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Zum 50. Todestag von Cesare Pavese

Albergo Roma in der Innenstadt Turins, dritter Stock, Zimmer 43. Cesare Pavese liegt mit dem Rücken auf dem Bett. Eine Hand auf seiner Brust, ein Bein angewinkelt auf dem Laken. Die Fußspitze des anderen Beins berührt fast den Boden des Hotelzimmers. Das Nachtischlämpchen brennt noch. Am Waschbecken: mehrere leere Schachteln, in denen sich das Schlafmittel befunden hat, von dem Pavese eine Überdosis nahm. Auf eines seiner Bücher, den `Dialoghi con Leucò`, schrieb er noch kurz vor seinem Selbstmord die Worte :

Claudia Cosmo |
    "Ich verzeihe allen und bitte alle um Verzeihung. Seid ihr zufrieden? Macht nicht zu viel Klatsch!"

    Cesare Pavese schied ganz leise und einsam aus dem Leben. Er wurde nur 42 Jahre alt. Am 9. September 1908 in dem kleinen piemontesischen Ort Santo Stefano Belbo geboren, blieb Pavese mit seinem ländlichen Herkunftsort immer tief verwurzelt. Die Umgebung seiner Kindheit symbollisierte für ihn etwas Archaisches. In seinen Romanen und Erzählungen ist das Motiv des Landlebens ein konstitutives Element. Die Orte der Kindheit und das dem Naturzyklus angepaßte Leben der Bauern haben für Pavese stets etwas Mythisches gehabt. Seine Roman- Figuren kehren meist an den Ort ihres Ursprungs zurück, angetrieben von den Bildern in ihrer Erinnerung. Darüber hält Pavese am 28. Januar 1942 in seinem Tagebuch, dem `Handwerk des Lebens`, fest:

    "Man entdeckt die Dinge durch die Erinnerung, die man daran hat. Sich an etwas zu erinnern bedeutet, es- jetzt erst- zum erstenmal zu sehen.

    1935 begann Cesare Pavese damit, solche Erkenntnisse oder spontane Gedanken und Einfälle in einem Tagebuch festzuhalten. Die Pavese- Kennerin Maja Pflug hat sich jahrelang mit dem Werk des scheuen Piemontesen auseinandergesetzt und auch sein Tagebuch übersetzt:

    "Es ist ein intellektuelles Tagebuch, eine Art Arbeitsjournal. Er erarbeitet Stück für Stück seine Poetik. Er beschriebt seine Poetik, seine Lektüre. Er beschreibt seine geistige Auseinandersetzung mit dem, was er sieht, liebt und fühlt. Alle seine Lebensthemen kommen immer wieder in seinem Tagebuch vor."

    Liest man sein Tagebuch, so fallen immer wieder Namen amerikanischer Autoren auf. Es war Pavese, der als erster die amerikanische Literatur in Italien bekannt machte. Er übersetzte in den besonders in den 30er Jahren Autoren wie Walt Whitman, Sinclair Lewis oder Sherwood Anderson ins` Italienische.

    Was Pavese besonders an den Amerikanern reizte war deren Sprachstil, der die Alltagssprache und den Slang auf ein literarisches Niveau hob. Dies war auch Paveses Ziel, in bezug auf die italienische Literatursprache.

    Aber von der Unterstellung, er produziere Dialektliteratur, distanzierte sich Pavese auch in seinem Tagebuch wehement:

    "Meine Literatur ist nicht mundartlich- so sehr habe ich instinktiv und mit der Vernunft gegen die Mundart als Literaturform gekämpft..."

    Pavese kämpfte stets gegen die Einsamkeit. Er war nie verheiratet gewesen und lebte bei der Familie seiner Schwester Maria Sini in Turin. Pavese hatte wenige Freunde. Zum engsten Kreis zählte sein Schulfreund Leone Ginzburg und seine Frau Natalia, die er oft besuchte. Durch intensive Gespräche mit Natalia Ginzburg in den 80er Jahren, konnte sich auch Maja Pflug ein genaueres Bild von Pavese machen:

    "Ich denke, er war schon ein sehr einsamer Mensch, und auch ein sehr gequälter Mensch, was auch im Tagebuch rauskommt. Natalia Ginzburg beschreibt wie er abends 1936, als Leone Ginzburg aus der Verbannung zurückkam, zu ihnen kam und die Abende mit ihnen verbrachte, nur damit er nicht alleine ist. Er hatte es immer schon schwer, lockeren Kontakt zu knüpfen, was auch aus den Briefen hervorgeht."

    Zu Frauen konnte Pavese kein unbelastetes Verhältnis aufbauen. Über die Frauen bemerkte er einmal, sie seien genauso bitter wie Kaffee. Ein Außenseiter zu sein, das bedrückte ihn. So schrieb er am 6. November 1938: "Ich verbrachte den Abend vor dem Spiegel sitzend, um mir Gesellschaft zu leisten."

    Einsam und isoliert sind auch Roman- Figuren wie Berto aus `Unter Bauern`. In diesem 1939 entstandenen Roman entfaltet Pavese das thematische Gegensatzpaar von Stadt und Land: Berto begleitet seinen Freund Talino zu dessen Familie aufs` Land. Dort bewegt sich Berto als außenstehender Beobachter. Auf ihn, der aus der Stadt stammt, wirkt die ländliche Bevölkerung fremd, roh und grausam wie die kahle Hügellandschaft des Piemonts:

    "Talino und Gallea springen vom Heuwagen herunter. Sie bewegen sich vorwärts, als ob sie betrunken wären. Zuerst Talino, mit Stroh in den Haarren und der Mistgabel in der Faust. Talino sagt zu Gisella: "Laß mich trinken", und er wirft sich auf den Eimer und tunkt sein Gesicht in das Wasser. Gisella entreißt ihm den Eimer und schreit ihn an:"Nein, so machst du ja das ganze Wasser dreckig." "Talino", sagt Ernesto, "leg` dich nicht mit den Frauen an." ...Vielleicht hätten wir ihn zu dritt noch aufhalten können, aber daran denkt man erst im nachhinein. Mit einem bestialischen Blick in den Augen springt Talino auf und sticht Gisella die Mistgabel in den Hals. Ich merke, wie alle von uns aufraunen...und wir hören Gisella röchelnd sagen:"Madonna"- und sie hustet und die Mistgabel fällt ihr vom Hals ab.

    Die Hügellandschaft, die Mistgabel und das Blut sind Symbole, die auf die sinnliche Komponente des Romans hindeuten. Pavese selbst nennt diese Erzählweise `Immagine- Racconto`, die Bild- Erzählung. Pavese schildert die Realität, so wie sie ganz subjektiv auf Berto wirkt. Die Gedanken und Impressionen des Ich- Erzählers Berto verwandeln somit das Wahrgenommene in eine Art symbolische Realität.

    "Das Symbol...ist eine Phantasieverbindung...Es handelt sich um häufig wiederkehrende Fixpunkte, die in einem konkreten Element der Erzählung eine durchgängige imaginäre Bedeutung aufzeigen, eine geheime Wirklichkeit, die ans` Licht kommt..."

    Cesare Paveses eigene Lebensrealität ist nicht nur von der Einsamkeit, sondern auch von einem permanenten Leidensdruck geprägt. Er hat für sich schon früh erkannt, daß leben für ihn Leiden bedeutet. Er glaubt fest an ein vom Schicksal bestimmtes Dasein, und seine Bestimmung sei es, Literatur zu schaffen und gleichzeitig das quälende Leben über sich ergehen zu lassen:

    "Ich denke, daß er Leiden als etwas tief in ihm verwurzeltes gesehen hat., ja, das glaube ich schon. Er schreibt sehr viel über die Selbstzerstörung und darüber, daß das auch eine Attitüde sein kann. Aber ich glaube nicht, daß einer, der so gelebt hat wie Pavese sich immer der Attitude widmen kann. Das hätte ihn viel zuviel Kraft gekostet. Er hat seine Kraft lieber in die Literatur gesteckt. Dennoch kommt es aus seiner Kindheitsgeschichte, daß er das Gefühl hatte, immer etwas zu erdulden. Und er hat auch geschrieben, daß ihm nichts automatisch zusteht."

    Seine Existenz empfand Pavese als ewigen Kampf. Erholung und Ruhe fand der hagere Schriftsteller nur in der Umgebung seines Geburtsortes Santo Stefano Belbo. Dorthin kehrte er immer wieder zurück.

    Die Rückkehr zum Ursprung und die Suche nach der eigenen Identität ist ebenfalls ein wichtiges Thema innerhalb der pavesianischen Poetik. So kehrt Anguilla, die Hauptfigur des Romans `Der junge Mond´ nach Jahren in seinen Heimatort zurück. Durch seine Erinnerung geführt, sucht Anguilla seine Wurzeln und muß enttäuscht feststellen, daß nichts mehr so ist wie es einmal war:

    Es gibt einen Grund warum ich in dieses Dorf zurückgekehrt bin... Hier bin ich nicht geboren, das ist ziemlich sicher, wo ich geboren bin, weiß ich nicht,...ich weiß nicht, ob ich vom Hügel her stamme oder aus dem Tal...Wer kann mir sagen, aus welchem Fleisch ich bin ?... Wenn ich hier in diesem Dorf aufgewachsen bin, dann habe ich das Virgilia und Padrino zu verdanken; alles Leute, die nicht mehr leben..."

    Der Tod- ein fester Bestandteil in Paveses Büchern, aber auch in Paveses Leben. Der Gedanke an Selbstmord zieht sich wie ein roter Faden durch sein Tagebuch:

    "Und ich weiß, daß ich für immer dazu verdammt bin, bei jedem Hindernis oder Schmerz an Selbstmord zu denken. Das ist es, was mich entsetzt: mein Prinzip ist der Selbstmord."

    1949 ist das Jahr, in dem Pavese im Tagebuch Bilanz zieht: Er listet seine Werke chronologisch auf und sieht sein literarisches Schaffen als abgeschlossen an.

    "Meine öffentliche Rolle habe ich gespielt- so gut ich konnte. Ich habe gearbeitet, habe den Menschen Dichtung gegeben, habe das Leid vieler geteilt... Je bestimmter und genauer der Schmerz ist, um so mehr schlägt der Lebenstrieb um sich und fällt der Gedanke an Selbstmord...All das ist ekelhaft. Nicht Worte. Eine Geste. Ich werde nicht mehr schreiben."

    Große Aufmerksamkeit erhält Pavese noch einmal bei der Verleihung des bedeutenden italienischen Literaturpreis `Premio strega`, den er 1950 für die Erzählung `Der schöne Sommer` überreicht bekommt. Doch der Rummel um ihn verpufft und schon kurz darauf überkommt ihn ein unerträgliches Gefühl der Einsamkeit. Die amerikanische Schauspielerin Constance Dowling, die ihn auf eine Heirat hoffen lies, reist in die USA zurück- Pavese bleibt alleine zurück.

    "Er hat seinen Tod berechnet bis ins` kleinste. Er hat auch im Tagebuch geschrieben: `In 10 Jahren habe ich alles getan`. Er war auf der Höhe seines Ruhms und dann konnte er das für sich persönlich nicht mehr als positiv annehmen."

    Als ob er einem inneren Plan folgte, verbrannte Pavese noch einige Briefe und Fotos, und sortierte einige Manuskripte. Dann verließ er am 26. August 1950 die turiner Wohnung seiner Schwester Maria und suchte den Albergo Roma auf. In der Nacht zum 27. August brachte er sich mit einer Überdosis Schlaftabletten um. Schon wenige Stunden nach seinem Selbstmord war Cesare Pavese nicht mehr einsam, in dem Moment, in dem die Tageszeitungen die Nachricht von seinem Ableben verbreiteten und ihm tausende von Leuten in Turin die letzet Ehre erwiesen.