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Zukunftspakt bei Volkswagen
"Das ist eine Chance für Niedersachsen"

Bis zum Jahr 2025 will VW rund 23.000 Stellen in Deutschland abbauen. Die Kritik, es handle sich dabei um eine unmoralische Entscheidung, weist Bernd Westphal, SPD-Sprecher im Wirtschaftsausschuss des Bundestages, zurück. Der Strukturwandel bei VW öffne Optionen für die Modernisierung der Automobilindustrie. Damit würden die Standorte in Niedersachsen langfristig gestärkt.

Bernd Westphal im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Westphal spricht im schwarzen Jackett in die Mikrofone und gestikuliert mit den Händen.
    Der SPD-Abgeordnete Bernd Westphal am 5.12.2014 am Rednerpult des Deutschen Bundestages in Berlin. (imago / Metodi Popow)
    Stephanie Rohde: Wenn die nahe Vergangenheit nicht ganz so schön war, dann bleibt ja immerhin noch die Zukunft als Hoffnungsort. Auf diese Zukunft setzt jetzt auch der VW-Konzern, der auch durch den Abgasskandal in der Krise steckt. VW hat gestern den sogenannten Zukunftspakt auf den Weg gebracht, damit will VW seine Kernmarke sanieren. Allein in Deutschland fallen bis zum Jahr 2025 bis zu 23.000 Stellen weg, einige Bereiche werden aber auch aufgestockt. Ist das ein sinnvoller Weg in die Zukunft oder ist das der Anfang vom Ende des Konzerns? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Bernd Westphal von der SPD, er kommt aus Niedersachsen und ist Sprecher im Wirtschaftsausschuss des Bundestages, guten Morgen!
    Bernd Westphal: Guten Morgen, Frau Rohde!
    Rohde: Muss die Belegschaft von VW jetzt dafür büßen, dass der Autobauer sich auf Tricksereien bei Abgaswerten konzentriert hat statt auf die Modernisierung der Autos?
    Westphal: Nein, ich würde nicht von Büßen sprechen, sondern das ist ein Strukturwandel, der natürlich erheblich ist und gravierend, aber auch die Option öffnet für die Modernisierung der Automobilindustrie. Und deshalb ist das eine gute Entscheidung.
    Stellenabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen
    Rohde: Aber ist es nicht zumindest ungünstig, dass jetzt in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass die Beschäftigten gehen müssen, die Bosse aber ihre Boni sicher haben?
    Westphal: Die Beschäftigten müssen ja nicht gehen. Wir haben ja eine Zusage, dass die Standorte erhalten werden, dass 9000 zusätzliche Stellen kommen und vor allen Dingen dass die Mitbestimmung es erreicht hat, also der Betriebsrat, die 23.000 Stellen, die abgebaut werden sollen bis 2025, ohne betriebsbedingte Kündigung erfolgen. Und das ist, finde ich, erst mal ein Erfolg.
    Rohde: Aber trotzdem fallen die Arbeitsplätze ja langfristig weg.
    Westphal: Das stimmt, wir werden in Niedersachsen das auch spüren, Arbeits- und Ausbildungsplätze werden weniger werden. Aber das liegt auch an der Tatsache, dass man mit Elektromobilität und Digitalisierung einfach weniger Arbeitsplätze braucht, um solche Autos zu bauen.
    Rohde: Sie sagen jetzt, das ist eigentlich in Ordnung, dieser Kurs. Das sehen andere anders, also sowohl von der CDU, als auch von der Linken. Zum Beispiel von der CDU Matthias Zimmer, der sagt, es ist eine unmoralische Entscheidung und ein Skandal. Haben die dann alle keine Ahnung, wovon sie reden?
    Westphal: Na ja, also, ich weiß nicht, was konservative Politiker für Vorstellungen haben. Wir haben immer Veränderung gehabt in Deutschland. Das, was wir an Strukturveränderung haben, ob das in der Kohle oder Stahlindustrie ist oder auch in anderen Produktionen, Elektroindustrie oder Maschinenbau, auch die chemische Industrie, die haben sich immer gewandelt. Es gibt immer neue Produkte, neue Technologien, Forschung, Entwicklung. Also, wer Angst hat vor Veränderungen, der darf nicht in die Politik gehen und auch nicht in die Wirtschaft.
    Rohde: Aber dann schauen wir doch noch mal tatsächlich auf den Abgasskandal. Das hängt ja damit zusammen jetzt, dass der VW-Konzern in der Krise merkt, er muss sich reformieren und verändern. Bekommen dann nicht doch die einfachen Arbeiter jetzt die Quittung dafür, dass da getrickst wurde bei VW?
    Westphal: Das ist natürlich eine ungünstige Situation gewesen, dass der Konzern jetzt mit hohen Strafzahlungen auch da belangt wird, das ist alles auch nicht einfach gewesen für das Unternehmen. Und ich denke mal, das kann man auch nicht positiv verkaufen, sondern das, was da passiert ist, dass man auch mit Technologie versucht hat, Grenzwerte einzuhalten, die nicht in Ordnung waren, das ist etwas, wo das Unternehmen Fehler gemacht hat. Aber ich habe mich sowieso schon gewundert, warum in den letzten Jahren die Automobilindustrie in Deutschland insgesamt, was Veränderung angeht, so entspannt war. Denn das, was da auf uns zukommt, dass wir keine Verbrennungsmotoren in Zukunft mehr haben, das ist eigentlich schon eher sichtbar gewesen, dafür brauchten wir keinen Skandal da in den USA.
    Neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Leiharbeiter
    Rohde: Vielleicht waren die so entspannt, weil die Politiker keinen Druck gemacht haben, unter anderem auch in Brüssel nicht?
    Westphal: Na ja, gut, wir haben schon Druck gemacht in dem, dass wir Klimaziele erreichen wollen und die einzelnen Sektoren – also Industrie, Mobilität und andere, Industrie und so weiter –, die müssen ja ihre CO2-Reduktionen bringen. Und das hat damit zu tun, dass wir mit dem, was in Elmau passiert ist, mit Dekarbonisierungsstrategien, mit dem, was wir in Paris vereinbart haben, natürlich einen Veränderungsprozess in Gang setzen. Zum Beispiel die gesamte Energieerzeugung in Deutschland wird sich erheblich ändern in der Zukunft. Das ist eigentlich in den Vorständen auch klar, man sieht ja auch dort Veränderungen.
    Rohde: Aber trotzdem wurde ja in Brüssel lange nichts dagegen getan, dass die Abgaswerte möglichst hoch angesetzt werden und dass auch nicht hinterfragt wird, welche Werte zum Beispiel in Prospekten angegeben werden. Also, da müssen die Politiker, unter anderem Sie, sich ja auch an die eigene Nase fassen.
    Westphal: Ja, natürlich, ich will auch gar nicht versäumen das zu erwähnen, zu sagen, okay, da gibt es auch auf politischer Seite her vielleicht zu wenig auch Vorgaben, Rahmenbedingungen, die klarer sind. Also, wenn man das sieht, in anderen Ländern wird das wesentlich strikter vollzogen und ich denke mal, dass wir mit der Entscheidung jetzt bei VW zumindest die Tür aufgemacht haben für einen Weg, an dem sich auch andere orientieren können.
    Rohde: Und ist das auch eine Tür, die aufgemacht wird für zum Beispiel die Leiharbeiter? Weil, die sind ja im Zweifel jetzt die Leidtragenden von der ganzen Geschichte!
    Westphal: Hier gibt es verstärkte Verantwortung der Landesregierung wie auch des Unternehmens selber, zu gucken, dass man jetzt die 5700 Leiharbeiter, die natürlich hier den größten Brocken zu schultern haben, dass man hier versucht, neue Beschäftigungsmöglichkeiten auch für sie zu finden.
    Rohde: Aber da gibt es noch nichts Konkretes?
    Westphal: Da gibt es noch nichts Konkretes, aber ich bin mir sicher, dass Stephan Weil und auch Olaf Lies mit ihrer Verantwortung, die sie haben, aber auch Bernd Osterloh als Betriebsratsvorsitzender, da zusehen, dass man für diese Beschäftigten verstärkt noch mal guckt, wo Beschäftigungsoptionen entstehen.
    "Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen"
    Rohde: Das Land Niedersachsen ist ja Anteilseigner. Was hat denn die rot-grüne Landesregierung falsch gemacht, dass dann am Ende doch so viele Arbeitsplätze langfristig verloren gehen?
    Westphal: Ich habe ja gerade gesagt, bei Strukturwandel wird es immer darauf ankommen zu gucken, wie kann man das sozial begleiten. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen bei diesen Veränderungen und das hat ja die Politik von der Seite mit reingebracht. Olaf Lies und Stephan Weil haben ja zumindest von Landesseite her diesen Strukturwandel, den Veränderungsprozess immer positiv begleitet, das ist ja eine Chance für Niedersachsen auch, weil wir nicht nur Stellen abbauen, sondern es ist ja klar gesagt worden, dass Standorte auch gestärkt werden. So gibt es deutlich, was eine Veränderung angeht, ja auch eine Zukunftsoption, es wird eine konsequente Ausrichtung jetzt für Elektromobilität geben, wo Standorte in Niedersachsen von profitieren.
    Rohde: Die Opposition sieht das ein bisschen anders, der ehemalige Wirtschaftsminister, Jörg Bode von der FDP hat nämlich gesagt, dass der Ministerpräsident Stephan Weil eigentlich mal seine Verantwortung übernehmen soll, seiner Verantwortung gerecht werden soll, statt die Entwicklung im Unternehmen einfach wie ein Zaungast zu kommentieren. Wäre es jetzt nicht ratsam an diesem Punkt, dass Stephan Weil sich einfach kritischer positioniert?
    Westphal: Ich bin davon überzeugt, dass er das gemacht hat. Es gibt ja Gremien da im Aufsichtsrat, wo das Land Niedersachsen Einfluss nimmt auch auf die Unternehmensentwicklung. Und wenn wir es jetzt hinbekommen haben, mit dem Zukunftspakt Treiber für Technologien zu sein, wo auch andere sich orientieren … Wir kriegen ja hier wie gesagt in Wolfsburg, in Salzgitter, vielleicht sogar ein Batteriezentrum in Salzgitter hin, auch in Emden wird ein Standort gestärkt. Das sind alles Interessen, wo Niedersachsen profitiert, und da kann man nicht von Versagen von Politik reden.
    Rohde: Aber Stephan Weil, das muss man auch sagen, hat sich im Abgasskandal nicht dazu durchringen können, Volkswagen dazu aufzufordern, seine europäischen Kunden zu entschädigen. Das hat er getan aus Angst davor, dass eben Arbeitsplätze verloren gehen. Damit ist er ja offensichtlich gescheitert. Also, muss man das jetzt nicht auch einfach als Niederlage anerkennen?
    Westphal: Nein, das ist keine Niederlage. Die Landesregierung hat hier klar darauf hingewiesen, dass der Konzern sich ändern muss in der Strategie, in der Ausrichtung. Ich kann mich an kein Statement von Stephan Weil erinnern, wo er das befürwortet hat, was dort passiert ist, sondern eher in so einer Dimension, wie der Konzern da in die Schieflage geraten ist durch die Abgasskandale in den USA, ist auch immer gesagt worden, dass das nicht in Ordnung ist, dass das geändert werden muss, dass man hier stärker sich in die Zukunft ausrichten muss.
    "Man sieht ja, dass deutsche Standorte gerade in Niedersachsen gestärkt werden"
    Rohde: Aber die juristischen Konsequenzen hat er ja trotzdem offengelassen. Also, er hat sich dazu nicht positioniert.
    Westphal: Das ist auch nicht Aufgabe der Politik, das haben Juristen und das haben Gerichte zu klären.
    Rohde: Wenn jetzt Arbeitsplätze verloren gehen langfristig, zeigt das nicht, dass dieses alte VW-Modell vollkommen aus der Zeit gefallen ist, also, dass ein Bundesland eben bei einem wichtigen Unternehmen mitbestimmen kann? Offensichtlich funktioniert das ja nicht.
    Westphal: Das funktioniert hervorragend. Man sieht ja, dass deutsche Standorte gerade in Niedersachsen gestärkt werden, und diese Entwicklung haben andere Unternehmen noch vor sich. Von daher kann man da überhaupt nicht davon reden, dass dieses Modell nicht taugt, sondern ich glaube eher, dieser sozialen Verantwortung, Stellen abzubauen ohne betriebsbedingte Kündigung, keine verbrannte Erde zu hinterlassen, sondern wirklich sozial verantwortlich so etwas zu gestalten … Das muss man erst mal global, international, wo Strukturwandel stattfindet, als Beispiel, als Orientierung noch finden. Ich glaube, dass man hier mit der Beteiligung des Landes eine ganz verantwortungsvolle Politik und Strategie verfolgt.
    Rohde: Verantwortungsvolle Politik: Lassen Sie uns jetzt mal schauen, wie dieser Zukunftspakt dann selbst aussieht. Der CDU-Fraktionschef in Niedersachsen Björn Thümler hat infrage gestellt, ob VW mit diesem Paket wirklich über den Berg ist. Sind Sie sich denn da sicher, dass das wirklich alles so gut laufen wird und auch keine weiteren Arbeitsplätze abgebaut werden?
    Westphal: Das kann man nie genau wissen, wie sich Entwicklungen und Innovationen nachher auf dem Markt und auch in Arbeitsplätzen niederschlagen. Aber dass man sich auf den Weg machen muss, dass man offen ist für Veränderungen … Wissen Sie, die Konservativen stellen sich natürlich dort jetzt hin und werden das kritisieren, das ist ja auch ihr gutes Recht. Ich kann einfach nur sagen, dass das kein Zukunftskonzept ist, nur zu kritisieren. Die Frage ist, wo die Reise hingeht. Und hier sehe ich, dass sich ein Konzern, der sicherlich als großer Tanker es auch schwierig hat, in so einem unsicheren Fahrwasser jetzt den Kurs zu halten … Aber hier kann man zumindest sehen, dass man diese Entwicklungen nicht verpennen will, sondern sich auf den Weg macht. Und andere Industrie, andere Automobilhersteller werden das noch vor sich haben.
    Rohde: Sagt Bernd Westphal von der SPD, er ist Sprecher im Wirtschaftsausschuss des Bundestags. Vielen Dank für das Gespräch!
    Westphal: Gerne, tschüs, Frau Rohde!
    Rohde: Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.