt in diesem Interview diskutieren.
Rieger: Jetzt ist aber natürlich die Frage: Was tun Sie oder was tun auch die Veranstalter dafür, weniger CO2 zu emittieren oder insgesamt umweltfreundlicher und klimafreundlicher zu sein? Jetzt habe ich mal nachgeguckt, im FIS-Veranstaltervertrag gibt es nur einen kurzen Absatz, darinsteht: "Der Organisator anerkennt und erklärt sich damit einverstanden, dass der Respekt gegenüber der Umwelt einen wichtigen Aspekt im Rahmen der Organisation und der Durchführung der Veranstalter darstellt. Er hat die ihm gemäß dem vorliegenden Vertrag zufallenden Aufgaben unter angemessener Berücksichtigung des Aspekts der nachhaltigen Entwicklung, unter Einhaltung der geltenden Umweltgesetze und – wenn und wo immer möglich – im Sinne des Umweltschutzes zu erfüllen." Das wars dann aber auch. Warum gibt die FIS den Veranstaltern da nicht mehr Vorgaben in Hinsicht des Klimaschutzes?
Pertile: Ich glaube, dass unsere Organisatoren – auch wenn wir das nicht in unsere Verträge niederschreiben – ohnehin schon versuchen, den Einfluss unserer Events so gering wie möglich zu halten. Umweltschutz spielt in unser aller Leben eine immer größere und wichtigere Rolle und ich glaube fest daran, dass sie das im Hinterkopf haben, auch wenn wir das nicht spezifisch in unseren Verträgen niedergeschrieben haben. Das ist auf jeden Fall ein Thema, an dem wir zusammenarbeiten können, um das zu verbessern. Wir als Verband könnten auch bei der Weltcup-Kalenderplanung darauf achten, die Reisen zu reduzieren und einen neuen Weg des Reisens für unsere Teams und Partner zu ermöglichen.
Rieger: Aber wenn wir jetzt über die Weltcup-Planung sprechen, das würde dann ja wiederum bedeuten, dass es schwieriger werden würde, Märkte in den USA oder vielleicht auch in China zu erobern, weil das dann ja wieder mit viel Reiserei verbunden wäre. Muss man da dann abwägen zwischen den neuen Märkten und Klimaverträglichkeit auf der anderen Seite?
Pertile: Wir müssen stark genug sein, um eine gute Lösung für unseren Wettbewerb zu finden. Für uns hat es natürlich einen Wert, in die USA oder nach Japan zu reisen. Wir wollen ein Weltsport sein und da müssen wir es akzeptieren, dass wir dafür lange Distanzen in die USA oder nach Japan zurücklegen müssen. Das ist Teil des Konzepts. Wenn man natürlich auf andere Kontinente reist, kann man darüber nachdenken, mehrere Weltcup-Events dort zu kombinieren. Das war auf jeden Fall auch in dieser Saison den Plan: Die Flüge nach Peking und Sapporo in einer Reise zu kombinieren. Leider konnte das nicht stattfinden, weil die chinesischen und japanischen Verbände die Weltcups gecancelt haben, aber das war auf jeden Fall ein Schritt in diese Richtung.
"Wert als Produkt und Sport aufrechterhalten"
Rieger: Ihr Vorgänger Walter Hofer hat das Skispringen zu einer TV-Sportart gemacht. Ist es Ihre Aufgabe, Skispringen in den kommenden Jahren zu einer Internet-Sportart zu machen?
Pertile: Meine Aufgabe wird es sein, den Wert des Skispringens als Produkt und Sport aufrechtzuerhalten und alle Möglichkeiten, die sich uns auftun, zu nutzen. Dazu gehört natürlich Social Media, Internet-Zugang. Ich bin sehr gespannt, wie diese Saison unseren Sport entwickeln wird, aber gleichzeitig wollen wir auch ein Sport mit vielen Fans an der Schanze sein. Wir glauben fest daran, dass Zuschauer an der Schanze von großem Wert für unseren Sport sind, für unsere Organisatoren und auch für die Menschen, die unsere Events besuchen.
Rieger: Wo sehen Sie denn das Skispringen in fünf Jahren?
Pertile: Einer meiner Träume ist es auf jeden Fall, das Skispringen für mehr Nationen zugänglich zu machen. Ich glaube fest daran, dass wir Länder mit einbeziehen müssen, die momentan nicht mehr in unserer Sportart vertreten sind, aber zu unserer Historie gehören. Ich denke da zum Beispiel an Schweden, das früher zur Tradition unserer Sportart gehörte und jetzt eher von außerhalb zuschaut. Deshalb würde ich gerne neue Teams in den Weltcup einführen und unsere Basis zu erweitern. Das ist unsere Pflicht und unsere Hauptaufgabe in den nächsten fünf bis zehn Jahren.