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Zum Tod des Architekten Gottfried Böhm
Versöhner von Alt und Neu

Vom Rathaus bin hin zum großen Sakralbau: Gottfried Böhm formte aus wuchtigem Beton, Glas und Stahl echte Architekturikonen. Und das mit internationalem Erfolg: Als erster deutscher Architekt erhielt er für sein Lebenswerk den Pritzker-Preis. Jetzt ist er im Alter von 101 Jahren gestorben.

Von Beatrix Novy |
Porträt des Architekten Gottfried Böhm im Alter von 95 Jahren.
Berühmt für seine spektakulären Betonbauten: der Architekt Gottfried Böhm (picture alliance / dpa / Raphael Beinder)
Gottfried Böhm war alles andere als ein wortreicher Selbstdarsteller. Keiner, der zu seiner Architektur die druckfertige Produktphilosophie gleich mitliefert; wenn er sprach, ließ er sich Zeit zum Denken. Er war ein Unikat wie seine Werke. Einer Schule oder Richtung gehörte er nie an, aber man könnte ihn doch da einordnen, wo er herkam: ins katholische Rheinland, wo sein Vater, Dominikus Böhm, in rheinischer Tradition katholische Kirchen baute.

Architektur als Familiensache

Getreulich vollendete der Sohn nach dem Tod des Vater 1955 noch dessen Aufträge.
"Wir haben ja so ein bisschen mehr familienbedingte Vorstellungen, von meinem Vater her bin ich ja sehr geprägt und meine Söhne wahrscheinlich auch. Die Tradition spielt da schon eine große Rolle."
Kirchen baute Böhm in Kassel, Köln, Oldenburg, aber auch Formosa und Brasilien – erst 1962, gegen Ende dieser goldenen Zeit klerikaler Baulust, verblüffte er mit der Wallfahrtskirche in Neviges: ein hochexpressives Gebilde mit polygonalem Grundriss und freitragendem Betonfaltwerk, eine Art Gebirgslandschaft mit massigem und gleichzeitig aufstrebenden Charakter.
50 Jahre Mariendom in Neviges - Beten im Beton
Die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges kann man lieben oder hassen. Nur ignorieren kann man sie nicht. Der brutalistische Betonbau des Architekten Gottfried Böhm lässt viele Interpretationen zu.
Neviges, das war der eine Paukenschlag, den anderen ließ Böhm im kleinen Bensberg bei Köln ertönen, wo er das Rathaus als expressive Sichtbetonskulptur ins Innere der Burgruine über der Stadt einfügte und so die Idee der Stadtkrone belebte – zu einer Zeit, als ein Verwaltungsbau aller Welt nur als Glas-Rasterfassade denkbar schien.
In den 60er-Jahren, als die Moderne sich noch überzeugt aus Konstruktivismus und Maschinenästhetik speiste, wurde Böhm hier und da wohl als ein bisschen entlegen und schnurrpfeiferisch belächelt, weil er es wagte, Gebäude mit Eigenschaften zu errichten, gegen die gleichmacherische Moderne Symbole zu setzen, obwohl er - wie seine Altersgenossen auch - die Kriegszerstörung und mit ihr die Sprengung der historischen Fesseln als eine Art Aufbruch begriffen hatte.
"Wenn ich mir das so in Erinnerung bringe, fand ich geradezu in dem Zerstörten einen Reiz, das ist ganz merkwürdig. Das war kein Untergang. Das war ein Anfangen-Wollen, etwas mit dem machen wollen, was noch da war."

Mit Farbeimer und Pinsel selbst im Einsatz

Böhms Betonskulpturen der 60er-Jahre verrieten seine Vergangenheit als Student der Bildhauerei, aber seine Entwürfe sollten auch später nie isolierte Kunstwerke sein – immer war in den Plänen die Umgebung weiträumig mitgezeichnet. In einem Text zur imposanten, mit glasüberdachter Halle verklammerten Verwaltungszentrale der Firma Züblin bei Stuttgart schrieb er: "Man wird ja immer in der Wahl des Materials die Verbindung zur Nachbarschaft suchen, zumal wenn diese einigermaßen einheitlich ist." Und wenn Böhm in den 70ern an der Kölner Trabantenstadt Chorweiler mitbaute, dann entstand etwas ganz Gegenläufiges, eine Siedlung, die der Einfachheit des sozialen Wohnbaus mit leisen Ornamenten aufhalf, und wo der Architekt auch mal persönlich mit Farbeimer und Pinsel erschien, um der städtischen Wohnungsbaugesellschaft auf die Sprünge zu helfen.

Integrieren statt Polarisieren

Geist und Kreativität des Praktikers Böhm machten ihn zum wohl beliebtesten Professor an der Hochschule in Aachen, wo er viele Jahre lang lehrte. Im leidigen Zwist der Moderne: Zwischen Stadtplanung und Architekturentwurf versuchte er zu integrieren statt zu polarisieren.
"Dann habe ich in letzter Zeit ja die Bibliothek gebaut in Ulm und in Potsdam das Theater. In Ulm mit viel Freude, in Potsdam mit manchem Ärger oder zumindest mit Schwierigkeiten. Aber man hängt trotzdem da dran."
Es mag die Gefahr der Über-Interpretation bergen, aber in Böhms Gebäuden, so unterschiedlich in Material und Formensprache, lassen sich seine Grundmotive des Zusammenhangs, der Versöhnung von Alt und Neu, von Traulichkeit und Behaustheit immer neu buchstabieren: ob in der gläsern-pyramidalen Bibliothek in Ulm, die als Verweis auf mittelalterliche Steildächer gelesen wird; in Potsdam, wo das neue Hans Otto-Theater mit drei knallroten, gezackten Orchideendächern übers Wasser grüßt und viele an Jørn Utzons Oper in Sydney erinnert. Das Erinnern und Verketten war ja schon Böhms Thema, als er 1947 in den Ruinen der zerstörten Kirche St. Kolumba eine Marienkapelle baute, die die Kölner "Madonna in den Trümmern" nannten. Sie wurde von Peter Zumthor 60 Jahre später in sein neues Diözesan-Museum integriert – zum Kummer Gottfried Böhms.