"In 20 bis 50 Jahren werden wir schon im postdigitalen Zeitalter sein, das heißt Digitalisierung hat sich völlig natürlich in den Alltag eingefügt und da ist dann auch vorstellbar, dass nicht nur Menschen sich im sportlichen Wettkampf auseinandersetzen, sondern, dass es auch Duelle zwischen Mensch und Maschine und sogar Maschine – Maschine geben wird."
Sascha Schmidt ist kein Science Fiction-Autor, sondern Zukunftsforscher an der Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf. Hier werden wissenschaftlich Expertenmeinungen zusammengetragen und daraus ein Konsens gezogen darüber, wie eine möglichst realistische Vision des zukünftigen Sports aussieht. Etwa wie viel Einfluss Technik am und im Körper der Athleten haben wird.
Exoskelette und Bioprinting
Und das wird stark zunehmen, sagt Sascha Schmidt. Zum Beispiel in Form von Exoskeletten: "Anzüge oder äußere Hüllen, die sich ein Athlet anlegt und dadurch ganz andere Leistungsmöglichkeiten hat." Entwickelt in der Medizin, um Menschen mit Behinderung Bewegungsabläufe zu ermöglichen, die ohne Exoskelette nicht möglich wären. Im Sport könnten sie Athleten unterstützen. Die Grenzen dahin sind fließend.
Nehmen wir etwa die Ganzkörper-Schwimmanzüge, die zwar inzwischen aus dem Wettkampf verbannt sind, aber eine Weile für enorme Leistungssteigerungen sorgten. Ein anderes Beispiel, auch aus der Medizin, aber in noch fernerer Zukunft - Bioprinting: "Beim Bioprinting geht es darum, dass man organisches Gewebe erzeugen kann so in der Art 3D-Drucker und damit auch in der Lage ist Organe herzustellen, das ist jetzt weniger relevant für das Doping, sondern mehr relevant für Verletzungen, Heilungsprozesse."
Verletzungen können in sehr viel schnellerer Zeit ausheilen, der Sportler kann schneller wieder in den Wettbewerb einsteigen, was enorme Auswirkungen auf Trainingsabläufe und -strategien nach einem Unfall hätte.
Doping mit Mikrorobotern in der Blutbahn?
Ein weiteres Beispiel, das schon tief in den Körper hineingeht: Nanobots, kleine Mikroroboter, die in die Blutbahn der Sportler eingeführt werden: "Mit Hilfe dieser Mikroroboter können Sie zum Beispiel Energie zuführen oder Sie können Muskeln stimulieren und das ganz gezielt", erklärt Zukunftsforscher Sascha Schmidt. Stimulation, die von außen gesteuert wird. Noch gibt es diese Nanobots nicht, zumindest nicht, dass dies bekannt wäre. Es wäre nach dem heutigen Verständnis klares Doping.
Aber wie ist es, wenn Athleten und Veranstalter es akzeptieren und transparent machen? Wenn die Sportler etwa Sensoren an ihrem Körper tragen, die biometrische Daten liefern? So richtig transparent, dass auch der Gegner und die Zuschauer diese Informationen hätten? Wer ist kurz davor, zu übersäuern? Wie ist die Energiekurve? Der Laktatwert? Die Zuschauer bekommen die Informationen auf Smartphones oder eingeblendet in einer Brille oder Kontaktlinse als Augmented Reality – das reale Bild vom Spielfeld, angereichert mit Informationen, Daten.
Und wenn man das gleich noch einen Schritt weiterdenkt, könnte es sogar Richtung Interaktion, Gamifizierung gehen: "Der Zuschauer kann auch aktiv eingreifen in das Spiel. Wenn das so aufgesetzt ist, kann die Crowd, kann die Masse entscheiden, abstimmen darüber, wer noch einen Energieschub bekommt."
Sport muss Weichen für die Zukunft stellen
Diese Visionen mögen Faszination und Unbehagen gleichermaßen auslösen, je nachdem das eine mehr als das andere. In jedem Fall muss sich der Sport damit auseinandersetzen, wie er mit der zunehmenden Technisierung umgeht. Und er wird immer stärker herausgefordert, ethische Fragen zu klären. Eine Debatte, um die sich die Sportdachorganisationen bei Manipulationsfragen bisher gedrückt haben: Was macht einen sportlichen Wettkampf in seinem Grundgedanken aus?
"Wir wollen eigentlich Mensch gegen Mensch beobachten und nicht Ingenieur gegen Ingenieur und dieser Aspekt würde massiv in den Vordergrund geschoben, wenn man eine technische Aufrüstung des Körpers zuließe. Das würde ich für denkbar halten, aber dann müsste der Hochleistungssport anfangen, sich selber in seinem Sinn und seinen Grundlagen umzudefinieren."
Sagt der Rechtsphilosoph und Mitglied im Deutschen Ethikrat, Reinhard Merkel, der selbst als Schwimmer bei den Olympischen Spielen 1968 antrat. Merkel plädiert für enge Grenzen, die jetzt gezogen werden müssten, um den unverzerrten Wettbewerb Mensch gegen Mensch zu erhalten. Wissend darum, welcher Dynamik auch der Sport ausgesetzt sein wird.
"Wenn das sozialadäquat, sagen die Juristen gerne, wird, solche Möglichkeiten für den ganz normalen Alltag einzusetzen, dann mag es irgendwann mal seltsam anmuten, dass der Sport eine Grenze verteidigt, die in der Gesellschaft selbst längst nicht mehr existiert. Aber es gibt keinen Grund, zu sagen, weil die Dynamik der technischen Entwicklung so rasant ist, schließen wir uns an und öffnen möglichst viele Flanken zum Eindringen der Technologien in den Sport und in die Athleten selbst."
Der Sport am Scheideweg
Zukunftsforscher Schmidt glaubt, dass die Form der Sportveranstaltungen und des Wettkampfes den Gesetzen des Marktes unterliegen werden: "Wie das genau aussieht, das entscheidet am Ende der Konsument, was wirklich eine Faszination auf Konsumenten ausübt."
Schmidt hält es für wahrscheinlich, dass es zwei Lager geben wird: "Dass der Sportpuristen, die den ursprünglichen Wettbewerb, so wie wir ihn aus olympischen Spielen kennen, favorisieren und dann wird es das Lager der Technikenthusiasten geben, die dann wahrscheinlich auch auf andere Dinge Wert legen. Wo dann das Spektakel eine größere Rolle spielt, als die Identifikation mit dem Athleten oder dem Verein."
Verlöre der Sport, heute noch einer der letzten Ereignisse mit gesellschaftlicher Bindekraft, national und international, dies Stellung, weil man sich nicht mehr auf eine einheitliche Wettkampfform verständigen kann? Die Zukunft des Sports - es ist ein technischer Ausblick, verbunden mit einer Debatte über gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die bereits heute notwendig wird.