Uljanowsk, eine Industriestadt mit rund 600.000 Einwohnern an der Wolga. Hier werden russische Autos und russische Flugzeuge hergestellt. Vor allem aber ist die Stadt für ihren berühmten Sohn bekannt, dessen Namen sie trägt: Wladimir Iljitsch Uljanow, Kampfname Lenin: Marxistischer Theoretiker, Revolutionär, Gründer der Sowjetunion, des größten Staates der Erde, der den Menschen eine helle Zukunft versprach, aber Gewalt und Unterdrückung brachte und nach 70 Jahren im Chaos versank. Am 22. April 2020 ist Lenins 150. Geburtstag. Als er 1870 in eine Akademikerfamilie hineingeboren wurde, hieß der Ort noch Simbirsk.
Am Ufer der Wolga steht die Lenin-Gedenkstätte. Ein quaderförmiges Betongebäude, eröffnet 1970 zum 100. Geburtstag des Arbeiterführers. Im Ausstellungssaal reihen sich Statuen aneinander: Lenin stehend auf einem Panzer, Lenin schreibend über ein Heft gebeugt, Lenin mit Schirmmütze, Lenin, wie er zum Volk spricht. Der Teppich, die Transparente, die Hintergründe der Vitrinen – alles ist rot. Ein gewaltiges Relief an der Wand zeigt Arbeiter, Soldaten, gereckte Fäuste.
Jurij Afonin kommt jedes Jahr nach Uljanowsk, um die Lenin-Gedenkstätte zu besuchen. Er ist 43 Jahre alt, stammt aus Tula, einer Stadt rund 200 Kilometer südlich von Moskau, und sitzt für die Kommunistische Partei Russlands, die KPRF, in der Staatsduma.
"Unsere Partei ist leninistisch-marxistisch. Lenin war einer der größten Politiker nicht nur des 20. Jahrhunderts, sondern der gesamten Weltgeschichte", sagt Afonin.
Die KPRF ist unmittelbar aus der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der KPdSU, hervorgegangen. Fast siebzig Jahre hatte die KPdSU allein regiert. Sie hat sich nach dem Ende der Sowjetunion lediglich umbenannt. In den Regionen Russlands verfügt die Partei noch aus Sowjetzeiten über gut funktionierende Strukturen. In Uljanowsk errang sie bei der Regionalwahl 2018 sogar die Mehrheit.
Kommunisten in der Opposition
In der Staatsduma dagegen sind die Kommunisten seit Gründung des unabhängigen Russlands in der Opposition. Sie stimmen aber in vielen wichtigen Fragen mit der Regierung. Die Programmatik Lenins scheint demnach zu verblassen, auch wenn die kommunistischen Funktionäre anderes behaupten. In der Gedenkstätte in Uljanowsk spricht Lenin auf Knopfdruck selbst. "Was heißt Sowjetmacht?" ist eine der wenigen erhaltenen Tonaufnahmen Lenins. Er war kein guter Redner, sprach fahrig, konnte das "r" nicht richtig aussprechen.
Dass er die Massen trotzdem begeistern konnte, lag an seinen Ideen, sagt der kommunistische Duma-Abgeordnete Juri Afonin: "Lenin gab Losungen aus, die jedem Bewohner des Landes nahe waren. 'Die Fabriken den Arbeitern, Boden den Bauern, Frieden den Völkern, alle Macht den Räten.' Lenin hat, indem er den Sowjetstaat gründete, die Weltordnung verändert. Sogar viele kapitalistische Staaten waren nach der 'großen sozialistischen Oktoberrevolution' gezwungen, auch bei sich soziale Veränderungen vorzunehmen, um Revolutionen zu verhindern."
Die russische Regierung betrachtet Lenin dagegen äußerst kritisch. Präsident Wladimir Putin, seit dem Jahr 2000 an der Macht, will Russland wieder zu einer Großmacht machen. Er beruft sich auf eine "tausendjährige Geschichte" des Staates, die er als eine Abfolge von Siegen darstellt. Brüche kommen darin nicht vor. Revolutionen stellen in Putins Weltbild ein Übel dar. Dementsprechend hat Putin Lenin bei verschiedenen offiziellen Veranstaltungen scharf kritisiert, so zum Beispiel 2016: "Er hat eine Atombombe unter ein Gebäude namens Russland gelegt. Später ist sie explodiert. Die Revolution war überflüssig."
Putin präzisierte später, was er damit meinte: Lenin habe die staatliche Einheit der Sowjetunion auf dem Gewissen: "Lenin war dafür, den Sowjetstaat auf der Basis vollständiger Gleichberechtigung zu bauen, mit dem Recht der Regionen, aus der Sowjetunion wieder auszutreten. Das war eine Zeitbombe unter dem Gebäude unserer Staatlichkeit." Putin macht Lenin dafür verantwortlich, dass die Sowjetunion 70 Jahre nach der Gründung auseinanderbrach.
Stalin – ein Gestalter, Lenin – ein Zerstörer
Anstelle Lenins erlebt dessen Nachfolger heute in Russland ein Comeback: Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin. Für Putin ist er derjenige, der das Riesenreich Sowjetunion einte und mit starker Hand zum Sieg im Zweiten Weltkrieg führte. Stalins grauenhafter Terror gegen das eigene Volk wird heute zwar auch offiziell erwähnt, aber überlagert vom Bild des starken Führers, der die Industrialisierung vorantrieb.
Stalin – ein Gestalter, Lenin – ein Zerstörer. Der kommunistische Duma-Abgeordnete Juri Afonin hält dagegen: "Der Bürgerkrieg war noch nicht zu Ende, da wurden schon Sanatorien und Kurorte gebaut und große wissenschaftliche Institute gegründet. Lenin hat in die Zukunft der Raumfahrt investiert und die Grundlagen für Gagarins Flug ins All gelegt. Er hat verstanden, dass man nicht nur an den Moment, sondern an die Zukunft denken muss. Lenin war ein großer Führer, wirklich."
Das Gedenken an Lenin war von Anfang an propagandistisch verzerrt. Der Revolutionsführer starb bereits 1924 im Alter von 53 Jahren, vermutlich an heftigen Durchblutungsstörungen oder an einem Schlaganfall. Die genaue Todesursache wurde den Bürgern vorenthalten.
Anstatt seinen Leichnam beizusetzen, ließ ihn das Politbüro einbalsamieren und in einem eigens zu diesem Zweck errichteten Mausoleum auf dem Roten Platz ausstellen – gegen den Willen von Lenins Witwe Nadjeschda Krupskaja. Der britische Lenin-Biograph Robert Service schreibt, die bolschewistische Führung habe damals verkündet, "dass Fabrikarbeiter an die Behörden geschrieben und um Konservierung und Ausstellung Lenins gebeten hätten. Das war eine eklatante, politisch motivierte Fälschung: Die Idee zu dem Mausoleum kam nicht von den Fabrikarbeitern, sondern aus dem Politbüro selbst. Und sein eifrigster Fürsprecher im Politbüro war niemand anderer als Iosif Stalin. Er war überzeugt, dass der im Mausoleum ausgestellte Leichnam zu einem Objekt von einheitsstiftender Bedeutsamkeit für alle Bürger der UdSSR und für die Anhänger des Kommunismus auf der ganzen Erde werden würde."
Die Bolschewiki richteten eine Stiftung ein, um in Städten und Dörfern Lenin-Denkmäler zu errichten. Im ganzen Land wurden Straßen und Plätze nach ihm benannt. Aus Petrograd, dem Schauplatz der Oktoberrevolution, wurde Leningrad. Fachleute sichteten Lenins Schriften und brachten sie in hunderttausenden Exemplaren auf den Markt. Seine Sympathien für den Terror als politisches Mittel fielen der Zensur zum Opfer.
Die Bolschewiki richteten eine Stiftung ein, um in Städten und Dörfern Lenin-Denkmäler zu errichten. Im ganzen Land wurden Straßen und Plätze nach ihm benannt. Aus Petrograd, dem Schauplatz der Oktoberrevolution, wurde Leningrad. Fachleute sichteten Lenins Schriften und brachten sie in hunderttausenden Exemplaren auf den Markt. Seine Sympathien für den Terror als politisches Mittel fielen der Zensur zum Opfer.
Dass weite Teile der Umbrüche des Jahres 1917 ohne Lenins Zutun stattfanden, wurde gleichfalls vernachlässigt. Der Zar, Nikolaus II., hatte bereits im Februar nach Arbeiter- und Soldatenprotesten abgedankt. Lenin war da noch im Exil in der Schweiz. Noch im Sommer 1917 protestieren Soldaten, Matrosen und Arbeiter ohne ihn. Erst als die Bolschewiki im Oktober die liberale Übergangsregierung stürzten, war Lenin dabei. Dass ein Teil von Lenins Vorfahren nicht russisch und auch keine Arbeiter oder Bauern waren, fiel ebenso unter den Tisch wie Lenins jahrelange außereheliche Affäre mit der Revolutionärin Inessa Armand.
Der Biograph Robert Service formuliert es so: "Lenin sollte nicht nur als heroische Gestalt in der Geschichte des Bolschewismus und des Weltkommunismus dargestellt werden. Er sollte auch den mythischen Status eines allwissenden revolutionären Heiligen genießen. Sein Genie als Parteiführer, Regierungschef, Stratege und Staatsmann von Weltformat war zu bejubeln. Seine Menschlichkeit als Genosse, Ehemann und Marxist war in den höchsten Tönen zu preisen."
Der Biograph Robert Service formuliert es so: "Lenin sollte nicht nur als heroische Gestalt in der Geschichte des Bolschewismus und des Weltkommunismus dargestellt werden. Er sollte auch den mythischen Status eines allwissenden revolutionären Heiligen genießen. Sein Genie als Parteiführer, Regierungschef, Stratege und Staatsmann von Weltformat war zu bejubeln. Seine Menschlichkeit als Genosse, Ehemann und Marxist war in den höchsten Tönen zu preisen."
Im Nachhinein zum Anführer der Massen stilisiert
Lenin wurde also im Nachhinein zum Anführer der Massen stilisiert. Kinder waren dieser Propaganda von klein auf ausgesetzt. Bereits 1918 hatten die Kommunisten eine Jugendorganisation gegründet, den Komsomol. Ab 1922 hieß er "leninistischer" Jugendbund. Bald kamen die "Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin" für die Zehn- bis 15-Jährigen dazu und die "Oktoberkinder" für Sieben- bis Neunjährige.
Das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz war der Höhepunkt der Verklärung. Zu Sowjetzeiten kamen jedes Jahr bis zu 2,5 Millionen Besucher. Das Mausoleum ist an fünf Tagen der Woche von zehn bis 13 Uhr geöffnet. Die Schlange ist mehrere hundert Meter lang, die Vorschriften für Besucher sind streng. Taschen, Mobiltelefone, Kameras, Aufnahmegeräte müssen abgegeben werden. Nach einer Sicherheitskontrolle geht es hinter Sperrgittern die Kremlmauer entlang. Am Eingang ins Mausoleum wacht ein Soldat mit einer großen platten Mütze und ernstem Blick. Männer müssen ihre Kopfbedeckung abnehmen. Nicht reden, nicht nebeneinander gehen, nicht stehenbleiben. Der Soldat weist mit der Hand nach links.
Ein paar Stufen führen hinunter. Es ist schummrig und kühl. Der nächste Soldat weist nach rechts. Nicht stehenbleiben! Dann der Sarg, hinter Glas. Lenin ist indirekt ausgeleuchtet: Spitzbart, Anzug, Krawatte, wächserner Teint. Zum genaueren Hinsehen bleibt keine Zeit, denn der nächste Soldat weist bereits den Weg nach draußen.
Svetlana Müller war nie im Lenin-Mausoleum. Sie wurde 1974 in Leningrad geboren. Heute leitet sie Panda Platforma, einen Treffpunkt für osteuropäische Kultur in Berlin. In der Familie in Leningrad lasen sie verbotene Literatur. Doch in der Schule und bei den Pionieren kam das Mädchen um die sowjetische Propaganda nicht herum.
"In meiner Kindheit war mein Bild von Lenin sehr rosig. Er wurde nicht angebetet, aber es fehlte nicht viel dazu. Und während zuhause über Stalin schlecht geredet wurde, war das in Bezug auf Lenin sehr lange nicht der Fall. Vielleicht hing das damit zusammen, dass die Archive geschlossen waren. Ich habe erst viel später erfahren, was in den Zwanziger Jahren passiert ist. Vom bolschewistischen Terror wusste ich damals nur sehr wenig. Lenin galt als eine Art Gegensatz zu Stalin. In der Art: Wenn Lenin am Leben geblieben wäre, wäre all das nicht passiert", sagt Müller.
Terror gegen die Bevölkerung angeordnet
Und so grub sich das Bild vom guten Lenin immer tiefer in das Bewusstsein ein. "Ich kenne alle möglichen Lieder, zum Beispiel über den jungen Lenin", sagt Müller. Sie stimmt eines an - und muss etwas lachen. Gelacht wurde früher über Lenin allenfalls heimlich, erinnert sich Svetlana Müller und erzählt einen Lenin-Witz aus ihrer Kindheit: "Beim Arbeitseinsatz Subbotnik wurden immer Bilder von Lenin gezeigt, wie er einen Balken trägt. Also: Es ist Subbotnik, Journalisten kommen, und Lenin rennt los und schreit: Genossen, Genossen, ich habe meinen aufblasbaren Balken vergessen! Als Kind fand ich das unheimlich komisch. Es war natürlich extrem freidenkerisch und unverantwortlich, so etwas einer Zehnjährigen zu erzählen. Für den Witz hätte man ins Gefängnis kommen können."
Das änderte sich mit der Perestrojka, dem Umbau des Sowjetsystems. Michail Gorbatschow, 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt, wollte das Land modernisieren. Er ließ Meinungsfreiheit zu. Zum ersten Mal konnten sich sowjetische Historiker halbwegs frei und kritisch mit der Geschichte ihres Staates beschäftigen. Sie fanden Quellen, die belegten, dass Lenins Bolschewiki Terror gegen die Bevölkerung angeordnet hatten. Und sie hatten auf einmal den Mut frei auszusprechen, was sie wirklich über die Oktoberrevolution wussten.
"Hier ist das Erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, UdSSR, existiert seit heute 18 Uhr auch völkerrechtlich nicht mehr", berichtete am 25. Dezember 1991 die Tagesschau. An diesem Tag wurde aus der Russischen Teilrepublik ein neuer Staat, die Russische Föderation. An ihrer Spitze Präsident Boris Jelzin.
Jelzin hatte nicht nur die Auflösung der Sowjetunion vorangetrieben. Er versuchte insgesamt mit dem Kommunismus und mit Lenins Erbe aufzuräumen, stieß dabei aber an Grenzen. Per Erlass verbot er die Kommunistische Partei. Ein Gericht hob das Verbot wieder auf. Die Stadt Leningrad bekam ihren historischen Namen St. Petersburg zurück. Um auch das umliegende Gebiet umzubenennen, reichte der Schwung schon nicht mehr. Das Verwaltungsgebiet heißt bis heute Leningradskaja Oblast.
Straßen und Plätze tragen weiter Lenins Namen – weil die Bewohner das so wollen
Während die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Lenin-Denkmäler in den 90er Jahren entfernt haben, stehen in Russland, laut einer Zählung der BBC aus dem Jahr 2017, noch sage und schreibe 2.771 Stück. Auch Straßen und Plätze tragen weiter Lenins Namen – weil die Bewohner das so wollen, sagt der kommunistische Duma-Abgeordnete Juri Afonin: "Ich war neulich in der Provinz unterwegs, da gibt es eine Kommunistische Straße. Es gab den Versuch, sie umzubenennen. Die Bevölkerung hat sich jedoch dagegen gewehrt. Und nun heißt die erste Hälfte weiterhin Kommunistische Straße, dann kommt eine Kirche, und die zweite Hälfte heißt Kirchenstraße. So wie sie vor der Revolution hieß. Da hat die Regierung einen klugen Ausweg gefunden."
Weiterhin will die russische Führung niemanden verprellen. Das gilt auch für den Umgang mit dem Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz. Bereits Boris Jelzin ordnete an, den Leichnam des Revolutionsführers zu bestatten – und schreckte dann doch davor zurück, aus Rücksicht auf die sowjetisch geprägten Wähler. Bis heute kocht die Diskussion immer wieder hoch.
Weiterhin will die russische Führung niemanden verprellen. Das gilt auch für den Umgang mit dem Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz. Bereits Boris Jelzin ordnete an, den Leichnam des Revolutionsführers zu bestatten – und schreckte dann doch davor zurück, aus Rücksicht auf die sowjetisch geprägten Wähler. Bis heute kocht die Diskussion immer wieder hoch.
2017 sprach sich erstmals eine Mehrheit der Russen dafür aus, den Revolutionsführer der Erde zu übergeben. Das fand das Lewada-Zentrum heraus, ein unabhängiges russisches Meinungsforschungszentrum. Doch die Eliten zögern. Wladimir Medinskij, bis vor kurzem Kulturminister unter Putin, begründete das im Gespräch mit der staatlichen russischen Agentur Ria Nowosti so: "Ich habe als Mitglied der Regierung nicht das Recht eine persönliche Meinung zu äußern, die die Gesellschaft spalten kann. Als hätten wir nicht genügend andere Probleme im Land."
Ganz ähnlich äußert sich die russisch-orthodoxe Kirche. In der Sowjetunion wurde sie verfolgt. Nach deren Ende hat sie sich zu einer einflussreichen moralischen Instanz entwickelt und ist meist loyal zur Staatsführung. Mitropolit Hilarion, der Chef der Abteilung für Außenbeziehungen der russisch-orthodoxen Kirche, sagte dem russischen Staatssender Rossija-24: "Ein Mausoleum und ein mumifizierter Körper sind ein Relikt der Vergangenheit, von dem man sich längst hätte verabschieden müssen."
Eine Frage der Zeit
Doch nicht mal er fordert, Lenins Leichnam zu bestatten: "Niemand hat ein Interesse daran alte Wunden aufzubrechen, unsere Gesellschaft aufzurütteln, eine Spaltung zu provozieren. Man hätte das sofort machen müssen. So aber müssen wir warten, bis in der Gesellschaft Einigkeit zu dieser Frage besteht."
Das alles entspricht der Haltung von Präsident Putin, der das Land zunehmend autokratisch regiert und gesellschaftspolitische Debatten oft im Keim ersticken lässt. Er setzte 2019 einen vorläufigen Schlusspunkt unter die Debatte um das Lenin-Mausoleum: "Was den Körper oder den Nicht-Körper betrifft: Meiner Ansicht nach sollte man ihn nicht anrühren, jedenfalls nicht, solange es Menschen gibt, und wir haben sehr viele davon, die ihr Leben und bestimmte Errungenschaften der sowjetischen Jahre mit ihm verbinden. Die Sowjetunion ist zweifellos mit dem Führer des internationalen Proletariats, Wladimir Iljitsch Lenin, verbunden. Warum also sollte man daran rühren? Wir sollten besser nach vorn schauen."
Umfragen des Lewada-Zentrums zeigen, dass die Zahl derer, die Lenin insgesamt positiv sehen, zwischen 2001 und 2017 von 60 auf 44 Prozent der Befragten gesunken ist. Einem Drittel war Lenin zuletzt schlichtweg egal. Ebenso viele waren davon überzeugt, dass sich in 40 bis 50 Jahren außer Historikern niemand mehr an Lenin erinnern werde. Es ist eine Frage der Zeit, bis der Mythos vom Revolutionär Lenin, vom Gründer des größten Staates der Erde, auch in Russland verblasst. Die offiziellen Feiern zu seinem 150. Geburtstag, die vor allem die Kommunisten geplant hatten, sind nun auch noch, bedingt durch die Corona-Krise, verschoben.