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Zum Ende eines Pontifikats

Papst Benedikt XVI. war von Beginn seiner Amtszeit an umstritten. Vielen galt der ehemalige Kardinal Joseph Ratzinger als zu konservativ. Seine Amtszeit wurde mehrfach von Skandalen erschüttert. Doch konnte Benedikt XVI. seine Kritiker auch überraschen. Ein Resümee.

Von Hajo Goertz und Thomas Migge |
    Die Reihe von Skandalen und Problemen, die sein Pontifikat kennzeichnen, begann gleich 2005, im Jahr seiner Wahl. Benedikt XVI. näherte sich der traditionalistischen und äußerst umstrittenen Piusbruderschaft an, die 1970 vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre aus Protest gegen die Reformen des Zweiten vatikanischen Konzils gegründet wurde. Dafür wurde Ratzinger von weiten Teilen seines Kirchenvolkes, vor allem in Deutschland, heftig kritisiert. Das Verhältnis des Vatikans zu den Piusbrüdern war unter Papst Johannes Paul II. besonders angespannt. Umso höher schlugen die Wogen der Kritik, als der Papst 2009 die Exkommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft aufhob. Darunter die von Bischof Richard Williamson, der in einem Fernsehinterview öffentlich den Holocaust leugnete. Kurze Zeit später plante der britische Anwalt Mark Stevens den Papst vor Gericht zu bringen. Es ging um den Fall pädophiler Geistlicher in Großbritannien, aber auch in den USA, in Deutschland und anderen Ländern. Ein Skandal, der dem Papst großes Kopfzerbrechen bereitete. Mark Stevens:

    "Ein Pädophilie-Opfer kann in unserem Land den Papst vor ein Gericht bringen. Bei uns könnte es theoretisch dann zu einem Haftbefehl kommen. Das ist für ihn eine reelle Gefahr. Sollte er in unser Land kommen, könnte er verhaftet werden. "

    So weit ist es nicht gekommen, doch die während des Pontifikats von Benedikt XVI. bekannt gewordenen tausendfachen Fälle von Kindern und jungen Menschen, die Opfer pädophiler Geistlicher wurden, setzten dem Papst sehr zu. Er entschuldigte sich bei den Opfern und kündigte die schonungslose Aufklärung aller Fälle an. Doch die Empörung über die katholische Kirche aufgrund dieser Skandale und der massenweise Austritt von Katholiken gerade in Deutschland waren ein schwerer Schlag für Josef Ratzinger. Insidern zufolge soll sich dieser Skandal negativ auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt haben.

    Interne Skandale
    Doch Ärger, großen Ärger, gab es auch in seinem Zwergstaat, in dem Kardinalstaatssekretär Tracisio Bertone, die Nummer zwei nach dem Papst, immer mächtiger wurde. Bertone scheint immer mehr Macht an sich gerissen zu haben – ohne dass Benedikt XVI. dagegen vorging. Durch investigative italienische Journalisten wurden Dokumente aus dem Vatikan publik, die darauf hindeuten, dass Bertone im Kirchenstaat geradezu selbstherrlich regiert und lukrative Arbeitsaufträge nur befreundeten Unternehmern zuschanzt. Bertone soll auch für die vollkommen überraschende fristlose Entlassung des Chefs der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi, verantwortlich sein. Ein Bankier, der immerhin das Vertrauen des Papstes genoss. Dem Kardinal habe Gotti Tedeschis neuer Kurs der Offenlegung undurchsichtiger Geschäfte nicht gefallen, meint der Vatikanexperte Marco Politi:

    "Es hat noch nie im westlichen Bankensystem eine so brutale Entlassung gegeben, noch nicht einmal bei Bankleuten, die mit dem Geld weggelaufen sind. Man ist nie so vorgegangen. "

    Der Fall brisanter und geheimer Dokumente aus dem Vatikan, die weltweit die Runde machten, ging als Vatileaks-Affäre in die Geschichte ein. In diesem Zusammenhang wurde schließlich Paolo Gabriele verhaftet und abgeurteilt. Der ehemalige Kammerdiener des Papstes soll jahrelang vom Schreibtisch seines Dienstherrn Papiere gestohlen und an den Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegeben haben. Hoch brisante Papiere, die Nuzzi in dem Aufsehen erregenden Besteller Nuzzis mit dem Titel "Seine Heiligkeit" verarbeitete. Gianluigi Nuzzi:

    "Das sind Dokumente, die von Verschwörungen zeugen, die davon berichten, mit welchen Mitteln der Vatikan Druck auf die italienische Regierung ausübt, um weniger Steuern zu zahlen, und von vielen anderen unerhörten Geschichten. "

    Diese Machenschaften hinter seinem Rücken und in seiner eigenen Wohnung sollen, so heißt es aus dem Umfeld des Papstes, Benedikt XVI. schwer belastet haben. In den Wochen nach dem Bekanntwerden von Vatileaks und dem Prozess gegen seinen Kammerdiener baute Josef Ratzinger physisch sichtlich ab. Immer öfter war von Rücktrittsgerüchten die Rede. Gerüchte, die nicht aus der Luft gegriffen waren. Der Arbeiter im Weinberg des Herrn, als den sich Ratzinger stets bezeichnete, kann offenbar nicht mehr.

    Der frühere Papst-Diener Paolo Gabriele
    Der frühere Papst-Diener Paolo Gabriele (picture alliance / dpa / Osservatore Romano)
    Dienst an der Einheit der Kirche
    Wie in einer Generalaudienz Anfang 2009 erklärte Ratzinger immer wieder, seine Aufgabe als Papst sei Dienst an der Einheit der Kirche. Das galt, nach seinen Erfahrungen, auch für den Vatikan selbst. Das Zentrum der katholischen Kirche ist nämlich keineswegs so uniform, wie es nach außen erscheint und erscheinen möchte. Da ziehen allerdings nicht progressiv und reformerisch eingestellte Kardinäle, Bischöfe und Prälaten an dem einen Strang; wohl aber streiten sich konservative mit sehr konservativen vatikanischen Kreisen und ihren Sympathisanten und hoffen auf die jeweilige Zustimmung des Kirchenoberhaupts. In den letzten Amtsjahren des polnischen Papstes, als er nicht mehr kraftvoll agieren konnte, hatte mal der streng konservative Flügel unter Kardinal Ratzinger Oberwasser, mal der damalige Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano. Ablesbar war das aus deutscher Sicht daran, ob die Bischöfe unseres Landes im staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung bleiben durften oder eben nicht. Am Ende setzte Ratzinger seine restriktive Linie durch. Und Johannes Paul II. verfügte den Ausstieg der deutschen Kirche aus der Konfliktberatung.

    Die Frage der Nachfolge
    Der Schritt, den Papst Benedikt heute vollzogen hat, überraschte auch die engsten Beraterkreise im Vatikan. In den wenigen Tagen bis zum 28. Februar wird es den durchaus unterschiedlichen Kräften sowohl in Rom wie im weltweiten Gremium der Kardinäle nicht leicht sein, sich für die Nachfolge des deutschen Papstes in Stellung zu bringen. Denn es wird zwar immer wieder von den an der Papstwahl Beteiligten versichert, letzten Endes entscheide der Heilige Geist, wer das Amt übernimmt. Das hindert im Konklave aber niemanden, Favoriten auszusuchen und Koalitionen zu bilden. Beim letzten Mal, berichtete ein Teilnehmender unter der Hand, habe man schon bei der Ankunft in Rom alles für die Wahl Kardinal Ratzingers vorbereitet gefunden.

    Was bleibt?
    Beobachter haben Benedikt vorgehalten, etwa im Blick auf die traditionalistische Piusbruderschaft durchaus nicht die Einheit der Kirche befördert, sondern eher polarisiert zu haben; er sei den Traditionalisten und ihrer Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu weit entgegengekommen. Er habe damit zwar eine drohende Kirchenspaltung aufgehalten, jedoch um den Preis, selbst gutwillige Katholiken zu brüskieren. Da ist inzwischen das Feld, wie es scheint, neu bestellt. Wohl galt die Berufung des Regensburger Oberhirten Ludwig Müller zum obersten Glaubenswächter der Kirche einem der konservativen Bischöfe. Müller allerdings hat zur Überraschung mancher den renitenten Piusbrüdern zuletzt eindeutig die Schranken aufgewiesen. Mit der Beförderung seines Sekretärs Gänswein zum Erzbischof und Leiter des Päpstlichen Hauses hat Benedikt offenbar Weichen gestellt, um ihn für einen Bischofssitz in Deutschland zu positionieren. Und Benedikts Berufung des früheren Baseler Bischofs Kurt Koch zum Leiter des Ökumene-Rates lässt inzwischen aufhorchen: Ratzinger selbst konnte und wollte in der Beziehung zu den evangelischen Kirchen keine Einheit stiftenden Akzente setzen; aber Kochs jüngste Überlegungen zum Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 sind vielversprechend. Es ist also denkbar, dass das Pontifikat Benedikts einen Teil seiner Wirkung erst nach seiner Abdankung entfaltet.

    Alle Beiträge zum Thema haben wir für Sie auf unserer Themenseite: Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zusammengestellt.
    Papst Benedikt XVI. vor dem Schloss Bellevue
    Benedikt XVI. - umstrittenes Vermächtnis (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)