Hans Küng gilt als einer der profiliertesten deutschsprachigen Theologen der letzten Jahrzehnte. Gleichwohl haftet der Karriere des geborenen Schweizers, der seit 1960 in Tübingen lebt, etwas Ambivalentes an. Einerseits sieht sich er sich bis zum heutigen Tag als treuer und innerlich gebundener Spross seiner Katholischen Kirche. Andererseits aber gibt es kaum einen anderen Theologen, der die vatikanische Hierarchie derart oft, kühn und scharf kritisierte wie er:
"Wenn die Partei immer recht hat - wie im Kreml damals - ja, dann können Sie keine Reformen durchführen. Die haben ja immer recht. Wenn der Papst, beziehungsweise die römische Kurie, immer recht haben. Wenn dem, was auch die Bischöfe notgedrungen oft zustimmen, wenn das von vornherein stimmt, können Sie keine Reformen durchführen."
"Für mich war es eine bittere Zeit"
Auch seinem weit über Mitteleuropa hinausgehenden Ruf als Theologe haftet etwas Widersprüchliches an. Denn seine Berühmtheit, die sich vor allem in den 80er- und 90er-Jahren entwickelte, hat Hans Küng im Grunde einer Niederlage gegenüber seiner Kirche zu verdanken. 1979 nämlich entzog ihm der Rottenburger Bischof Georg Moser in Absprache mit Rom die katholische Lehrerlaubnis. Hintergrund war ein zuvor von beiden Seiten hart geführter Disput um Küngs Buch: "Unfehlbar - eine Anfrage", in dem er das Amt des Papstes unter die Lupe nahm.
Mit diesem Schritt, den Küng bis heute eigentlich nicht verwunden hat, öffneten sich ihm gleichzeitig die Türen zu neuen Themen und größerer Popularität. Er widmete sich nämlich von nun an - als Direktor des unabhängigen Tübinger Instituts für ökumenische Forschung - den großen Weltreligionen, gründete die "Stiftung Weltethos", die sich dem Gespräch und der Versöhnung zwischen den Religionen und Konfessionen widmet, drehte mit dem Südwestrundfunk die siebenteilige Fernsehserie "Spurensuche" über die Weltreligionen und sprach im November 2001 vor der UNO.
"Damals war es natürlich für mich eine bittere Zeit, und ich bin ja bis an den Rand der physischen Erschöpfung gekommen. Und da konnte ich natürlich nicht ahnen, dass das jetzt grad für mich die große Befreiung, die Öffnung für völlig neue Gebiete, Probleme, Menschen sein würde. Aber im Nachhinein kann ich tatsächlich sagen: Ich fühle doch, dass Seine Hand mich geleitet hat. Dass ich dankbar bin über diesen zwar schwierigen, aber doch letztlich fruchtbaren Weg."
"Ich verstehe das als Horizonterweiterung"
Dass Küng bis heute zu den hellsten Sternen am Theologen-Firmament zählt, zeigte sich schon früh. Nach dem Studium in Rom wurde er nämlich mit gerade einmal 32 Jahren jüngster deutschsprachiger katholischer Theologieprofessor. Zwei Jahre später ernannte ihn Papst Johannes XXIII. zu einem von nur drei deutschen Beratern auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil - zusammen mit Karl Rahner und Joseph Ratzinger.
Gerade zu Letztgenanntem hat der geborene Schweizer ein sehr spezielles Verhältnis. So holte Küng zwar den jungen Ratzinger 1966 nach Tübingen, musste dann aber mit ansehen wie dieser infolge der Studentenunruhen die dortige Uni verließ und beide Theologen ganz gegensätzliche Entwicklungen vollzogen: der eine zum Kirchenkritiker, der andere zum Papst. Gleichwohl spricht Küng bis heute davon, dass er sich stets treu geblieben ist:
"Ich verstehe mich heute noch als christlicher und katholischer Theologe wie eh und je. Ich bin in dieser Weltkirche geblieben, aber ich habe jede Herausforderung aufgenommen, und sozusagen in konzentrischen Kreisen hat sich mir immer weitere Wirklichkeit erschlossen, hat sich mein Horizont erweitert. Und so bin ich schließlich, nicht wahr, von den Problemen der Katholischen Kirche zu den Problemen der Christenheit gekommen, von den Problemen der Christenheit zu denen der Weltreligionen, der Weltliteratur, des Weltfriedens und schließlich das Weltethos. Ich verstehe das nur als eine Horizonterweiterung und nicht ein Abrücken vom Zentrum."
Wenngleich er sich durchaus als "katholischer Reformer" und "ökumenischer Unruhestifter" bezeichnen lässt, sähe es Hans Küng doch gerne, wenn die römische Kirche seine Verurteilung von einst noch zu seinen Lebzeiten aufheben würde.