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Zum 25. Todestag von Heiner Müller
Arbeiter im Steinbruch der Literatur

Auch international gilt Heiner Müller als wohl bekanntester ostdeutscher Dramatiker. Dabei verstand er es, zwischen Ost und West zu oszillieren. Hier wie dort wühlte er in den Trümmern der Kultur, um Neues - etwa seine "Hamletmaschine" - daraus zu bauen. Am 30. Dezember 1995 starb Müller mit 66 Jahren.

Von Cornelie Ueding |
    Heiner Müller lacht
    Heiner Müller als Regisseur während einer Produktion (imago images / Gueffroy)
    "‘Der Druck der Erfahrung treibt die Sprache in die Dichtung‘ – das heißt, man schreibt einfach besser, wenn der Erfahrungsdruck höher ist."
    1992, kurz nach der Wende, als der Dramatiker und Regisseur Heiner Müller diese Erfahrung T.S. Eliots für sich in Anspruch nahm, galt er in der öffentlichen Wahrnehmung noch überwiegend als ideologischer Hardliner. Noch als er am 30. Dezember 1995 starb, hielten ihn viele für statuarisch, dogmatisch und verkniffen. Hatte doch selbst der Literatur- und Theaterkritiker Joachim Kaiser in seiner hymnischen Lobrede auf Müllers Autobiographie "Krieg ohne Schlacht" von den "grandiosen Trümmern eines rachsüchtigen Ichs" gesprochen.
    Ein Farbfoto zeigt, wie unter einer schwarzen Fahne Gäste der Tauerfeier für den Dramatiker Heiner Müller am 16.1.1996 das Gebäude des Berliner Ensembles, verlassen. im Vordergrund eine Plastik von Bertolt Brecht. 
    Trauerfeier für Heiner Müller am 16. Januar 1996 im Berliner Ensemble (Zentralbild)
    Mit mehr Abstand können wir heute einen furchtlosen Chronisten seiner Zeit entdecken: Einen Dramatiker, der in Deutschland zwei Diktaturen und drei Systeme durchlebt hat.
    "In der DDR ging es nie um Leib und Leben, wenn es um Literatur ging ... es gab andere Fälle, das ist klar. Aber es ging nie um den Kopf. Man war nie wirklich in Lebensgefahr als Schriftsteller, wenn man nicht in politische Zusammenhänge geriet, die mit Literatur nicht unmittelbar zu tun hatten."

    Meisterlich zwischen DDR und BRD lavierend

    1929 in Sachsen geboren, wird er im Hitlerregime noch zum Reichsarbeitsdienst und anschließend zum Volkssturm einberufen. In den 50er- und 60er-Jahren beginnt seine Laufbahn als Dramaturg und Autor am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und als ständiger Antagonist des DDR-Systems, das ihn gleichermaßen schikanierte und begünstigte, bevor er schließlich nach der Wende das berühmte Berliner Ensemble leitete.
    Was seine virtuose Fähigkeit, zwischen den Systemen zu oszillieren betrifft, so verstand es Heiner Müller wie seine Kollegin Christa Wolf, meisterlich zwischen DDR und BRD zu lavieren, keinem System ganz anzugehören und zugleich von keinem als Abtrünniger diffamiert zu werden. Mit dem Risiko, zu keinem System "ganz" zu passen. Nach der Wende passte er dann weder zu den Ost-Nostalgikern noch zu den Einigungs-Euphorikern im Westen

    Der Hamlet-Maschinist

    Es ist kein Zufall, dass er schon 1977 in seiner berühmten "Hamletmaschine", einer zersetzenden Collage aus Trümmern des Shakespeare-Dramas, genau diese Rolle zwischen den Fronten dem Autor, also sich selbst, zuschreibt:

    "Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber."
    Und die Hamlet-Figur lehnt im vierten der fünf rätselhaften Textelemente die Zuschreibung einer Rolle grundsätzlich ab:
    "Ich bin nicht Hamlet … Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen. Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus. Mein Drama findet nicht mehr statt. ... Ich spiele nicht mehr mit".

    In seinen artistischen Ausstiegsszenarien macht Müller den Albtraum zerbrechender Ordnungen hautnah erfahrbar, lenkt den Blick auf die Differenz zwischen dem Faktischen und dem, was die Literatur erkennbar macht.
    Sich selbst sah er als Arbeiter im Steinbruch der Literatur, als einen "Trümmerliteraten", der den gesammelten Kulturschrott der Jahrhunderte, Jahrtausende sammelt, sichtet, neu kollagiert. Ein Anatom der Katastrophen, ein Archäologe der Rekonstruktion von Entstehungsprozessen, einer, der die Vorgeschichte der Gegenwart, ihre unterirdische Tektonik, ihre Vorbeben entschlüsseln will, so Müller über Müller:

    "Mich interessiert, wie es zu dem gekommen ist, was jetzt passiert ist. Und das fängt für mich an 1918 oder 1933, 41 ... Mich interessiert die Geschichte der Gegenwart."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    "heiner 1-4" am Berliner Ensemble - Hornbrille, Zigarre und Whiskyglas
    Anfang Januar wäre Heiner Müller 90 geworden – Anlass für Fritz Kater, ein Stück über die Nachwendejahre des DDR-Dramatikers zu schreiben. Doch die Hommage wird Heiner Müller nicht gerecht.
    Dabei ist das Konstrukt unserer Erinnerungen immer mit der Frage verbunden, ob das, was wir für Tatsachen halten, nur besonders subtile Inszenierungen unseres Gedächtnisses sind:
    "Das ist das Problematische an solchen Erinnerungsversuchen. Auch das gehört dann, was da an Fehlern, an Irrtümern, an Schiefheiten ... das gehört auch zum Leben."

    Mit leisem Humor wider die Krisen

    Heiner Müllers Interesse galt Fragestellungen und Erfahrungen, die vielleicht erst unsere Zeit so recht einzuordnen vermag - auf der Basis unserer Erfahrungseindrücke und Orientierungsschwierigkeiten. Denn er verfügte über das, was wir erst heute wieder zu schätzen wissen: Besonnenheit in Krisensituationen, Distanz zu allzu gängigen Trends, Haltung ohne dogmatische Starre und, ja, überraschenderweise, auch über einen leisen Humor und Selbstironie.