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Standortwettbewerb
Das Ringen um das Zukunftszentrum Deutsche Einheit

Die Stadt Plauen wetteifert gemeinsam mit Frankfurt (Oder), Leipzig und weiteren Orten um das „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“. Schon jetzt zeichnet sich ab: Es wird mehr Verlierer als Gewinner geben.

Von Henry Bernhardt, Alexander Moritz und Christoph Richter |
Musiker des Staatsorchesters spielen auf der Stadtbrücke für Dreharbeiten zum Imagefilm für die Bewerbung der Stadt Frankfurt (Oder) um den Standort des Zukunftszentrums
Musiker des Staatsorchesters spielen auf der Stadtbrücke für Dreharbeiten zum Imagefilm für die Bewerbung der Stadt Frankfurt (Oder) um den Standort des Zukunftszentrums (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
„Wir sind hier an dem wohl europäischsten Ort, den die Bundesrepublik aufbieten kann, aus meiner Sicht. Wir sind an der Stadtbrücke, wo bis vor Kurzem – in Verhältnis von historischen Dimensionen – da oben noch Grenzanlagen waren, wo man nicht so einfach rüber gehen konnte. Das ist jetzt ein Ort geworden, der für Verständigung und Gemeinschaft steht.“
René Wilke von der Linkspartei ist Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder. In Sakko und Jeans gekleidet steht er am einstigen Grenzübergang zwischen Polen und Deutschland. Wie ein riesiger Bogen überspannt die Brücke das gemächlich dahinfließende Wasser. Auf der deutschen Seite der Brücke: eine verwilderte Brache. Genau hier soll – wenn es nach Wilke geht - bald das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ entstehen.
„Und jetzt ist es eine Freifläche, die darauf wartet, in die Zukunft gebracht zu werden.“
René Wilke (Die Linke), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt an der Oder
René Wilke (Die Linke), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt an der Oder (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
Brüche und Verwerfungen der Zeit nach dem Mauerfall soll das "Zukunftszentrum" bald sichtbar machen. Das ist die zentrale Empfehlung der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“. Im Abschlussbericht wurde das festgehalten, seit 2020 liegt er vor. Bürgerrechtlerin Maria Nooke gehörte zu dieser Kommission, sie ist außerdem die Brandenburgische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.
„Also es geht bei dem Transformationszentrum nicht um die Friedliche Revolution, sondern um die Auseinandersetzung mit der Transformationszeit vor dem revolutionären Hintergrund. Neben der gesellschaftsrelevanten Forschung, sowie Kunst und Kultur, muss aus meiner Sicht vor allem dieser Bereich, also der Dialog und die Begegnung zu einem Alleinstellungsmerkmal des Zentrums werden.“

Der Plan: Eine Million Besucher pro Jahr

Die Bundesregierung hat sich dem Wunsch angeschlossen und in Berlin denkt man groß: 200 Mitarbeitende sollen beschäftigt werden. Das Zentrum soll jährlich eine Million Besucher anziehen. Für das Vorhaben will man zunächst etwa 200 Millionen Euro investieren, Ausgaben in Höhe von 40 Millionen Euro sollen Jahr für Jahr hinzukommen.
Der Frankfurter Kommunalpolitiker Wilke hat das Anliegen zur Chefsache gemacht. Er glaubt, den Anforderungen entsprechen zu können. Selbst wenn Frankfurt an der Oder mit Hotelkapazitäten bisher nicht gerade gesegnet ist, für Wilke ist das nicht entscheidend, auch er denkt groß und schon sehr konkret. Ihm schwebt eine architektonische Innovation vor, die international Aufsehen erregt: „Weil Architektur ja auch eine Form von – also ich empfinde es auch als eine Form von Kunst, die auch etwas auf der Gefühlsebene mit Menschen macht. Da sollen ja Menschen hinkommen. Natürlich ist es toll, wenn es spannend ist, wenn darüber gesprochen wird. Die Leute sagen: ‚Mensch, das muss man gesehen haben."
Unterstützt wird die Brandenburger Bewerbung durch die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, alle drei Länder werden von der SPD regiert. Womöglich kein Zufall, auch wenn Parteipolitik bei der Standortentscheidung keine Rolle spielen soll. Für die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey, SPD, ist der mögliche Standort Frankfurt/Oder eine Herzensangelegenheit.
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD)
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD) (dpa/Bernd von Jutrczenka)

„Es ist auch meine Geburtsstadt. Ich habe hier im Lutherstift in Frankfurt das Licht der Welt erblickt, wie man das so schön sagt. Mir ist Frankfurt sehr am Herzen. Frankfurt ist noch nicht fertig. Aber Frankfurt ist auf einem guten Weg.“

Frankfurt (Oder) – eine Stadt, geprägt von Um- und Wegbrüchen

Heute leben in der Oderstadt etwa 57.000 Menschen, etwa so viel wie 1890. In den 1980er-Jahren waren es noch knapp 90.000. Die Stadt ist geprägt von Um- und Wegbrüchen.
In den letzten 30 Jahren hat Frankfurt/Oder Tausende Industriearbeitsplätze verloren. Hier befand sich zu DDR-Zeiten ein Halbleiterwerk, später sollte eine Chip-Fabrik entstehen - gescheitert. Auch der Traum einer Solar-Stadt ist zerbrochen.
Mit der europäisch ausgerichteten Viadrina-Universität, dem Kleistmuseum – Frankfurt ist die Geburtsstadt des Dichters – und dem neuen Kunstmuseum entstehe jetzt etwas in der Stadt, sagt Wilke. Im neuen Museum soll ein Teil der weltgrößten Sammlung von Kunst aus der DDR präsentiert werden. Noch in den 90er-Jahren wurde Frankfurt/Oder durch rechte Gewalt erschüttert, davon habe sich die Stadt erholt, meint der Oberbürgermeister. Ein Zukunftszentrum werde zeigen wie weltoffen sie mittlerweile ist.
Kritiker dieser Idee trifft man weder in der Stadt selbst, noch im Land Brandenburg, anderswo aber schon: „Frankfurt/Oder – kein Professor wird dort über Nacht bleiben. Ich habe mir mal die Bewerbungsunterlagen von Frankfurt angeguckt. Sie werben damit: In 50 Minuten seid ihr wieder in Berlin. Kommt zu uns übern Tag und fahrt zum Schlafen nach Hause. Ist doch schade!“, so der Leipziger Siegbert Schefke über die Bewerbung aus Brandenburg. Er filmte am 9. Oktober 1989 von einem Kirchturm aus, wie zehntausende Demonstranten über den Leipziger Ring zogen. Die heimlich gedrehten Bilder liefen tags darauf im Westfernsehen und gaben der Revolution weiteren Zulauf. Wegen der historischen Bedeutung der Montagsdemonstrationen müsse das geplante Zukunftszentrum für Deutsche Einheit auf jeden Fall nach Leipzig, für Schefke steht das fest.
Vier ostdeutsche Städte und ein Städteduo bewerben sich als Standort. Mühlhausen und Sonneberg in Thüringen waren schon bei der ersten Sichtung der Bewerbungsunterlagen aussortiert worden. Zu den Kandidaten gehören neben Frankfurt/Oder, Halle in Sachsen-Anhalt sowie Eisenach und Jena in Thüringen. Außerdem gehen in Sachsen Leipzig und Plauen gemeinsam an den Start.

Die Kooperation von Plauen und Leipzig

Ein ungleiches Duo: Leipzig war in den vergangenen Jahren die deutschlandweit am stärksten wachsende Großstadt, inzwischen leben hier wieder 621.000 Menschen – viele davon sind aus dem Westen zugezogen. Es gibt ein enges Netz aus Wissenschafts- und Kultureinrichtungen, die Universität, mehrere Hochschulen und Forschungsinstitute. Vor den Toren der Stadt soll zudem ein Großforschungszentrum für Chemie entstehen, finanziert aus Fördergeldern für den Braunkohleausstieg. Leipzig ist eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte.
Plauen mit weniger als 64.000 Einwohnern leidet dagegen noch immer unter den Folgen von De-Industrialisierung, Abwanderung und Überalterung. In der Stadt gibt es eine starke rechtsextreme Szene. Oberbürgermeister Steffen Zenner, CDU, zu seiner Rolle als Juniorpartner: „Wir können mit dieser Tandembewerbung unterschiedliche Erlebensweisen in einem Zukunftszentrum darstellen. Deshalb wollen wir die Transformationsprozesse einer Großstadt und einer Stadt im ländlichen Raum miteinander verweben.“
Die gemeinsame Bewerbung hat Kalkül: In Leipzig wäre das Zukunftszentrum nur eine Einrichtung unter vielen. Plauen dagegen könnte dadurch einen spürbaren Wandel erleben. Ohne die internationale Bedeutung der Messestadt Leipzig aber hätte das ländlich gelegene Plauen wohl keine Chance.
Und noch eine Idee soll die sächsische Bewerbung nach vorne bringen: Das Zukunftszentrum soll auch auf die Schiene.
Anfang September am Leipziger Hauptbahnhof. Auf Gleis 12 ist ein grauer Regionalzugtriebwagen eingefahren, umdekoriert zum sogenannten „Zukunftszug“. Zur Probefahrt drängen sich Vertreter aus Lokalpolitik, Kultur und Wissenschaft auf den gepolsterten Sitzen. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, SPD, schwärmt vom Zug als Symbol der Einheit: „Aus den Erfahrungen von 1989 - dass man eine Welt verändern kann - möchten wir hier im Zug heute darüber diskutieren, wie wir die Welt in Zukunft verändern können, was auf uns zukommt.“
Der Zug soll ein Diskursort auf Rädern und Schienen werden. Die Waggons sollen Platz bieten für eine Ausstellung, Arbeitsräume für wissenschaftliche Workshops, Theater und ein Aufnahmestudio, in dem Zeitzeugen über ihre Erfahrungen der Nachwendezeit berichten können. Ausgearbeitet hat die Idee René Reinhardt, ein Leipziger Kulturmanager.
„Es geht darum, ins Land zu kommen. Auch an Orte zu kommen, die gar keine Kultureinrichtungen mehr haben oder keinen Bahnhof mehr haben. Wir holen die Leute dann gerne ab. Wir wollen aber auch die aus Frankfurt am Main abholen, die vielleicht noch nie in Ostdeutschland waren. Also dieser Zukunftszug kann eben auch in die andere Richtung fahren, Richtung Westen, um die Leute mit dem Osten in Berührung zu bringen.“
Den idealen Ausgangsbahnhof dafür biete das zentral gelegene Sachsen. Von hier sei die Friedliche Revolution schließlich ausgegangen, daran erinnert auch der Oberbürgermeister von Plauen.
In der Tat fand die erste wirkliche Massendemonstration im Herbst 1989 in dieser Stadt statt – schon zwei Tage vor der großen Leipziger Montagsdemonstration. Die meisten anderen Mitbewerberstädte haben dagegen nur eine untergeordnete Rolle gespielt – auch Frankfurt an der Oder: „Viele haben sich die Augen gerieben und haben gesagt: Naja, ist das wirklich der Ort, an dem die Friedliche Revolution begonnen hat? Ist das der Ort, an dem man Deutsche Einheit und Europäische Transformation sehen kann? Wird da nicht ein Stück weit Geschichte umgeschrieben?“
Mit diesen rhetorischen Fragen unterstreicht der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, den Anspruch seines Landes auf die Revolutionsgeschichte. In der CDU-geführten sächsischen Staatskanzlei mutmaßt man, mit dem Einheitszentrum wolle die SPD Fördermittel in das von ihr regierte Brandenburg lotsen. Frankfurt/Oder stehe als Standort schon fest.

Jury soll finale Entscheidung treffen

Dem widerspricht Carsten Schneider, SPD, der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Bei ihm liegt die Federführung für das Zukunftszentrum. Den am besten geeigneten Standort soll eine Jury ermitteln, in der Fachleute aus allen Ostländern vertreten sind – darunter unter anderem die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler, die Soziologen Steffen Mau und Raj Kollmorgen und der deutsch-polnische Kulturmanager Basil Kerski.
„Die Jury ist wirklich vollkommen unabhängig besetzt und die werden eine sehr souveräne Entscheidung treffen. Und ich werde mir die dann zu eigen machen“, so Carsten Schneider. Sollte Sachsen den Zuschlag bekommen, plant Plauen einen Neubau im Stadtzentrum. Auch hier soll es Dialogangebote geben, Raum für künstlerische Auseinandersetzung mit der Transformationszeit und auch ein wissenschaftliches Zentrum als Außenstelle der Universität Leipzig.
Leipzig stellt ein Areal in der Innenstadt zur Verfügung: Hier stehen die Gebäude der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung. In den 90ern war darin das Arbeitsamt untergebracht, wo zehntausende Industriearbeiter nach der Abwicklung ihrer Betriebe plötzlich staatliche Hilfe beantragen mussten. Bis vor einigen Jahren war in einem Teil des Gebäudes eine Disco, andere werden als Archiv genutzt. Hinter den grauen Betonfassaden sammelten also viele Menschen reichlich Transformationserfahrungen.

Für Jena könnte das Zukunftszentrum ein prägender Ort werden

Auch Jena hat eine große, weite Fläche inmitten der Stadt zu vergeben, den Eichplatz. Ein „Un-Ort“ bislang, so groß wie anderthalb Fußballfelder, vollgeparkt mit Autos. Dahinter ragt ein Hochhaus, der „Jentower“, 144 Meter in den Jenaer Himmel.
Früher war der Platz viel kleiner; die Bomben des Zweiten Weltkriegs und der Machbarkeitswahn des Sozialismus haben ihn erst so ausufern lassen. Seit 30 Jahren wird diskutiert, was mit dem Eichplatz geschehen soll, wie er bebaut werden könnte, erläutert Christian Gerlitz, Bürgermeister und Dezernent für Stadtentwicklung.
„Es ist tatsächlich so, dass das Eichplatz-Areal hier das letzte Filetstück ist, was wir tatsächlich hier noch entwickeln können. Und umso mehr freut es mich, dass wir so einen großen Konsens im Stadtrat und in der Bürgerschaft haben, dass das Zukunftszentrum genau das wäre, was die Innenstadt, was Jena vervollständigen würde.“
Blick auf die Innenstadt in Jena/Thüringen
Blick auf die Innenstadt in Jena/Thüringen (picture alliance/dpa/Arne Immanuel Bänsch)
Ein zentraler, ein prägender Ort könnte das Zukunftszentrum für Jena werden. Sichtbar, in einer stark frequentierten Umgebung, in unmittelbarer Nähe von Universität, ICE-Bahnhof, Autobahn. Die Bürger sind an der Neuplanung des Eichplatzes beteiligt.
„Wir haben darüber diskutiert, ob es wirklich auch der Wunsch aus der Bürgerschaft ist, das Zukunftszentrum hier zu etablieren, und müssen ganz klar sagen: Ja, unbedingt. Und wir sind uns in der Eichplatz-Werkstatt sicher, dass wir mit dem Zukunftszentrum genau diese Offenheit, genau diesen öffentlichen Ort an dem Eichplatz noch haben können, den wir uns hier wünschen.“
Genug Platz wäre also für das 200 Millionen-Bauwerk, das sich der SPD-Politiker Matthias Platzeck, der auch in der Jury zur Vergabe des Zukunftszentrums sitzt, seit Jahren erträumt. „Dieses Symbol soll eine Architektursprache haben, die sich mindestens am Guggenheim in Bilbao oder am Freiheitsmuseum in Danzig messen kann.“
Der Eichplatz in Jena wurde als Aufmarschplatz für staatstragende Veranstaltungen erschaffen. 1978 begrüßten hier 100.000 Menschen den ersten Deutschen im All, Sigmund Jähn. Seitdem hieß er Platz der Kosmonauten. In den frühen 80er-Jahren versammelten sich hier aber auch Ausreisewillige zu stummen Protesten, die Jenaer Friedensbewegung demonstrierte mit Plakaten. Die wurden den Oppositionellen binnen Minuten entrissen und zerstört, wie sich der Maler und Steinmetz Frank Rub erinnert.
„Dieses berühmteste „Schwerter zu Pflugscharen“, aber auch sozialer Friedensdienst, kein Kriegsspielzeug. Wir waren ja die Hanseln, die sogar noch diese Zone, diese DDR erhalten wollten. Wir wollten sie nur besser machen. Ja, wir wollten kein Aufmarschgebiet sein für die Raketen oder kein Kriegsschauplatz werden und wollten frei entscheiden, ob wir unsere Kinder in die militärische Ausbildung geben.“
Und obwohl die meisten Protagonisten der Jenaer Friedensbewegung schikaniert, kriminalisiert, inhaftiert, und später in den Westen gedrängt wurden, fanden sie Nachahmer und bildeten eine der Keimzellen der Revolution von 1989.
In der Jenaer Bewerbung um das Zukunftszentrum soll sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen, sagt der Oberbürgermeister Thomas Nitzsche, FDP. „Es spielt eine Rolle, aber wir wollen ganz bewusst den Blick nicht nur zurück in die Vergangenheit, richten. (Das) ist eine Facette. Aber genauso, wie wir jetzt nicht ewig die Transformation der Ansiedlung der Universität oder ewig die Story „Zeiss-Abbe-Schott“ erzählen, ist auch die Wendezeit und Vorwendezeit eine Facette, aber eben nicht die einzige. Denn das heißt ja nicht „Vergangenheitszentrum“. Ist ja ein Zukunftszentrum“ … aber eben auch ein Zentrum für Transformation. Damit kenne man sich aus in Jena, meint Nitzsche, im Guten wie im Schlechten.
„Wir haben hier in den frühen-späten 90er-Jahren dieses Trio gesehen, das NSU, die mordend durch die Republik gezogen sind und ganz klar eine Schattenseite von Transformationsprozessen darstellen. Wir haben gesehen, wie unmittelbar nach der Wende 90/91, Zehntausende Zeissianer arbeitslos auf der Straße standen, aber eben auch sehr schnell wieder neue Anstellung gefunden haben in Unternehmen wie Jenoptik, die neu gegründet worden sind und wieder Ausgründungen wachsen.“

Auch Eisenach ist noch im Rennen

Aber auch andernorts in Thüringen macht man sich noch Hoffnung auf den Zuschlag. Eisenach ist noch im Rennen, zur Verblüffung vieler, verlangt doch die Ausschreibung die Unterstützung des jeweiligen Bundeslandes – und Thüringen hatte sich für Jena entschieden. Eisenach aber, nicht weit von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt, sei durchaus geeignet, meint Christiane Kuller. Die Historikerin von der Universität Erfurt koordiniert das Wissenschaftsteam der Eisenacher Bewerbung.
„Vor allem ging es ja darum, einen Standort zu finden und eine Stadt zu finden, die eine Transformationsgeschichte selber hat, und zwar auch eine schmerzliche Transformationsgeschichte. Und eine solche Stadt ist Eisenach ohne Zweifel. Eisenach liegt zudem in der Mitte von Deutschland und auch ungefähr in der Mitte von Europa, hat daher auch so eine Art Brückenfunktion zwischen West und Ost.“
Die sozialwissenschaftliche Expertise sollte dann vor allem die 70 Kilometer entfernte Universität Erfurt beisteuern. Die Auswahlkommission hat kurz vor Weihnachten Eisenach als ersten der Kandidaten besucht und soll positiv überrascht gewesen sein. Wie in den anderen Bewerberstädten, kennt man auch hier in Thüringen die Konzepte der Konkurrenten.
Exponierte Grenzlage oder Standort in der vermeintlichen Mitte Deutschlands, Brückenfunktionen, historische Plätze, Revolutions- und Transformationsgeschichte: Frankfurt an der Oder, Halle, Eisenach, Jena und auch das Duo Leipzig und Plauen – alle Bewerberstädte hätten dem Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Integration etwas zu bieten. Welche Rolle die Eignung, die Qualität des Konzepts, politische- oder gar parteipolitische Erwägungen tatsächlich spielen werden, dürfte auch nach der Entscheidung eine Frage von Spekulation bleiben. Und welcher Standort am Ende den Zuschlag bekommt, darauf mag derzeit niemand wetten. Anfang Februar – so der Zeitplan – soll die Jury entscheiden. Daran schließt sich ein Architektur-Wettbewerb an.
2028 – also in fünf Jahren - soll das Zukunftszentrum dann in voller Pracht wirken. Bis dahin wird es aber noch ein weiter Weg sein.