Parashkev Nachev führt durch die Räume seines Teams am University College London. Es ist erstaunlich ruhig hier. Nicht nur weil alle konzentriert arbeiten, sondern auch weil die Computer hier nur flüstern. Die Hochleistungsrechner sind Maßanfertigungen. Sonst klänge das hier wie eine Windfarm, sagt Nachev.
Maschinen, um das Gesundheitswesen menschlicher zu machen
Der Professor für Neurologie und sein Team verarbeiten riesige Datenmengen. Sie wollen mithilfe künstlicher Intelligenz die Abläufe in den Krankenhäusern des überstrapazierten NHS verbessern.
"Paradoxerweise geht es nicht darum, Medizin zu mechanisieren, sondern darum, Medizin individueller, persönlicher zu gestalten. Maschinen werden hier genutzt, um das Gesundheitswesen menschlicher zu machen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Englischer Patient - Der Gesundheitsdienst NHS und der Brexit".
Nachev und sein Team arbeiten seit einiger Zeit mit staatlichen Krankenhäusern in London zusammen. Ein neues Buchungssystem soll dabei helfen, die Zahl der Arzttermine zu verringern, die nicht wahrgenommen werden.
"Momentan wird bei der Planung einfach davon ausgegangen, dass 10 bis 20 Prozent der Patienten nicht zu ihren Terminen erscheinen. Aber das ist natürlich sehr ineffizient. So sollte man kein Krankenhaus führen. Zum einen, weil sich so die Behandlung der Patienten verzögert. Und zum anderen, weil so Ressourcen verschwendet werden. Schließlich hätte jemand anderes den Termin nutzen können."
"Menschen wie Individuen behandeln statt wie Vieh"
Das neue System berechnet nicht nur, welche Patienten per SMS oder Anruf an ihren Termin erinnert werden sollten. Es schlägt von vornherein Termine vor, die für den jeweiligen Patienten sinnvoll sind.
"Teenager finden es schwierig, früh aufzustehen. Also sollte man ihnen einen Termin am Nachmittag anbieten und nicht morgens. Wer arbeitet, für den sind Termine zwischen 9 und 17 Uhr schwierig. Und wer aus der Ferne anreist, wird es nicht schaffen, am frühen Morgen da zu sein. Wird diese Intelligenz ins System eingebaut, können Menschen wie Individuen behandelt werden statt wie Vieh."
In Zukunft sollen Projekte wie die von Parashkev Nachev mehr Geld erhalten. Die Boris-Johnson-Regierung hat angekündigt 250 Millionen Pfund in künstliche Intelligenz zu investieren, um den NHS zu modernisieren. Koordiniert werden soll all das von einer neuen Abteilung namens NHSX, erklärt Rachel Hutchings.
Hutchings ist Expertin für Gesundheit und Technologie beim Nuffield Trust. Die gemeinnützige Stiftung hat sich auf die Analsyse des Gesundheitssystems spezialisiert.
"Wenn Technologie richtig eingesetzt wird, kann das Zeit sparen und die Effizienz erhöhen. Auch die Kommunikation kann so verbessert und der Zugang zum Gesundheitsdienst erleichtert werden. Zum Beispiel durch Online-Sprechstunden oder das Buchen von Terminen über Apps."
Technologie ist kein Allheilmittel
Aber die Gesundheitsexpertin weiß auch: Technologie ist kein Allheilmittel für den unterfinanzierten NHS. Vor allem weil die Einführung neuer Technologien im Gesundheitswesen zunächst oft mehr Geld kostet, statt Geld zu sparen.
"Dafür gibt es verschiedene Gründe. Mitarbeiter müssen umlernen oder neue Mitarbeiter eingestellt werden. Diese Anpassungen können dauern. Außerdem ist eine Investition in neue Technologie ja keine einmalige Sache. Einmal eingeführt, müssen die Systeme weiter upgedated und optimiert werden. Kurzfristige Kostenersparniss ist also unwahrscheinlich."
Dazu kommt, dass es vierlorts am Nötigsten fehlt. Spricht Hutchings mit NHS-Mitarbeitern, klagen die oft darüber, dass ihre alten Computer zu lange zum Hochfahren brauchen. Wie der Science-Fiction-Autor William Gibson einmal sagte: Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt.
Bestehen Krankenhäuser eines Tages "zu 30 Prozent aus Supercomputern"?
Nachev klickt durch einen seiner jüngsten Vorträge. Der Neurologe rechnet zum Beispiel damit, dass Gehirnscans bald mit tragbaren Geräten durchgeführt werden können. Er glaubt, wachsende Rechenkraft und smarte Algorithmen werden so die Bildgebung revolutionieren.
"Wenn die Entwicklung abgeschlossen ist, werden Krankenhäuser zu 30 Prozent aus Supercomputern bestehen. Und die restlichen 70 Prozent sind Mediziner. Sachbearbeiter werden null Prozent ausmachen. Das übernehmen Maschinen."
Die Angst vor der Machtübernahme der Maschinen hält Nachev aber für absurde Hysterie. Eine Medizin ohne Menschen, ohne Ärztinnen und Ärzte sei nicht denkbar, sagt der KI-Experte.
"Jeder Patient ist neu. Deswegen werden Menschen immer Teil des Prozesses sein. Es wird in der Medizin keine vollautomatisierten Entscheidungen geben. Da wird immer ein Mensch sein, der mithilfe einer Maschine auf Grundlage der Fakten entscheidet, was mit dem jeweiligen Patienten geschieht. Die Maschine hat nie die Kontrolle."
In Kinos im ganzen Land laufen deswegen gerade wieder Werbefilme für den britischen Gesundheitsdienst. Der NHS sucht händeringend nach medizinischem Personal.