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Zum Friedensnobelpreis 2014
Die Geschichte der Kinderrechte

Der Friedensnobelpreis 2014 geht an die Kinderrechtler Kailash Satyarthi und Malala Yousafzai. Doch seit wann gibt es spezielle Rechtsnormen für Mädchen und Jungen? Der Rechtshistoriker Stefan Ruppert gibt im Deutschlandfunk einen Überblick über die historischen Hintergründe.

Stefan Ruppert im Gespräch mit Dina Netz |
    Eine Montage aus zwei Archivbildern zeigt die Träger des Friedensnobelpreises 2014, die Kinderrechtsaktivisten Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi.
    Kinderrechtsexperte: "Es gibt immer noch viel zu tun" (picture alliance / dpa / Andrew Gombert / Martial Trezzin)
    Ruppert erläutert, erst in der Moderne sei das Thema Kinderrechte aufgekommen. Rousseaus "Emile" sei ein geistiger Meilenstein. Rechtliche Entwicklungen hätten dann in der späten Industriellen Revolution eingesetzt - zunächst in England und in den 1830er-Jahren in Deutschland. Der eigentliche Schutzgedanke habe sich aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt.
    Nach und nach seien dann die Schulpflicht und für Jugendliche der Imperativ "Erziehung statt Strafe" Gemeingut geworden. Allerdings gibt Ruppert auch zu bedenken, dass neben der Schutzgesetzgebung Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung entscheidend seien. Nur da, wo Kinderarbeit ökonomisch verzichtbar sei, da könne man sie auch eingrenzen. In Entwicklungs- und Schwellenländern gebe es in dieser Hinsicht noch viel zu tun.

    Das Interview in voller Länge:
    Dina Netz: Auch heute wieder haben sich zeremoniell schwere Türen geöffnet, vor denen die Reporter schon lauerten. Heute waren es allerdings Osloer Türen, denn der Friedensnobelpreis wird in Norwegen vergeben.
    Der Friedensnobelpreis 2014 geht an zwei Kinderrechtsaktivisten. Der eine ist der 60jährige Inder Kailash Satyarthi und die andere ist die jüngste Preisträgerin, die es jemals gab: Malala Yousafzai. Sie ist erst 17, Pakistanerin und auf der ganzen Welt bekannt, seit ein Taliban ihr vor zwei Jahren ins Gesicht schoss. Beide werden für ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern und für das Recht aller Kinder auf Bildung geehrt.
    Und wir wollen diese Auszeichnung heute zum Anlass nehmen, um über die Entwicklung der Kinderrechte zu sprechen. Stefan Ruppert ist Jurist, heute Landesvorsitzender der FDP in Hessen, und er war Leiter der Forschungsgruppe Lebensalter und Recht am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte.
    Ich habe ihn gefragt: Herr Ruppert, schon in der Antike gab es Rechtsprechung und politische Mitsprache für alle Bürger. Seit wann sind denn Kinderrechte ein Thema?
    Stefan Ruppert: In der Moderne beginnt das eigentlich in der Aufklärung. Man stellt fest, dass man Kinder nicht mehr nur als kleine Erwachsene betrachtet, sondern dass man sie schützen will. Vielleicht, wenn man ein Datum nennen müsste, wäre es 1762 Rousseaus Buch "Emile oder über die Erziehung". Rousseau stellt fest, dass man Kinder schützen muss, dass man sie aufs spätere Leben vorbereiten muss und erziehen muss.
    Kinderschutz versus Broterwerb
    Netz: Das waren also schon ziemlich fortschrittliche Ideen. Aber danach kamen ja noch Zeiten wie zum Beispiel die der Industrialisierung und später viele Kriege. Da wurde jede Kraft gebraucht. Wie sah es denn in der Realität aus mit den Kinderrechten?
    Ruppert: Ja. Lange Zeit, auch natürlich in Mittelalter und früher Neuzeit, hat man sich vor allem an Kinder der Oberschicht, die auf zukünftige Aufgaben vorbereitet werden mussten, gewandt, und in der industriellen Revolution in England, in den Baumwollfabriken, kommt dann eine Gesetzgebung auf, so etwa 1795-1810, sogenannte Pure Law. Dafür ist eigentlich zweierlei maßgebend. Zum einen hatte man Angst, dass die Kinder "verrohen", sittlich verwahrlosen, weil Männer und Frauen zusammenarbeiten. Zum anderen hat man aber natürlich gesehen, dass sie körperliche Schäden erleiden. Und in Deutschland ist die erste Gesetzgebung aus dem Jahr 1839 das Skript über Kinderarbeit in Fabriken und Baumwollspinnereien und so weiter. Also 1839 die erste Gesetzgebung.
    Die Arbeiterbewegung hat das zunächst kritisch gesehen. Es gibt ein Zitat von Karl Marx, der sagt, dass jedes Kind ab dem neunten Lebensjahr einer geregelten Tätigkeit nachgehen soll. Das hat er natürlich nicht gesagt, um irgendwie Kindern zu schaden, sondern weil Kinder einfach für den Broterwerb der Familie mit beigetragen haben und mit verantwortlich waren. Und dieser pure Schutzgedanke, der setzt sich dann eigentlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtig durch, dass Kinder zur Schule gehen müssen, dass sie, wenn sie Straftaten begehen, nicht einfach nur bestraft werden, sondern Erziehung statt Strafe, und dass man in den großen Städten auf die Fabrikjugend, die Halbstarken sozusagen aufpassen muss.
    Man hat angefangen, dafür internationale Konventionen und Regelungen zu entwerfen
    Netz: Es gibt ja überhaupt erst seit 1989 eine UN-Kinderrechtskonvention. Was steht denn in dieser UN-Kinderrechtskonvention drin, was zum Beispiel nicht in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu finden ist?
    Ruppert: Die baut auch auf auf älteren Gesetzgebungen. Die ILO, die International Labour Organisation, die in Genf ihren Sitz hat, hat schon in den 20er-Jahren angefangen, auch weltweit Kinderrechte - - Schiffsjungen wurden geschützt, aber auch natürlich Fabrikkinder.
    Man hat angefangen, dafür internationale Konventionen und Regelungen zu entwerfen. Das übernimmt dann die Vereinten Nationen und das erkennen die Leute eigentlich schon im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, aber im Völkerrecht das international zu regeln auch für Schwellenländer, würde man heute sagen, das ist natürlich eine Entwicklung, die erst sehr viel jünger ist.
    Es gibt immer noch viel zu tun
    Netz: Welchen Stellenwert haben denn heute überhaupt allgemein Kinderrechte im Kontext der Menschenrechte? Was würden Sie sagen?
    Ruppert: Ich glaube schon, dass die Bedeutung steigt. Wir haben alle betrübt zur Kenntnis nehmen müssen, dass Kinderarbeit in vielen Ländern immer noch ein Thema ist. Und die schon erwähnte ILO, die International Labour Organisation, die dringt mittlerweile schon vor in Vergaberechte in Deutschland. Wenn ein großes Krankenhaus etwas kauft, oder wenn jemand Einkäufe macht, dann müssen sie schon anfangen zu unterschreiben beispielsweise, dass als Lieferant sie keine Kinder beschäftigen, und das wird auch zunehmend kontrolliert. Aber es gibt immer noch viel zu tun.
    Ökonomische Entwicklung fördert Kinderschutz
    Ruppert: Und insofern nehme ich mal an, dass Sie die Auszeichnung für die beiden Kinderrechtsaktivisten heute begrüßen?
    Ruppert: Ja. Das Problem, das Karl Marx beschrieben hat, das gibt es nach wie vor. Wenn die ökonomische Grundlage so bleibt, dass Kinder mitarbeiten müssen, dann werden auch weiter Eltern ihre Kinder zur Arbeit schicken, und das tun sie ja nicht, weil sie ihre Kinder nicht lieben, sondern weil es einfach die blanke Not gebietet. Ich glaube, Schutzgesetzgebung ist der eine Strang und Entwicklung dieser Länder auch in ökonomischer Hinsicht ist der andere.
    Netz: Der Rechtshistoriker Stefan Ruppert über Kinderrechte gestern und heute. Sein Buch zum Thema "Recht hält jung" erscheint im kommenden Frühjahr im Klostermann Verlag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.