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Zum 70. Geburtstag von Heinz Küpper. Ein Radioessay

Wenn Heinz Küpper in der täglich von Touristen überlaufenen Stadt Bad Münstereifel spazierengeht, muss er nicht befürchten, erkannt zu werden. Dabei könnte jeder Besucher der mittelalterlichen Stadt von der Kenntnis der Küpperschen Bücher profitieren, denn in den nach einer Hauptfigur so genannten Jakob-Romanen "Wohin mit dem Kopf", "Zweikampf mit Rotwild" und dem soeben erschienenen neuen Buch "Seelenämter" - vom Verlag Landpresse durch Veröffentlichung in einem Schuber als Trilogie kenntlich gemacht - hat Küpper die fiktive Stadt Nonnenbach nach Münstereifel modelliert und die Erft "die Baach" genannt, ein "fast namenloses Wasser, als hätte nur gerade einmal ein betrunkener früherer Heidengott nachdenklich an seinem Ufer gestanden und hineingepisst". "Die Baach floss mitten durch die Stadt," schreibt Küpper, "war so breit wie die Hauptstrasse, neben der sie herlief. So hatte man sie eingefasst vor vierhundert Jahren schon in hohen, kostenträchtigen Bruchsteinmauern zu beiden Seiten...Zugegeben, eine intelligente Lösung, die Lösung reicher, selbstbewusster und geschmackssicherer Gewerbebürger in windstillen frühbürgerlichen Zeiten." In diesem mittelalterlichen Stadtkern, "dessen patrizische Bauten bäurisch aussahen mit Fachwerk und grobschlächtigen gotischen und barocken Zutaten, die sowieso entwertet wurden durch das auf Sandalen latschende Tagestouristenpublikum, das über offenem Hemd die Minox baumeln liess oder die japanische Kamera im Anschlag hatte," bewegen sich Küppers Romanfiguren, während, zum Beispiel in "Zweikampf mit Rotwild", im Hintergrund der Geschichte die deutsche Wiedervereinigung im Fernsehen übertragen wird. Heimatkunde als Weltkunde, geschrieben in Kenntnis der Eingeweide dieser kleinen Stadt. "Alles, was in der Welt passieren kann und passiert ist," meint Küpper, einen Satz von Günter Grass variierend, "kann ebenso in Münstereifel passieren und ist dort auch passiert." In "Seelenämter" sind es die Studentenunruhen der ausgehenden 60er Jahre, die den historischen Hintergrund der Geschichte bilden. So sind diese Bücher, als Kriminalromane daherkommend, in denen der Marinepfarrer a.D. Jakob stets einen kniftligen Fall zu lösen hat, zugleich ausserordentliche Geschichtsbücher, mit ständigen Verweisen auch auf real existierende Personen. Der Charme der "alten und ehemals frommen Stadt" Nonnenbach rühre nämlich nicht nur von ihrer"fast intakten Stadtmauer und ihrem auf kelto-römischen Fundamenten errichtetem Strassenbild", sondern auch von ihrer Lage "im Flair der (ehemaligen) Hauptstadt Bonn...Irgendein Minister wohnte immer in der Nähe," heisst es in "Zweikampf mit Rotwild".

Christian Linder |
    Dass Heinz Küpper als Schriftsteller relativ unbekannt geblieben ist, wird ihn nicht stören - er neigt dazu, sich zurückzuhalten und in die Anonymität zu drängeln. Dabei war sein Debüt fulminant: Mit den Romanen "Milch und Honig" und vor allem mit dem 1963 erschienenen und jüngst neu aufgelegten Buch "Simplicius 45" hatte er sich gleich in die vordere Reihe der politischen deutschen Schriftsteller geschrieben. "Simplicius 45" beschreibt aus der Sicht eines Jungen die Nazizeit und die Verführbarkeit des Jungen durch die nationalsozialistische Ideologie. "Ich war Nazi," sagt der Ich-Erzähler gleich zu Beginn des Buches. Küpper transportiert darin viel autobiographisches Material und zeigt die Brüche in Lebensläufen. Auch der neue Roman "Seelenämter" liest sich als eine, daraus macht Küpper keinen Hehl, selber erlebte Reise durch die Nacht des Alkohols. Dabei verfügt Küpper über einen lakonischen Witz, der die Lektüre seiner teilweise dicken Wälzer - "Seelenämter" hat mehr als 600 Seiten - vergnüglich macht. Manchmal, wenn er mit Bildungszitaten jongliert, merkt man zwar, dass der Autor fast dreissig Jahre lang in Münstereifel am Gymnasium unterrichtet hat, aber das wirkt nie aufgesetzt, sondern gehört mit zum ironischen Spiel dieses freundlichen Zeitgenossen, der einige neue Aspekte unserem Wissen hinzugefügt hat, wie Menschen funktionieren, welche Irrtümer sie produzieren oder auch welche Erkenntnischancen in einem Leben enthalten sein können. Aber es wird, in den Augen Küppers, immer ein Leben voller Brüche sein. In seinem Buch "Hermann Rohr und andere", Erzählungen "vom Rand der Biographie", findet sich ein wunderbares Porträt Heinrich Bölls, mit dem Küpper lange befreundet war. Für Bölls "doch überfülltes, vollgequalmtes Leben" fällt ihm der Begriff "short story" ein. "Etwas fängt an mitten im Ersten Weltkrieg und endet ohne Abschluss mitten im Kalten Krieg," schreibt er. "Das ist heute noch die Floskel in Lebensberichten: verliess das Gymnasium ohne Abschluss, studierte Volkswirtschaft ohne Abschluss, ging aus der Weit ohne Abschluss." Das treffe nicht nur auf die Lebensfrist von Heinrich Böll zu. Die Zeit der Entwicklungsromane, wenn es sie denn je gegeben habe, scheine vorbei zu sein. Wem gelinge es schon noch, sein Leben synchron verlaufen zu lassen zu den nationalen, religiösen oder beliebig anderen allgemeinen Tendenzen? Wer im 20. Jahrhundert in Deutschland zum Beispiel an einem 10. November geboren sei wie Heinz Küpper, dem würden weder die ebenfalls an diesem Tag geborenen Martin Luther noch Friedrich Schiller "vom Eis helfen". Denn an dessen Vorabend, erinnert Küpper, biete das Jahrhundert historische Gedenktage im Fünferpack an: Russische Oktoberrevolution; Ausrufung der Republik in Deutschland gleich zweimal 1918; Hitlerputsch 1923; Judenprogrom alias Reichskristallnacht 1938, Öffnung der Berliner Mauer 1989. Wie solle in Zeiten des wie auch immer verursachten öffentlichen Chaos ein Entwicklungsroman verlaufen, fragt Küpper. Da könne jeder nur seine short story herunterreissen und versuchen, wenn er die Chance bekomme, innerhalb ihrer ein paar Sachen mit Hand und Fuss, Leute mit Hand und Fuss, Geschichten mit Anfang und Ende unterzubringen. "Wenn er Glück hat," schreibt Küpper, "kriegt er auch Szenen und Augenblicke ins Haus geliefert oder den einen Augenblick, mächtig wie das Säculum oder wie die Ewigkeit selbst." Heute wird Heinz Küpper siebzig Jahre alt. Die Leser und Freunde feiern diesen unfeierlichen Zeitgenossen und Autor auf der Burg in Münstereifel. Weil Küpper jede Feierei etwas ungeheuerlich vorkommt, hat er seinen Tag vorsichtshalber unter ein Goethe-Wort gestellt: "Was ist deine Pflicht," fragte Goethe. "Die Forderung des Tages."