"Nachrichtenjäger gesucht!" Dieser Slogan steht in dicken Lettern über einer pinken Stellenanzeige. Darunter: "Bekämpfe Fake News! Werde Journalist!" Mit der auffälligen Zeitungsannonce buhlt die "Neue Westfälische" derzeit um Volontäre. Die Bielefelder Regionalzeitung wirbt mit Bezahlung nach Tarif, aber auch mit einem tollen Arbeitsklima und einem großen Fitnessprogramm. Denn der Nachwuchs kommt nicht mehr automatisch. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Bewerbungen halbiert, sagt der stellvertretende Chefredakteur Carsten Heil.
"Die praktische Erfahrung fehlt"
"Früher kamen freie Mitarbeiter, die schon drei, zwei, vier Jahre als freie Mitarbeiter irgendwo für eine Zeitung oder einen Verlag gearbeitet haben oder auch für uns gearbeitet haben. Inzwischen nimmt das ab: Da sind nur sehr kurze Vorerfahrungen häufig vorhanden, aber ein hohes theoretisches Wissen. Auch wenn die Universitäten und Fachhochschulen ihre Ausbildungen auch verstärkt mit praktischen Elementen spicken, die praktische Erfahrung fehlt doch im Vergleich zu früher."
Dieses Problem betrifft inzwischen viele Blätter. Große Medienhäuser wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder der "Tagesspiegel" bestätigen auf Anfrage zwar, dass sie immer noch genügend Nachwuchs haben. Aber Lokal- und Regionalzeitungen tun sich zunehmend schwer – auch wenn viele es nicht gern zugeben. Mehrere Zeitungen beantworten die Anfrage des Deutschlandfunks nicht einmal.
Keine einzige Bewerbung
Anders der Beauftragte der "Badischen Zeitung": Er berichtet von Kollegen, die ihn darum bitten, ihm abgelehnte Volontariats-Kandidaten zu nennen – weil bei ihnen selbst keine einzige Bewerbung eingegangen ist. Auch Claus Liesegang, Chefredakteur der "Märkischen Oderzeitung", kennt das Problem.
"Insgesamt ist es, glaube ich, schwieriger geworden und die Anzahl der Bewerber ist deutlich zurückgegangen. Bei uns kommt herausfordernd hinzu, dass Brandenburg, insbesondere Ostbrandenburg, jetzt nicht so die Magnetwirkung hat wie vielleicht eine Metropole. Die Anforderungen an die Unternehmen nehmen sicher zu."
Crossmediale Ausbildung mit externen Stationen
Sowohl die "Märkische Oderzeitung" als auch die "Neue Westfälische" haben deswegen ihre Volontariate aufpoliert: Die Volontäre lernen nicht nur Zeitung machen, sondern verbringen auch einige Wochen in externen Redaktionen, zum Beispiel im Hörfunk, im Fernsehen und bei Pressestellen. Beide Blätter konnten ihre Volontariats-Plätze zuletzt wieder problemlos besetzen. Andere Medienhäuser verfolgen eine ähnliche Strategie: Der Verlag Madsack in Hannover hat für die Ausbildung einen eigenen Mediencampus gegründet, die "Rheinische Post" in Düsseldorf eine Journalistenschule.
Die zusätzlichen Inhalte haben aber auch ihren Preis: Die Volontariate dauern inzwischen oft länger als die klassischen zwei Jahre. Bei der "Neuen Westfälischen" sind es drei Monate mehr, bei der "Märkischen Oderzeitung" ein ganzes Jahr. Für die Nachwuchsjournalisten bedeutet das, dass sie nach ihrem Studium noch einmal länger mit einem Ausbildungsgehalt klarkommen müssen – wie bei der "Märkischen Oderzeitung".
"Da unser Unternehmen nicht im Tarif gebunden ist, bezahlen wir auch kein Tarifgehalt für die Volontäre. Aber wir haben in diesen drei Jahren eine Staffelung drin und am Ende, im dritten Ausbildungsjahr, bekommen die Volontäre aktuell 2.100 Euro, das ist, glaube ich, annähernd Tarif."
Kaum noch Tarifbindung
Tatsächlich liegt der Volontärstarif nicht viel höher. Würden die Volontäre nach zwei Jahren Ausbildung allerdings als Redakteure eingestellt, bekämen sie im Monat brutto über 1.000 Euro mehr. Andererseits gibt es kaum noch Zeitungen, die überhaupt nach Tarif zahlen. Der Deutsche Journalistenverband weiß von über 100 Zeitungstiteln, die die Tarifbindung ganz oder teilweise umgehen.
"Ich habe schon das Gefühl, dass es sich langsam herumgesprochen hat, dass in der Medienbranche halt nicht leicht das große Geld zu verdienen ist und dass es schwer ist, eine Anschlussstelle als Redakteur zu bekommen. Dass man vielleicht auch (…) nicht so tolle Verträge in Kauf nehmen muss."
Frustriert von befristeten Verträgen
Diese Geisteswissenschaftlerin hat ihr Volo bei einer Tageszeitung vor zwei Jahren erfolgreich beendet und danach als Lokalredakteurin weitergearbeitet. Im Volontariat habe sie viel wertvolles Handwerkszeug gelernt, sagt sie. Trotzdem hat sie ihren Arbeitgeber vor kurzem frustriert verlassen – und möchte deswegen anonym bleiben. Sie berichtet von befristeten Verträgen, unbefriedigenden Gehaltsverhandlungen und mangelnder Wertschätzung. Und das zusätzlich zu den unbequemen Arbeitsbedingungen.
"Man hat Abendtermine, man weiß nicht, ob man jetzt wirklich heute um halb sieben rauskommt oder ob es doch nicht eher halb neun wird, weil noch irgendwas reinkommt. Man hat Wochenenddienste. Wenn dann auch noch der Rahmen nicht stimmt mit dem Gehalt und so weiter, irgendwann merkt man dann halt, der Idealismus schön gut, aber der hat dann irgendwo auch mal ein Ende und man muss doch selber gucken, wo man bleibt."
Vier Monate Anschlussvertrag garantiert
Heute macht die Journalistin Öffentlichkeitsarbeit an einer Hochschule – mit Tarifvertrag. Das Beispiel zeigt: Wenn die Zeitungen auch in Zukunft fähigen Nachwuchs gewinnen wollen, müssen sie wohl auch die Rahmenbedingungen anpassen. Eine Übernahmegarantie bietet kaum eine Zeitung nach dem Volontariat. Die "Neue Westfälische" ist da eine Ausnahme: In ihrer schrill-pinken Stellenanzeige sagt sie zu, die Volontäre nach 27 Monaten Ausbildung als Redakteur einzustellen. Sie garantiert allerdings nur einen Vertrag von vier Monaten.