Die Spitze der evangelischen Kirche hat ein Zukunfts-Papier veröffentlicht, formuliert in elf Leitsätzen. In die Medien schaffte es vor allem die Idee, junge Erwachsene mit einem Kirchensteuerrabatt als zahlende Mitglieder zu halten. Aber in dem Papier geht es ums Ganze. Die Kirche habe Relevanz verloren, heißt es, sei in der Defensive, nicht nur in der Coronakrise. Man wolle wieder gehört werden, missionarisch sein, in die Gesellschaft wirken. Besonders strittig im innerevangelischen Diskurs sind die Punkte, die am langweiligsten klingen: "Strukturen" und "Kirchenentwicklung". Das meint die Dreifaltigkeit aus Gemeinde, Pfarrhaus und Gottesdienst. "Fluider und flexibler" müsse die evangelische Kirche werden und das bedeutet auch, sich von dem, was weniger nachgefragt ist, zu trennen. Von Gemeinden, in denen sich seit Jahrzehnten immer dieselben treffen, von Gottesdiensten, die kaum Besucher haben.
Der frühere Pfarrer der Leipziger Thomaskirche Christian Wolff geht in seinem Blog mit diesem Papier hart ins Gericht. "Wichtig ist, dass wir uns der tiefen Krise der Kirche stellen und nicht einfach weitermachen wie bisher", sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die breite Debatte darüber hätte allerdings schon 2017, im Jahr des Reformationsjubiläums, stattfinden müssen. "Damals wurden diese Frage nicht beachtet, das fällt der Kirche jetzt schwer auf die Füße."
"Kirche hat denselben Fehler wie die Sparkasse gemacht"
Zentral ist für den ehemaligen Pfarrer der Thomaskirche das Leben in der Ortsgemeinde. In dem neuen Papier werde gerade diese "ausgedünnt, ausgetrocknet, zerschlagen und zerstört". Die Kirchengemeinden seien der Ort, wo Christsein gelebt und der Glaube gelernt und soziale Verantwortung wahrgenommen werde. In der nebulösen Sprache des Leitlinien-Papiers gerate das Selbstverständliche aus dem Blickfeld. "Kirche geschieht dort, wo sich Menschen versammeln. Dazu braucht es übersichtliche Strukturen."
Die evangelische Kirche habe sich gerade in Ostdeutschland aus der Fläche zurückgezogen. "Die Kirche hat denselben Fehler wie die Sparkasse gemacht und die Infrastruktur im ländlichen Raum ausgedünnt." Auch im digitalen Zeitalter gehe nichts über die personale Begegnung. "Das ist das Pfund, das die Kirche nutzen müsste", so Wolff.
Nach den Erfahrungen mit Ostern 2020 - ein christliches Hochfest ohne Gottesdienste - müsse man darüber nachdenken, wie Weihnachten in der Zeit der Pandemie gestaltet werde. "Es ist wichtig, dass wir mit unserer Botschaft auf die Straße gehen."