Archiv

Zukunft von Print- und Lokaljournalismus
"Journalisten sind halt nicht mehr so wichtig"

Die voranschreitende Digitalisierung erfordere neue Modelle, um Lokaljournalismus zu finanzieren, sagte Joachim Braun, bis vor Kurzem Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, im Dlf. Aber auch Journalisten selbst seien angesichts ihres Bedeutungsverlusts gefragt, anders zu arbeiten.

Joachim Braun im Gespräch mit Christoph Sterz |
    Joachim Braun, seit mehr als 30 Jahren Zeitungsjournalist.
    Joachim Braun, seit mehr als 30 Jahren Zeitungsjournalist. (picture alliance / Robert B. Fishman)
    Christoph Sterz: "Lokal und global - Heimat und Digitalisierung" - unter diesem Motto trifft sich heute der Verband Deutscher Lokalzeitungen. Und sagt damit, dass das Lokale und Globale, die Heimat und das Digitale, dass das alles wunderbar zusammenpasst. Aber ist das auch so - lässt sich das alles ohne große Mühen zusammenbringen? Das habe ich vor der Sendung besprochen mit Joachim Braun, zweifacher Preisträger des "Deutschen Lokaljournalistenpreises", 2012 als "Regional-Chefredakteur des Jahres" ausgezeichnet und bis Ende vergangener Woche Chefredakteur der "Frankfurter Neuen Presse".
    Ich habe Herrn Braun als Erstes gefragt, ob Lokal, Global, Heimat und Digitalisierung im Jahr 2018 die richtigen Stichwörter für Lokaljournalismus sind.
    Joachim Braun: Ich glaub schon, dass das die richtigen Stichwörter sind. Das waren auch schon die richtigen Stichwörter in 2010. Jetzt wird's ein bisschen dringlicher, weil die Digitalisierung weiter vorangeschritten ist, und wir müssen schauen, dass wir, gerade für Lokaljournalismus, Modelle entwickeln, die diesen auch auf Dauer finanzieren können.
    Sterz: Wenn das schon 2010 ein Thema war, bedeutet das doch eigentlich, dass da längst etwas hätte unternommen werden können, damit es jetzt nicht mehr so ein großes Thema ist. Oder nicht?
    Braun: Das ist eine richtige Schlussforderung. Ich glaube, es ist auch bei vielen Verlagen viel passiert und bei manchen nicht. Das Problem ist, dass das Digitale im Vergleich zum alten Lokaljournalismus in der Zeitung, als Zeitung auch noch das alleinige Informationsmedium war, aus dem die Menschen erfahren haben, was in ihrer Umgebung passiert - dass man diese Zeitung von damals so nicht ins Digitale überführen kann. Man braucht völlig neue Arten, Geschichten zu erzählen. Man braucht neue Themen. Die digitalen Leser, die digitalen User sind viel qualitätsbewusster und viel stärker darauf aus, Nachrichten zu bekommen, die wirklich einen Wert für sie haben.
    "Nicht gescheitert mit meinem Ansatz"
    Sterz: Nun sind Sie vor gut zwei Jahren nach Frankfurt gekommen zur Regionalzeitung Frankfurter Neue Presse und haben da ja genau das versucht, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben zum Beispiel Redakteure damit beauftragt, sowohl Online als auch Print zu machen. Sie wollten die Ressortgrenzen auflösen, wollten wegkommen vom Terminjournalismus, also von dieser klassischen Vereins- und Pressekonferenzberichterstattung. Nun sind Sie aber seit Ende vergangener Woche nicht mehr Chefredakteur. Sind Sie also mit diesem Ansatz gescheitert?
    Braun: Nein, ich würde nicht sagen, dass ich mit dem Ansatz gescheitert bin. Dass ich nicht mehr Chefredakteur der FNP bin, hat ausschließlich etwas damit zu tun, dass es einen neuen Eigentümer gibt, dass unser vorheriger Eigentümer, die Fazit-Stiftung, die Zeitung verkauft hat, und der neue Eigentümer verfolgt einfach eine andere Strategie mit der Zeitung. Das ist, glaube ich, ein ganz normaler Vorgang in der Wirtschaft und nicht so tragisch. Für mich ist es schade, weil ich mitten in einem Prozess stand und gut anderthalb Jahre an dieser Veränderung, an diesem Change-Prozess gearbeitet hatte - und ihn jetzt nicht beenden kann, weil einfach die Strategie der neuen Eigentümer eine andere ist.
    Sterz: Nun teilen aber die neuen Eigentümer mit, dass die Frankfurter Neue Presse im vergangenen Jahr bundesweit die höchsten Verluste bei den Abonnements erlitten hat. Das ist doch schon vielleicht ein Hinweis, dass der Wechsel, dieses Change-Prinzip, das Sie geschildert haben und ja auch in Ihrer Arbeit vertreten, dass das vielleicht nicht jedem Leser so gefällt.
    Braun: Das stimmt, das hat nicht jedem Leser so gefallen. Jetzt gibt's 'ne spezifische Situation bei der Frankfurter Neuen Presse, dahin gehend, dass die Zeitung einen Ballungsraum bedient zum einen, zum anderen einen ländlichen Raum. Eigentlich muss man die Ressourcen haben, um für beide Bereiche unterschiedliche Strategien zu fahren. Das ist in der heutigen Zeit schon mal sehr schwierig. Das ist der eine Punkt. Und der andere Punkt ist der, dass so ein Change-Prozess ja für beide Seiten eine totale Umgewöhnung ist. Zum einen für die Redaktion, die plötzlich anders denken muss, anders Themen entwickeln muss, andere Arbeitsabläufe lernen muss. Und natürlich für die Leser, denen in gewisser Weise was weggenommen wurde, was manche geschätzt haben, nämlich Terminberichterstattung, das darf man ja nicht geringschätzen. Und dafür bekommen sollen, was sie so noch nicht gewöhnt sind. Ich glaube, was wir da erlebt haben, ist ein Prozess, wie ihn jede Regionalzeitung, die eine mehr und die andere weniger, erlebt, wenn sie ihr Produkt verändert. Wenn die Firma Mercedes eine neue Auto-Reihe einführt, dann sie in der Regel auch erst mal einen Umsatzeinbruch bzw. einen Nachfrageeinbruch, weil die Käufer irritiert sind davon. So ein Prozess braucht halt Zeit, und die neuen Eigentümer führen diesen Prozess jetzt mit ihren Vorstellungen weiter, weil es gibt, glaube ich, auch kein Zurück mehr. Und wir werden sehen, was daraus wird.
    "Wir leben in einer Übergangszeit vom Analogen zum Digitalen"
    Sterz: Sie sagen, dass so ein Prozess Zeit braucht. Aber auf der anderen Seite sind jetzt erst mal ein paar Leser verschwunden, die vielleicht auch nicht so schnell wiederkommen. Also ist es wirklich eine Frage der Zeit?
    Braun: Ja, das ist eine Frage der Zeit, weil: Das große Problem, das fast alle Regionalzeitungen haben, ist, dass ihre Leserschaft altert und sie mit den alten Printkonzepten relativ wenig Chancen haben, neue Leser zu gewinnen. Und das ist ja auch der Grund, weshalb dann die inhaltlichen Konzepte umgestellt werden. Und was dann Zeit braucht, ist, dass man andere, jüngere Leser dazu bringen kann, dass sie überhaupt das Produkt Zeitung entdecken und diese neuen Konzepte dann auch irgendwie annehmen. Und das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Man muss einfach neue Zielgruppen gewinnen.
    Sterz: Und zwar Zielgruppen, die dann auch im Digitalen Geld bezahlen, eben für journalistische Inhalte. Aber ich habe das Gefühl, dass gerade bei Regionalzeitungen noch nicht so richtig das digitale Geschäftsmodell gefunden wurde von den meisten Verlagen. Oder haben Sie eines gefunden?
    Braun: Das wäre schön, dann würden wir uns vielleicht gar nicht unterhalten auf diese Weise. Und ich würde nicht in Frankfurt sitzen, sondern irgendwo in meiner Finca auf Mallorca. Wir leben in einer Übergangszeit vom Analogen zum Digitalen. Und andere Branchen haben Geschäftsmodelle entwickelt. Schauen Sie sich die Musikbranche an. Im Zeitungsbereich, im Medienbereich ist es ungleich schwieriger, weil ja ein Artikel nicht wie ein Song ist, den man beliebig oft hören möchte. Und das heißt, wir brauchen andere Geschäftsmodelle. Und ich glaube nicht, dass der Journalismus nicht allein das Geschäftsmodell sein kann, sondern man muss aufbauend auf der Marke der jeweiligen Zeitung, des journalistischen Titels, da muss man ein Portfolio von anderen Geschäftsmodellen rundherum entwickeln. Und es gibt durchaus Beispiele in ganz Deutschland, wo das ganz gut funktioniert. Sie müssen nur nach Dresden zur Sächsischen Zeitung schauen oder auch nach Osnabrück zur Neuen Osnabrücker Zeitung oder zur Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg, die sind da im Aufbau. Wenn Sie jetzt die Zahlen hinterfragen, leben die auch noch nicht vom Digitalen, aber das Digitale schreitet fort. Und ich glaube, es gibt schon Wege, wie man dahin kommt. Aber sie sind halt mühsam, und sie müssen von einem ganzen Haus auch getragen werden, da müssen alle von überzeugt werden - und das sind halt die Dinge, die relativ lange dauern.
    "Mut ist das Wesentliche"
    Sterz: Sie haben gerade schon ein paar Zeitungsverlage erwähnt, die auf dem Weg sind. Aber Sie haben auch bei einer Rede vor vier Jahren gesagt. "Deutsche Zeitungsverlage sind die schwerfälligste Branche, die man sich vorstellen kann. Wären sie Schrittmacher der deutschen Wirtschaft, wir wären inzwischen auf einem Niveau mit Moldawien." Sehen Sie das im Jahr 2018 immer noch so?
    Braun: Also ich war erschüttert, als ich das gelesen hab': Hab' ich das wirklich gesagt? Ja, ich Hab's gesagt, das ist vier Jahre her. Zum Teil ist es tatsächlich immer noch so - und zum Teil ist es aber auch ganz anders. Da gibt es sehr unterschiedliche Unternehmen in der Branche. Die einen schreiten wirklich gut voran und haben Ideen und schaffen auch neue Strukturen, um das Digitale stärker zu integrieren. Und andere warten ab und sind der Meinung, sie kriegen irgendwas mit Reichweite hin und können sich mit Reichweite im Digitalen vermarkten. Ich glaube, den Stein der Weisen hat noch niemand gefunden, und man muss jetzt einfach abwarten, wie sich das entwickelt.
    Sterz: Wobei wahrscheinlich ein Rezept ist, dass sich die Verlage überhaupt mal was trauen, oder?
    Braun: Ja, Mut ist, glaube ich, das Wesentliche dabei. Und dieser Change-Prozess ist deshalb so schwierig, weil die Beteiligten, sprich die Journalisten einfach anfangen müssen, anders zu denken, als sie's bisher gedacht haben. Sie sind halt nicht mehr so wichtig, wie sie's mal waren; es gibt viele andere Spieler auf dem Nachrichtenmarkt. Und sie müssen tatsächlich eine Leseorientierung, eine Userorientierung entwickeln, und zwar sich bei jedem Artikel, den sie machen, fragen: Wen interessiert das? Und warum interessiert das ihn? Und das sind Prozesse, das sind Denkweisen, die sind in manchen Verlagen schon ganz normal, und eigentlich sind sie, wenn man mal darüber nachdenkt, auch selbstverständlich. Aber in vielen Häusern funktioniert das so noch nicht und man macht einfach den alten Stiefel weiter.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.